Bern ist überall

Bütschelegg

von Journal-B 2. März 2014

Bütschelegg – Der Text, den Ariane von Graffenried für die Demo am 1. März auf dem Bundesplatz geschrieben hat, hier bei Journal B: Zum Lesen, Herunterladen und Weiterverbreiten.

 

Sunnti Namittag,
Prachtswetter
zieht
di bleiche Städter
uf ds Land.
Seechrank
fahren i
im Poschtoute
dür sanfti
Schwarzeburger
Hügle.
Di seligi
Agglo
hani i hinger mir
la lyge.

Hie obe
macht d
Einsamkeit
sech breit,
schrisst ihri
Flügutüren uf
u seit:
«Welcome
to the Kontingent.»

I chume
a mini Gränze
i dene Kontingenze
ufem Längeberg.

Dr Bütschubach
wanderet ids
Schwarzwasser.
Ds Schwarzwasser
mäanderet
i d Stadt.
Im Poschi
plätscheret
Radio Bern 1,
e Wetterfrosch
wär gärn
chly duss
u prophezeit
es Tief
über Europa,
im Usland
schneits.
Aber hie obe
schynt
d Sunne,
ömu für die
wo hüt hei
gwunne,
die wo nüt
ds verlüre
hei.

Ir Wirtschaft
uf dr Bütschelegg
warte die Verwandte.
E Tamil
mariniert e Söilibrate,
dr Garte vor
dr Beiz
isch gmähit.
I chumen
I chumen
I chume
hei.

Ds Ständemeer het
het ds Flachland
gfluetet.
Hingerem Huus
het es Söili
blüetet.
Renaissance vor Barbarei.
Es isch
Sunnti,
I chume
hei.

Syt schlächti Vrlürer!

von Guy Krneta 1. März 2014

Syt schlächti Vrlürer! – Der Text, den Guy Krneta für die Demo am 1. März auf dem Bundesplatz geschrieben hat, hier bei Journal B: Zum Lesen, Herunterladen und Weiterverbreiten.

 

Syt schlächti Vrlürer.

Findet nech nid drmit ab, dass d SVP ds Land schpautet.

Syt schlächti Vrlürerinne.

Löt nid zue, dass es «Mir», wo dir nid drzue ghöret, d Säubschtbeschtimmig über d Schwyz übernimmt.

Syt schlächti Vrlürer.

D Schwyz isch nid dr Club am Rennwäg u bruucht ke Securitiy, wo am Ygang schteit un e Konto-Uszug vrlangt.

Syt schlächti Vrlürerinne.

Ohni Ywanderer würd’s das Land gar nid gä.

Syt schlächti Vrlürer.

Es git nid Schwyzer u Angeri. Di Angere gö dür üs düre. Mir sy Migrantinnen u Migrante zu hundert, zu füfesibezg, zu füfzg, zu füfezwänzg, zu zwöufkommafüf Prozänt. Üs cha me nid kontingentiere.

Syt schlächti Vrlürerinne.

Ir Schwyz git’s meh Minderheiten aus Mehrheite.

Syt schlächti Vrlürer.

D Schwyz isch euter aus dr Chrischtoph Blocher, aber si het meh Zuekumft.

Syt schlächti Vrlürerinne.

Es git nid zwo Sorte vo Mönsche. U wär d Demokratie über d Grundrächt schteut, nimmt dr Demokratie ihres Rächt.

Syt schlächti Vrlürer.

Es git nid ei Schwyz, sondern viu Schwyze.

Syt schlächti Vrlürerinne.

Es git kes Vouk, aber e Bevöukerig.

Syt schlächti Vrlürer.

Gäg Lohndumping wehrt me sech mit Mindeschtlöhn u nid i däm me de Lüt ds Rächt nimmt, sech z wehre.

Syt schlächti Vrlürerinne.

Gäg Dichteschtress im Chopf hiuft es guets Buech.

Syt schlächti Vrlürer.

U fraget nachem Dichteschtress i de läären Outo.

Syt schlächti Vrlürerinne.

Gwöhnet nech nid a d Chriegsrhetorik vom Chrischtoph Blocher.

Syt schlächti Vrlürer.

Gwöhnet nech nid a d Chriegsrhetorik i de Medie vom Chrischtoph Blocher.

Syt schlächti Vrlürerinne.

Gwöhnet nech nid a d Schützegräben im Chopf vom Ueli Murer.

Syt schlächti Vrlürer.

U vrlanget, dass men öii berächtigti Angscht vor ungarische Zueschtäng äntlech ärnscht nimmt.

Syt schlächti Vrlürerinne.

Wehret nech gäge d Wiukür, d Säubschtjuschtiz, d Schattewirtschaft, wo d SVP im Asylberych inschtaliert het.

Syt schlächti Vrlürer.

U wehret nech drgäge, dass d SVP di ganzi Schwyz zum Asylberych wott mache.

Syt schlächti Vrlürerinne.

Wehret nech gäge d Schprachumchehrige. D Gseuschaft het sech nid am Woou vor Wirtschaft z orientiere, sondern umgekehrt.

Syt schlächti Vrlürer.

D Freiheit faht nid dert aa, wo mr frei sy vo auem, auso o Freiheit.

Syt schlächti Vrlürerinne.

Dischtanzieret nech vo den internazionale Nazionalischte, wo itz gratuliere.

Syt schlächti Vrlürer.

Demokratie isch ke Schlacht, wo’s Sieger git u Vrlürer, wi Marignano. Demokratie isch e Form vo Usenandersetzig, wo nid fertig isch nach deren Abschtimmig. Im Gägeteil.

Syt schlächti Vrlürerinne.

We d SVP dr Voukswiue würd akzeptiere, hätt si di Iniziative gar nid chönne lanciere.

Syt schlächti Vrlürer.

So viu Vrlürerinnen u Vrlürer wi das Mau sy mr scho lang nümm gsi. Das macht Muet.

Schluss mit der Satzfrage

von Beat Sterchi 26. Februar 2014

Sicher, die Aufregungen über gewisse Abstimmungen sind nachvollziehbar, auch das grosse Tamtam rund um verschiedene international absolvierte winterliche Leibesübungen kann man verstehen.

Beides sollte uns nicht davon abhalten, endlich dem in den Medien grassierenden Übel der Satzfrage entgegenzutreten!

Überall, wo man hinguckt, überall, wo man hinhört: Immer nur Satzfragen! Anstatt eine echte Frage zu stellen, wird die vorgefasste Meinung in eine Satzfrage abgefüllt und um Zustimmung gebeten.

Aber obschon die Antwort auf die Frage, ob uns dieser Tatbestand auch schon aufgefallen sei, einfach «ja» oder «nein» wäre, sind wir in der vorherrschenden Satzfragenseuche längst geübt im Mitspielen und liefern auch noch gleich eine Erklärung mit. Wir alle, besonders aber Leute in der Öffentlichkeit, sei es in Politik, Wirtschaft, Sport oder Kultur, erledigen brav den Medienleuten ihren Job.

Das muss sich ändern!

Satzfragen sind das Ende jeglicher Diskussionskultur. Denn die Satzfrage ist nun mal ein rhetorisches Mittel, das schon nach einmaligem Gebrauch jede Dynamik unterbindet, jedes echte Gespräch verhindert. Satzfragengespräche sind eigentlich gar keine Gespräche. Satzfragen eröffnen nichts Neues; Satzfragen führen immer nur zurück hinter die eigene Hecke.

Die Frage an den Fussballspieler: Haben sie im Lauf des Spiels gespürt, dass das Schiff am Sinken ist, ist mit ja oder nein zu beantworten. Oder mit der Gegenfrage: Welches Schiff? Und fertig!

Es ist auch sinnlos, dass ein Journalist oder eine Journalistin, irgendwohin fliegt, um sich die in ihre Satzfragen verpackte persönliche Meinung von grossen Experten oder Expertinnen absegnen zu lassen. Interviews, in welchen jede zweite Antwort mit «Da stimme ich Ihnen zu…», beginnt, erschliessen dem Leser selten Neuland. Mutig wäre, zu der eigenen Haltung zu stehen, anstatt von einem grossen Namen zu verlangen, dass er seinen Senf dazu gibt.

Kommt noch dazu, dass in Ermangelung echter, brennender Fragen die am Schreibtisch vorbereiteten Satzfragen wirkliches Zuhören verhindern. Deshalb hört man in Interviews aus dem Bundeshaus haarsträubende Äusserungen, manchmal sogar Äusserungen, bei denen sich einem die Haare nicht nur sträuben, bei denen sie sogar ausfallen. Aber kommt die auf Sachkenntnis beruhende Gegenfrage? Wird nachgehakt? Fragt jemand, wie meinen Sie das? Wie ist das zu verstehen? Kann das überhaupt sein? Schön wär’s! Nix kommt! Denn schon wird die nächste, brav vorbereitete Satzfrage abgelesen. «Finden Sie auch, dass…. ?» Nieder mit der Satzfrage!

Der Schuhkauf

von Guy Krneta 19. Februar 2014

Die Frage stellt sich immer verschärfter: Gibt es ein menschliches Grundrecht auf würdige Existenz oder sollen nur Auserwählte anständig leben können? Wird unsere Gesellschaft feudaler? Eine erste Geschichte zur nächsten Abstimmung.

Vergangene Woche wurde der Abstimmungskampf für einen verfassungsmässigen Mindestlohn eröffnet. Mindestlöhne von 22 Franken in der Stunde würden rund 9% der Arbeitnehmenden oder 330’000 Menschen besser stellen. Die Hauptbetroffenen sind Frauen in der Verkaufsbranche.

Die Einführung eines Mindestlohns hätte auch Auswirkungen auf den Mittelstand. So würden die Löhne nach unten hin stabilisiert und Lohndumping erschwert.

Die Abstimmung findet am 18. Mai 2014 statt.

Démocratie directe

von Antoine Jaccoud 12. Februar 2014

Je m’excuse. Je ne savais pas. Je ne m’étais pas tellement renseigné. J’ai pensé qu’il fallait dire oui à cause de tous ces Roms qui mendient et de tout ce monde qu’il y a dans le train maintenant mais j’ai pas pensé plus loin.

Une fois aussi on nous avait rayé la voiture, une Impreza toute neuve, devant la maison et un voisin qui avait tout vu depuis son balcon nous avait dit que c’était un étranger.

Et puis il y avait eu cette autre fois où une femme du Montenegro ou de Serbie je ne sais plus avait gardé la clé de la chambre à lessive tout le week-end.

Des petites choses comme ça, mais si on y pense, pas des montagnes.

Alors maintenant on se demande ma femme et moi si on n’a pas fait une connerie en disant oui à cette initiative.

D’abord Bruxelles qui nous gueule dessus, et puis les autres pays qui s’y mettent aussi.

Et puis ensuite des espèces de voyous, des crânes rasés avec des drapeaux nazis, qui veulent nous embrasser pour nous féliciter.

Cela nous embête tout ça. Nous on aime pas se faire remarquer ainsi, on est des gens du juste milieu.

Est-ce qu’on pourrait revoter?

Il faut dire aussi que dans „20 minutes“ ils n’avaient pas très bien expliqué les conséquences pour la libre-circulation et le reste.

Y a bien eu des émissions à la TV aussi mais comme c’était en même temps que Sotchi et que ma femme aime bien le patinage et que moi je voulais voir ce que faisait Defago on n’a pas tellement regardé.

Peut-être qu’on aurait dû.

Est-ce qu’on va être embêtés maintenant?

C’est pas ce qu’on voulait en tout cas. Nous on voulait simplement être un peu tranquilles et qu’il y ait moins d’embouteillages quand je rentre du travail.

Est-ce qu’on pourrait éventuellement revoter?

Parce que mon gamin il aimerait bien faire le programme Erasmus. Il veut devenir docteur – on est fiers!- et il dit que s’il fait un ou deux semestres à l’étranger ce sera mieux.

Y a aussi ma maman qui est au home „Harmonie du soir“. Elle dit que Semina, la dame croate qui s’occupe d’elle, ne pourra pas revenir à cause de ce qu’on a voté dimanche.

Et puis enfin y a ma femme et moi qui aimons bien faire des ballades dans les pays autour de nous à l’Ascension ou à Pentecôte. Est-ce qu’ils vont nous embêter maintenant? Est-ce qu’ils vont nous en vouloir? Est-ce qu’on pourra encore ramener du vin et des chaussures?

Je crois qu’on devrait revoter.

Je crois qu’on a fait une connerie.

Et c’est ce que ma femme pense aussi.

Am Montagmorgen war ich früh auf den Beinen, ich war Teil des Menschenstroms, der sich seinem Arbeitsplatz entgegen bewegt. Unterwegs Richtung Bus sah ich einen Mann, auch er unterwegs zu seiner Arbeit, wie ich annehme.

In der linken Hand hielt er eine Zigarette, in der rechten einen Kaffeebecher. Das war auffällig, aber nur ein bisschen. Der Mann tat eben, was man am Morgen tut, er brachte sich mit einer Zigarette und einem Becher Kaffee in Schwung. Und hatte dafür zuhause keine Zeit mehr.

Könnte man sich unterwegs duschen, so hätte er dies vielleicht auch noch gemacht. Und das wäre ebenfalls nicht weiter auffällig gewesen. Es passt ja zusammen: Dusche, Zigarette, Kaffee. Der Mann will seinen Kopf startklar machen für den Arbeitstag. Soweit so klar.

Seltsamer deshalb, dass er diese weissen Stöpsel von seinem Handy beziehungsweise I-Pod in den Ohren stecken hatte. Er hörte also auch noch Musik. Was nun allgemein als eine entspannende Tätigkeit gilt oder zumindest als etwas, mit dem man sich vor der den Aufdringlichkeiten des Alltags schützt und aus ihnen flüchtet.

Insofern verkörperte der Mann einen Widerspruch.

Einerseits war er seinen Kopf am Aufstarten für den Arbeitstag, andererseits  fuhr er diesen Kopf mit der Musik im Ohr wieder herunter.

Die Annahme, dass er über seine weissen Ohrstöpsel so früh schon irgendeinen Business-Englisch-Kurs in sein Gehirn träufelte, lasse ich beiseite, denn Widersprüche sind menschlich.

Später an diesem Morgen sass ich im Zug und las in der Zeitung, dass in Delhi die Luft noch viel schlechter ist als in Peking, wo sie auch schon sehr schlecht ist. Die Inder haben deswegen die schwächsten Lungen der Welt. Man hielt das schon für genetisch, bis man, vor wenigen Jahren erst, herausgefunden hatte, dass Inder, die ausserhalb Indiens aufgewachsen sind, normal entwickelte Lungen haben.

Nun muss ich aber aufpassen, dass meine Kolumne nicht unschön in zwei Teile zerfällt, die miteinander nichts zu tun haben.

Was hat die Mordluft in Delhi mit einem Montagmorgen in der Schweiz zu tun? Weshalb habe ich diesen Zeitungsartikel überhaupt gelesen? War das Einstimmung auf den Arbeitstag und das Wirklichkeitsprinzip oder das Gegenteil davon?

Vor kurzem traf ich einen Mann, der sagte, er lese Zeitung, um den Kopf abzuschalten. Ich weiss genau, was er meint.

Zum Schluss noch zwei Tatsachen. Erstens: In der Schweiz ist die Luft sauber. Zweitens: Dass laut Bundesamt für Gesundheit jedes Jahr 3500 Menschen am Feinstaub in dieser Luft sterben, ändert an dieser Tatsache überhaupt nichts.

Beat Sterchi begegnet einem Kollegen. Da fällt ihm ein, dass er dessen Buch noch nicht gelesen hat. «Wilde Zeiten»: Eine Lektüre, die sich lohnt.

 

Neulich habe ich einen Kollegen getroffen. Er sass auf einer Bank oben am Aargauerstalden in Bern an der winterlichen Nachmittagssonne. Dass er Kopfhörer aufgesetzt hatte, war mir nicht entgangen. Er nahm diese ab, begrüsste mich freundlich und als ich sagte, ich wollte ihn nicht stören, meinte er, überhoupt kees Problem, er sei bloss dabei, das letzte Kapitel von «Madame Bovary» zu hören, gelesen habe er den Roman schon und er lasse sich gerne von mir unterbrechen.

Man möchte vieles lesen

Er hatte kaum ausgesprochen, da durchzuckte mich die Erinnerung an das Buch, das dieser Kollege selbst geschrieben, selbst publiziert und im letzten Sommer selbst vertrieben hatte. Ich wusste sogar genau, wo ich es finden würde, denn ich hatte es mir genau angeschaut, hatte es beschnuppert, wie man ein Buch beschnuppert, von dem man nicht so recht weiss, wie man es einordnen soll. Ich hatte sogar erkannt, dass es sich als lohnende Lektüre entpuppen könnte. Aber wie das so ist, man muss und möchte vieles lesen!

Wilde Zeiten

Aber kaum zuhause, habe ich es gleich zuoberst auf einem meiner Bücherstapel gefunden und gelesen. Es heisst «Wilde Zeiten» und der Autor, der von sich sagt, er betrachte sich nicht als Schriftsteller, heisst Bernhard Streit. Gut, der Titel «Wilde Zeiten» ist nicht wahnsinnig originell, aber ich las mit grossem Vergnügen, wie da einer mitten aus einem Leben heraus erzählt, was er für wichtig hält, wie sich die Schicksale und die kleinen Dinge zu einer Stimmung mischen, die unter anderem den Reiz der Erkennbarkeit besitzt. Das war Bern! Da waren sie, die Berner und die Bernerinnen! Und genau so war das früher im «Falken». Es roch nach Bier, Rauch und Käse und die Leute waren tatsächlich in Diskussionen über Politik und Literatur verwickelt. Wenn man sich das heute vorstellt: Junge Leute sitzen rund um einen Tisch und diskutieren über Sinn und Zweck einzelner Bücher, die sie mit anderen vergleichen, die sie vergöttern oder verdammen. Und zwar ganz ohne Apps und Snapps.

Wirkliche Leser oder Leserinnen

Die Lektüre war teilweise auch ein Nachhausekommen. Schön war das und während ich in diesen unprätentiösen, ehrlichen Geschichten las, wurde mir auch klar, warum mich in den vorangegangenen Lesewochen etliche vermeintlich hochkarätige Bücher, die in hochkarätigen Besprechungen hochkarätig bejubelt worden waren, nicht wirklich überzeugten. Weil die Rezensierenden mit ihren oft so unangemessenen Besprechungen und viele der Schreibenden mit ihrem oft so grenzenlosen Ehrgeiz, immer öfter nicht mehr wirkliche Leser oder Leserinnen sind und auch nie und nimmer auf einer Bank oben am Aargauerstalden, nachdem sie den Roman schon gelesen haben, mit dem letzten Kapitel von «Madame Bovary» in den Kopfhörern anzutreffen wären.

 

Bernhard Streit: Wilde Zeiten, Geschichten aus einem Leben, 2013

Der Schriftsteller Daniel de Roulet wird am 4. Februar siebzig. – Ein Anlass, den politischen Autor, den sprachgewandten Künstler, den kritischen Kollegen herzlich zu würdigen.

 

Es gibt nicht viele Schweizer Schriftsteller, die gleichzeitig in mehreren Sprachen zu Hause sind und als Autoren in den verschiedenen Sprachräumen wirken. Daniel de Roulet ist einer davon.

Etliche seiner in Frankreich publizierten Bücher sind kurz nach ihrer Veröffentlichung, zum Teil sogar zeitgleich auch auf Deutsch erschienen. Er selber, geborener Jurassier, bewegt sich mit grosser Leichtigkeit zwischen den Sprachen und den Welten.

De Roulet hat in Lausanne und Zürich studiert, lebt in Frankreich, zusammen mit Chiara Banchini, der weltweit gefragten Tessiner Dirigentin und Violonistin. Er hat Architektur studiert, arbeitete als Informatiker, ehe er sich 1997 ganz dem Schreiben zuwandte.

Politischer Autor

De Roulet ist ein unentwegt politisch Bewegter, dessen Werke rund um den Globus führen, quer durchs Zwanzigste Jahrhundert, und der zugleich mit Vehemenz gegen jede politische und wirtschaftliche Instrumentalisierung der Kunst kämpft.

Ich habe Daniel als letzten Präsidenten der Gruppe Olten kennen gelernt. Bei seinem Antritt nannte er als Ziel seiner Präsidentschaft die Auflösung des Verbands, was ihm einige Kollegen bis heute nicht verziehen haben. In nur zwei Jahren entstand in Zusammenarbeit mit dem Schriftstellerinnen- und Schriftstellerverband SSV der neu geschaffene Autorinnen- und Autorenverband AdS. Damit überwanden die Schweizer Schriftsteller die Strukturen des Kalten Krieges in den eigenen Reihen.

Das Zwanzigste Jahrhundert im Fokus

Die Spannweite des De Rouletschen Denkens zeigt sich exemplarisch im Sammelband «Nach der Schweiz». Das Buch von 2009 versammelt 27 Porträts von Ein- und Ausgewanderten und fokussiert auf deren jeweiliges Verhältnis zur Schweiz. Neben Ferdinand Hodler, Max Frisch und Jean Tinguely stehen Clara Haskil, Agota Kristof oder Noëlle Revaz.

Wellen warf das Porträt von Le Corbuisier, welches dem Schweizer Architekten die Kollaboration mit den Vichy-Nazis nachwies. Worauf eine mediale Debatte entstand, in deren Folge eine grosse Schweizer Bank ihre Werbung mit Le Corbuisier zurückzog.

De Roulets Hauptwerk sind die zehn Bände seiner «Simulation humaine». In eigenständigen, durch ein Figurenarsenal miteinander verbundenen Romanen erzählt de Roulet das Zwanzigste Jahrhundert als Epoche der Erfindung der Kernkraft und des Internets. Auf Deutsch erschienen ist eben der Band «Kamikaze Mozart», die Geschichte des Schweizer Physikers und Musikers Wolfgang Steinamhirsch, der sich in den USA in die japanische Violinistin Fumika verliebt und sie dann feige verrät. Der Roman spannt den Bogen von der Entwicklung der Kernspaltung über die Internierungslager für Japanischstämmige in den USA bis zum Abwurf der Bombe über Nagasaki und zur Schweizer Reaktorkatastrophe von Lucens.

Politische Autobiografie

Auch de Roulets autobiografische Texte sind hochpolitisch und verbinden individuelle mit zeitgeschichtlicher Erfahrung. So erzählt sein Bericht «Double» von 1998, basierend auf seiner 3,3 kg schweren Fiche, die fatale Verwechslung des Schriftstellers mit einem Zürcher Staatsanwalt durch die Schweizer Schnüffelbehörden. Kaum ein anderer Schweizer Autor hat die peinvolle Beschäftigung mit der eigenen Fiche so konsequent literarisch umgesetzt.

«Ein Sonntag in den Bergen» von 2006 schliesslich ist das Geständnis des politischen Aktivisten, 1975 das Chalet des Deutschen Verlegers Axel Springer oberhalb von Gstaad in Brand gesetzt zu haben. Während einzelne Kritiker das späte Geständnis für eine literarische Finte hielten, wurde der Bericht in der Deutschschweiz als moralischer Skandal inszeniert. Hier erwiesen sich das französische und das deutsche Feuilleton als unbefangener und souveräner.

Der Brückenbauer

Von 2008 bis 2011 war Daniel de Roulet Mitglied von «Bern ist überall». Er wirkte als Brückenbauer bei der Erweiterung der Gruppe in die Mehrsprachigkeit hinein und unterstützte die Bestrebungen, «spoken-word» auch im französischen Sprachraum bekanntzumachen.

Am 4. Februar feiert Daniel de Roulet in Genf seinen 70. Geburtstag!

 

Daniel de Roulets Werke in deutscher Übersetzung sind allesamt im Limmat-Verlag erschienen.

Maria’s nail bar

von Antoine Jaccoud 15. Januar 2014

Cela fait longtemps, Maria, que vous êtes au chômage et recevez des allocations de notre part. C’est mon devoir, en tant que placeur auprès de votre office régional de placement, de vous le rappeler.

Il faut dire que votre CV n’est pas terrible: vous découragez les employeurs potentiels par le caractère erratique de votre cursus. Un apprentissage interrompu chez Denner, quelques mandats temporaires chez Lidl et dans la sandwicherie de votre parrain, un bout de stage chez Jacques Dessange, trois petites semaines avant Noël, enfin, comme surnuméraire chez Interdiscount, rien dans votre parcours n’atteste d’une ambition professionnelle élevée ou d’une compétence singulière.

J’entends bien que vous auriez voulu être chanteuse ou comédienne, mais il y a un âge, Maria, pour rêver et un autre pour agir. Et puis vous êtes comme on dit issue de l’immigration. C’est un handicap, léger certes, mais c’est un handicap quand même. Je ne puis toutefois continuer à vous payer pour ne rien faire. Il faut maintenant que vous trouviez un boulot et disparaissiez des statistiques du chômage.

J’avais dans un premier temps pensé à un poste d’hôtesse dans une société d’Escort – mon beau-frère connaît le patron de la société Lady Unlimited, une maison très bien, et ce secteur d’activités connaît une croissance fabuleuse – mais vous dites être pudique et croyante, on s’orientera donc vers autre chose. Ce que je vais vous proposer alors est plus qu’un emploi. C’est une activité véritablement libérale qui vous apportera prospérité et indépendance. Il s’agit de rien moins en effet que d’ouvrir une – votre – onglerie, un nail bar si vous préférez.

Le secteur de l’ongle, Maria, est en pleine expansion. Le soigner, l’embellir, l’orner, le contempler, voilà tout simplement l’horizon radieux de la société occidentale. La formation à ce métier envié et exigeant dure deux jours. Elle vous sera remboursée par nos services – un coup de pouce à ce nouveau départ, c’est bien le cas de le dire. Au terme de celle-ci, vous pourrez portez la blouse et le masque de chirurgien, et vous prendre peut-être pour le docteur René Prêtre qui, je vous le rappelle Maria, fut désigné Suisse de l’année en 2009.

J’ai même une proposition d’enseigne: Maria’s nail bar. Je sais pas si vous aimez mais moi je trouve que cela sonne bien.

Une chose encore. Ce n’est pas parce qu’il y a déjà 35 nail bars dans notre ville qu’il faut vous décourager. Vous ne l’ignorez pas: une saine concurrence est un stimulant pour le business. Bonne chance, Maria.

Wieder ist in Deutschland eine Bombe aus dem Zweiten Weltkrieg explodiert und hat ein Todesopfer gefordert. Sollte man die tausenden von noch nicht detonierten Bomben als eine Art unberechenbares Kriegsmahnmal betrachten?

 

Vor einer Woche fuhr auf einer Baustelle in Euskirchen in der Nähe von Bonn eine Baggerschaufel in eine Bombe aus dem Zweiten Weltkrieg. Die Druckwelle der Explosion war noch in 400 Meter Entfernung spürbar, der Baggerführer wurde zerfetzt.

War das nun ein Unfall, wie sie auf Baustellen eben passieren, oder ist der Baggerführer, weil ihn eine Bombe aus dem Weltkrieg getötet hat, ein Opfer dieses Krieges geworden? Hat der Zweite Weltkrieg vielleicht noch gar nicht aufgehört?

Tag für Tag werden irgendwo in Deutschland Strassen gesperrt und Menschen evakuiert, weil bei Bauarbeiten ein Blindgänger entdeckt wurde. Und jeden Tag rücken die Bombenentschärfer aus, pinseln sorgfältig den Dreck von den verrosteten Zündern und versuchen, diese unschädlich zu machen. Eine Arbeit mit unkalkulierbarem Risiko, das immer wieder zu tödlichen Explosionen führt. Viele Bomben gehen auch von selber los, plötzlich knallt es irgendwo auf einem Feld oder einem Hof, auch dies passiert im Schnitt einmal pro Tag. Das Risiko, dass die Bomben beim Entschärfen oder auch spontan losgehen, wird in den nächsten Jahren grösser werden. Je mehr die Zünder verrosten, desto schwerer sind sie zu handhaben. Wie viele Blindgänger im deutschen Boden stecken, weiss niemand. Experten schätzen, dass es noch 100 000 sind. Bis die letzte Bombe aus dem Weltkrieg entschärft ist, kann es noch bis zu 150 Jahre dauern.

2039, es ist absehbar, wird ein noch grösseres Gedenkjahr als 2014. Vielleicht werden noch einige Veteranen des Zweiten Weltkriegs am Leben sein, vielleicht leben auch 2045, wenn das Ende dieses Krieges 100 Jahre zurückliegt, noch zwei oder drei Menschen, die Erinnerungen haben an diesen Krieg und in deren Alpträumen alles so nah ist und so schrecklich, als wäre keine Zeit vergangen. Aber auch dann, wenn alle von ihnen tot sind und ihre Erinnerungen und Alpträume mit ihnen aus dieser Welt verschwunden, werden noch immer Bomben aus diesem Krieg explodieren, auch im Gedenkjahr zum 200-jährigen Ende des Krieges wird es mit diesen Explosionen noch nicht zu Ende sein.

Sollte man diese über ganz Deutschland verteilten Detonationen vielleicht als eine Art ungeplantes und unberechenbares Mahnmal ansehen, das an die Taten der Vorfahren erinnert und immer wieder seinen blutigen Tribut fordert? Aber zeugte es nicht von geschmackloser Exzentrik, etwas, das in den nächsten 150 Jahren Dutzende, wenn nicht hunderte Menschen töten wird, ein Mahnmal zu nennen? Solange seine Bomben töten, hat der Zweite Weltkrieg noch nicht aufgehört. Wir alle werden sein Ende nicht mehr erleben.

Pas froid (aux yeux)

von Antoine Jaccoud 18. Dezember 2013

Ce n’est pas encore une tribu – comme l’est celle des fixies aujourd’hui, ou comme le fut celle des skaters autrefois, avec son langage, ses rituels et ses signes d’appartenance de Cracovie à Sidney, de Nidau à Miami. Et rien ne dit que cela le devienne un jour.

Rejoindre une telle communauté n’est pas à la portée du premier venu. Le nombre de ses adeptes va croissant pourtant. Et vous en avez certainement vu un ou deux à Zurich, à la gare de Berne, ou dans un tram genevois. C’est par grand froid qu’on les observe le mieux (peut-être comme les pingouins, ou les ours blancs). Vous portez ce jour là une doudoune ou un manteau d’hiver, un bonnet, une laine polaire, et un sous-vêtement en mérinos qui vous a coûté un bras (si vous avez opté bien sûr pour le modèle qui ne pue pas après un jour).

Lui, car c’est généralement un garçon, est en t-shirt, bermuda et parfois, mais c’est un peu plus rare, en sandales ouvertes, et affronte ainsi le froid, la bise, et le gel apparemment sans sourciller. Non, il ne vient pas de sortir de l’avion qui le ramenait de Pattaya (ça, c’est les AVS), il ne sort pas non plus de l’hôpital après un hiver et un printemps passés dans le coma, il n’est pas, enfin, un working poor qui n’aurait pas eu les moyens de se payer une vieille veste en gore-tex au outlet de Bächli.

Non, ce jeune homme a choisi, en toute liberté, de s’habiller comme en plein été alors qu’il fait au dessous de zéro. Et il a choisi d’affronter l’hiver la poitrine couverte de son seul t-shirt, au contraire de la majorité de ses frères humains, qui tremblent sous leurs couches de protection. Rien d’autre que la dénégation active du froid, ou la guerre déclarée à celui-ci. On verra peut-être dans cette posture l’affirmation de cette virilité, celle des bagarres du samedi soir ou des scarifications, qui voit dans le corps une bête à battre,  et à dresser dans la brutalité et les sévices.

On pourra y voir aussi une manière originale de se faire remarquer. Dans une grande ville, et nos villes deviennent grandes, il faut parfois faire tache, comme on dit, pour se distinguer du troupeau.

Mais on pourra voir aussi dans ce comportement – et c’est mon hypothèse préférée – une manière d’adaptation anticipée, et courageuse, aux grandes chaleurs que nous promettent les experts du GIEC (le fameux groupe d’experts intergouvernemental sur l’évolution du climat) et les météorologues.

Dans quelques années, la saison des grillades, des Adilette et des bains dans l’Aar – ou la Limmat – pourrait être nettement plus longue qu’aujourd’hui. Ces gars l’ont compris, ils s’en réjouissent (l’amour de l’été est probablement inné, celui de l’hiver un peu moins), et ils s’y préparent.

Pour eux, c’est clair, the future is summer, même s’il faut claquer des dents quelques années encore.

Alle Sprachen sind gleichwertig und Bern ist überall und damit auch in Südafrika mit seinen elf amtlichen und damit de jure gleichberechtigten Sprachen.

IsiXhosa, IsiZulu, Afrikaans, Englisch, Isi-Ndebele, SeSotho, Sesotho, SeTswana, SiSwati, TshiVenda, Xitsonga.

Anders als Bern bin und war ich noch nicht überall, unter anderem auch noch nicht in Südafrika. Schade. Wäre ich – wie Bern – schon in Südafrika gewesen und vielleicht sogar als Journalist, der hohe Politiker interviewt, so hätte ich nun in meinem Nachruf auf den grössten Politiker des 20. Jahrhunderts wie der Afrika-Korrespondent des Tages-Anzeigers berichten können, dass ich mit Nelson Mandela nicht nur mehrere Male gesprochen, sondern auch einmal neben ihm stehend gepinkelt habe (bzw. ist Mandela neben den schon pinkelnden Korrespondenten hinzugetreten, brachte das auch an diesem Ort obligate „How are you“ an den Nebenmann, und liess dann das Geräusch seines Wasserlassens erklingen, was diesem – dem Nebenmann und Korrespondenten – den Beweis erbrachte, dass auch Mandela ein Mensch ist. Ob der Beweis viel taugt, wo den Göttern doch alles möglich ist, sei dahin gestellt).

Ich bin abgeschweift, es geht nicht ums Urinieren, es geht um die Gleichberechtigung der Sprachen. Aber auch hier stellt sich die Frage, ob Mandela wirklich ein Mensch war oder nicht doch nur ein als Mensch verkleideter Gott. Nur Göttern, so denke ich, ist es möglich, jeder Sprache mit dem gleichen Respekt und der gleichen Wertschätzung zu begegnen. Und erst Recht, wenn es um die Sprache der Unterdrücker geht, die einen ins Gefängnis stecken, wenn man für seine Freiheit kämpft. Nun hat Mandela im Gefängnis von Robben Island angefangen, die Sprache seiner Unterdrücker, das Afrikaans der Buren zu lernen. Dahinter stand zuerst ein ganz praktisches Interesse: Er konnte so das Vertrauen seiner weissen Wärter gewinnen und sich Vorteile verschaffen. Und später halfen ihm seine Sprachkenntnisse und das Wissen, das er sich über die Kultur der Buren erwarb, in den Verhandlungen mit den weissen Machthabern, als es darum ging, die Apartheid abzuschaffen. Aber lernt man aus politischem Kalkül auf Afrikaans geschriebene Gedichte auswendig wie Mandela das getan hatte? Hat er, beflügelt vom Geist der Versöhnung, Afrikaans zu schätzen, ja vielleicht sogar zu lieben begonnen wie Englisch oder IsiXhosa? Vielleicht hat er das tatsächlich gekonnt, vielleicht blieb eine Reserve, denn, so nehmen wir doch an, Mandela war ein Mensch und kein Gott.

Und wie steht es heute um die Gleichberechtigung der Sprachen in Südafrika, gibt es sie nur auf dem Papier oder auch in Wirklichkeit und wie weit? Darüber lasse ich mich von jemandem, der vielleicht auch noch nicht überall, aber doch schon in Südafrika gewesen ist, gerne aufklären.

Es soll weiter um Sprache gehen. Bleiben wir also bei der Problematik unserer Sprachsituation hier und jetzt. Bleiben wir bei unseren Sprachen.

In meinem letzten Beitrag habe ich die Gleichwertigkeit aller Sprachen postuliert. Ein Gebot von Bern ist überall: Alle Sprachen sind gleichwertig. Es wurde widersprochen. Natürlich soll widersprochen werden, aber der Widerspruch zwingt mich zu insistieren: Nur weil sich die Erkenntnis, dass alle Sprachen gleichwertig sind, auf der praktischen Ebene nicht mit den Ansprüchen und den Gesetzen von Macht, Geschäft und Opportunismus deckt, ist sie noch lange nicht falsch. Alle Sprachen sind gleichwertig, weil alle Menschen gleichwertig sind. Oder wer würde im Ernst behaupten, die Menschen seien nicht alle gleichwertig, weil die einen darben und die andern nicht? Weil zum Beispiel eine Amerikanerin denkt, mit einer Million toten Irakern seien 3000 Tote Amerikaner angemessen vergolten? Oder weil, um ein bisschen näher zum Hierundjetzt zu kommen, ein Fahrer in einem schweren schwarzen Wagen in einer verkehrsberuhigten Verkehrszone sich selbstverständlich ein Vorrecht über den vergleichsweise statuslosen Fussgänger erzwingt, so dass der zur Seite springen muss?

Sind! Nicht wären! Denn eine Erkenntnis ist eine Erkenntnis und unabhängig davon, ob sie als solche erkannt wird, richtig oder falsch. Nur weil wir es zulassen, dass in gewissen Situationen gewisse Sprachen wie der schwere schwarze Wagen alles verdrängen, heisst das nicht, dass sie wertvoller sind, sie sind nur mächtiger. Deshalb noch einmal: Wir haben uns unsere Muttersprachen ebensowenig wie unsere Hautfarben oder Nationalitäten selbst aussuchen können. Entstehen für uns aus dieser Tatsache Nachteile, werden wir diskriminiert.

Alle Sprachen sind gleichwertig! Und wer zwei Sprachen spricht, spricht eine mehr als derjenige, der nur eine spricht. Und er soll dafür bitte sehr nicht bestraft, sondern belohnt werden. Denn jeder Beitrag zur Erleichterung der Kommunikation dient allen Menschen. Und weil das noch nicht kapiert wird, bleiben wir am Ball!

Deux grands bifidus

von Antoine Jaccoud 27. November 2013

Pour tuer le writer’s block, j’ai pris une douche, longuement, très chaude;

j’ai ensuite écrit tout ce qui me passait par la tête, j’ai pris note de tout ce que je voyais, j’entendais, je ressentais (mais ce que je ressentais, surtout, c’était ce writer’s block dans lequel j’étais douloureusement et honteusement englué);

j’ai essayé ensuite de me souvenir que j’ai écrit des milliers de pages dans ma vie, certaines sans intérêt, d’autres touchantes et pleines de profondeur, que j’ai été publié quelquefois, que mes mots ont passé par la bouche de comédiens avides de les prononcer et de les défendre, mais cela n’a pas suffi.

Le writer’s block a résisté.

J’ai alors rédigé une liste de courses – même cela a été difficile: j’ai séché un long moment après avoir écrit «2 grands bifidus» au crayon noir en haut du bout de papier – et je suis allé jusqu’au magasin, en bas de la rue le long de laquelle s’élève mon immeuble.

Il n’y avait pas grand monde bien sûr, la plupart des gens étaient au travail – des boulots normaux, avec des petits coups de mou de temps à autre probablement, pas des «blocks» aussi terrifiants que les miens – mais j’ai tout de même trouvé une dame dans la quarantaine – noiraude, petite, jolie, sud-américaine peut-être – sur laquelle fantasmer – on irait chez elle, on se déshabillerait, on boirait un petit cognac en regardant un DVD («Il était une fois en Amérique», peut-être, ou un Mike Leigh), j’enverrais faire foutre mes ambitions littéraires et leurs blocages – puis je suis passé à la caisse où cette employée que je n’aime pas ne m’a comme d’habitude pas dit merde.

Je suis ensuite revenu chez moi, ai étalé les courses sur la table, ai lu les étiquettes (additifs, vitamines, si c’est fait en Suisse ou pas), ai rangé les choses dans le frigo et les armoires puis je me suis remis devant l’ordinateur.

Le writer’s block s’était assoupi, le con.

Il dormait sur le dos, le ventre à l’air, dans une posture de guerrier au repos.

J’en ai profité.

Die Stimme des Volkes

von Guy Krneta 20. November 2013

Es gibt auch Stimmen für die Familieninitiative. Guy Krneta hat sich umgehört. Hier die Stimme des Volkes. Die Stimme von Marco.

Gerhard Meister zum 100. Geburtstag von Albert Camus und zum neuen Buch des amerikanischen Philosophen Thomas Nagel.


Das Absurde, das Camus in seinen Essays und Romanen beschrieben hat, war in den 50er Jahren und auch danach vor allem deshalb so populär und weitherum verständlich, weil das Massenmorden des Zweiten Weltkriegs auch allen Nichtphilosophen ein Gefühl dafür eingeimpft hatte.

Das Absurde hat seinen Grund aber auch im Darwinismus, der Lehre also, dass die Natur nur ein planloses Gewucher ist, getrieben vom Wechselspiel zufälliger Genveränderungen und Überlebensvorteilen. Aus diesem Gewucher sind wir Menschen entstanden, ein Zufallsprodukt, das auch anders hätte herauskommen können oder gar nicht. Schon die Behauptung, wir seien nur eine Laune der Natur, vermenschlicht diese in unzulässiger Weise. Die Natur hat keine Launen, sie ist ein Zufallsgenerator und blinder Mechanismus und wir als denkende und fühlende Wesen sind darin ganz im Sinne von Camus Fremde.

Camus wäre vor einigen Tagen hundert Jahre alt geworden (unvorstellbar, dass er also noch am Leben sein könnte). Und der renommierte amerikanische Thomas Nagel, ein Schwergewicht in seiner Branche, hat kurz vor diesem Jubiläum ein Buch veröffentlicht, das genau diesen Darwinismus, der unsere Erfahrung des Absurden mitbegründet, angreift:

Warum die materialistische neodarwinististische Konzeption der Natur so gut wie sicher falsch ist. So heisst es im Untertitel von Geist und Kosmos. Die Vorstellung, dass wir nur ein Zufallsprodukt der Natur sind und unser Geist etwas, das sich auf Physik und Chemie zurückführen lässt, hält Nagel für höchst unwahrscheinlich, und er ist sicher, dass eine kommende Generation sie geradezu lächerlich finden wird. Als Gegenbegriff zum Zufall als dem Grund unseres Seins, der weit über die Wissenschaft hinaus zum unangefochtenen intellektuellen Common Sense geworden ist, bringt er die Teleologie ins Spiel, also die Vorstellung, die Entwicklung des Universums habe ebenso wie die Entwicklung des Lebens auf der Erde ein Ziel. Und zwar, in einem Wort: uns. Der entscheidende Satz im Buch lautet: „Jedes einzelne Leben bei uns ist ein Teil des langwierigen Prozesses, in dem das Universum allmählich erwacht und sich seiner selbst bewusst wird.“ Das ist eine Paraphrase von Friedrich Schellings Satz: „Im Menschen schlägt die Natur ihre Augen auf und erkennt sich selber.“ Vom deutschen Idealismus ist es nur noch ein Schritt zum Glauben an den christlichen Gott, der sich im Menschen inkarniert, ein Schritt, den Nagel als bekennender Atheist nicht tut.

Was er tut, ist trotzdem sensationell: Der Glaube, der Mensch besitze mit seinem Geist dasjenige, worauf sich das Universum seit dem Urknall als seinem Ziel zubewegt hat, hebt alles auf, was wir als heutige und moderne Menschen über uns selber glaubten denken zu müssen. Plötzlich sind wir wieder wichtig und stehen im Zentrum der Welt und sind in ihr zuhause. Und es ist nicht ein Pfarrer oder Esoteriker oder ein verlorener Schwätzer in irgend einer Bar nachts um vier, sondern einer der renommiertesten Philosophen Amerikas, der uns diesen Glauben mit überzeugenden Argumenten anbietet. Was hindert uns zuzugreifen und zu glauben, was uns gut tut? Uns vielleicht etwas Licht wirft in eine saisonale Depression? Uns vielleicht wieder Kraft gibt zur Empörung und Revolte auch im Sinne Camus? Durch Nagels Glaubensangebot wird die Philosophie des Absurden nicht zum Irrtum. Im Gegenteil. Werden durch die kosmische Wertsteigerung des Menschen seine Vernichtung und Knechtung nicht nur noch unerträglicher, noch absurder?

 

Thomas Nagel: Geist und Kosmos, Suhrkamp 2013

An dieser Stelle wurde zuletzt gefragt, warum Kollege Lenz „Mundartautor“ genannt wird, während andere Kollegen und Kolleginnen nie derart plump auf einen Aspekt ihres Schreibens reduziert werden.

Natürlich kann man beim Thema Mundart die Augen verdrehen. Alles kalter Kaffee! Alles hundertmal durchdiskutiert!

Hat man nicht in Deutschland studiert oder gelebt? Wo ist das Problem? Solange nur oberflächlich und ungenau darüber debattiert wird, ist es jedenfalls nicht vom Tisch.

Bei „Bern ist überall“ wissen wir sehr wohl, dass für viele Literaturinteressierte unsere besondere Sprachsituation ein Thema ist. Wie man mit unserer gesprochenen Sprache umgeht, was man damit macht, das interessiert! Bezeichnenderweise kommen die schönsten Komplimente nicht selten von Deutschen, die über die Poesie Zugang zu unseren Sprachen suchen und finden.

Und mit welcher Oberflächlichkeit müssen diese Debatten geführt worden sein, dass wir bei all dem Streiten nach wie vor mit derart ungenauen Begriffen wie „Dialekt“ und „Schweizerdeutsch“ rumfuchteln? Damit wird sicher nichts geklärt. Denn unsere Dialekte sind mit gesundem Selbstbewusstsein betrachtet einfach Sprachen wie andere auch und unser Schweizerdeutsch ist ein etablierter Sammelbegriff, der in der Praxis  jeglichen Wert verliert. Oft wird in Stellungnahmen jeder Art die Situation zwar richtig analysiert, dann zieht man aber wieder die schmerzlosen, aber falschen konventionellen Schlüsse.

Mehr Selbstbewusstsein ja! Aber bitte auch im Umgang mit unserer Erstsprache, mit unserer eigentlichen Muttersprache.

Falsche Schlüsse zieht auch Irena Brežná in ihrem Buch „Die undankbare Fremde“.  Ein Buch das einen, wie jemand mal gesagt hat, im besten Sinne des Wortes umpflügt, weil die Lektüre Boden aufbricht, was schmerzen kann, aber den Boden wieder fruchtbar macht. Ich habe es stellenweise mit angehaltenem Atem gelesen. Beeindruckend auch, wie die Autorin einen angenehmen, befreienden Zustand des Fremdseins in und zwischen den Kulturen verteidigt. Bei aller produktiven Teilnahme, doch als ein privates Territorium. Aber unserer Sprache spricht sie das Recht auf diese produktive Insel zwischen und in den Kulturen ab, indem sie über unsere „Dialekte“ den Stab bricht und deren Erlernen als Anbiederung betrachtet.

Wenn wir uns aber endlich zu der Erkenntnis durchringen könnten, dass alle Sprachen gleichwertig sind und dass niemand seine Muttersprache selber wählen kann, würden sich fortan viele dieser anachronistischen Werturteile erübrigen, man würde sich ihrer sogar schämen, weil sie rassistisch sind.

Es gibt bestimmte sprachliche Nuancen, um die man sich ein halbes Leben nie kümmern musste. Der Abstand zwischen Verkaufsdatum und Verfallsdatum gehörte für mich bis vor kurzem dazu.

Natürlich hatte ich meine Vorstellungen. Bis zum Verkaufsdatum darf ein Laden seine Produkte verkaufen, bis zum Verfallsdatum habe ich die Sicherheit, qualitativ einwandfreie Nahrung in meinem Kühlschrank zu haben. Zwischen Verkaufs- und Verfallsdatum liegt eine Zeitspanne, in der ich noch konsumieren, der Laden aber nicht mehr verkaufen darf beziehungsweise nur noch heruntergeschrieben, damit die Ware doch noch wegkommt.

Genauso interpretierte ich den roten Fünfzigprozentkleber auf dem höhlengereiften Emmentaler Käse Marke Kaltbach, den ich vor kurzem im Coop vom Regal in meinen Einkaufskorb beförderte. Mit einer gewissen Vorfreude übrigens auf seinen Konsum. Von da her bescherte es mir keine good feelings, als die Kassierin meinen Käse vom Laufband nahm, um ihn wegzuschmeissen.

Das Verkaufsdatum ist seit gestern abgelaufen, sagte sie.

Aber das Verfallsdatum ist doch erst in einer Woche, bis dahin kann man ihn doch noch konsumieren.

Und wieder sie: Und sogar noch länger, der Käse ist mindestens eine Woche übers Verfallsdatum noch einwandfrei. Aber ich darf Ihnen den Käse nicht verkaufen.

Wie wäre es, wenn Sie mir den Käse schenkten?

Das darf ich erst recht nicht.

Ein anderer Vorschlag. Sie werfen den Käse jetzt dort in den Abfallkorb und schauen einfach weg, wenn ich ihn dort wieder heraushole.

Die Verkäuferin lächelt unerbittlich, das Objekt meiner Begierde, dieses seltsam zwischen Abfall und Delikatesse oszillierende Stück höhlengereiften Emmentaler Käses bleibt bei ihr auf der Kasse liegen.

Und ich bin einsichtig genug, sie nicht dafür zu beschimpfen. Sie befolgt Regeln, die sie befolgen muss, wenn sie ihren Job behalten will. Und die Idee, dem Coop einen Brief zu schreiben mit der Bitte, mir verständlich zu machen, weshalb dieses Stück Käse bei mir zuhause im Kühlschrank noch mindestens zwei Wochen ein hervorragendes Stück Käse bleibt, während es im Regal vom Laden schon lange zu Abfall geworden ist, diese Idee bleibt Idee, der keine Tat folgt.

Ja, so müde bin ich an diesem Morgen und so eingeübt ins vernünftige Schweizersein, dass zuhause nur noch knapp die Energie reicht, um nachzugoogeln, was es mit der Sache auf sich hat und zu erfahren, dass jedes Jahr in der Schweiz Nahrungsmittel im Wert von einer Milliarde Franken das gleiche Schicksal erleiden wie mein höhlengereifter Käse und deshalb – im Fall von Fleisch- und Wurstwaren – verbrannt werden oder sonst vielleicht noch in den Viehtrog gelangen.

Ich akzeptiere die Kluft zwischen Verkaufsdatum und Verfallsdatum wie ein guter Katholik die Wandlung von Brot in den Leib seines Herrn nach Erklingen des Messglöckleins. Der Supermarkt wird zur Kirche, die mir den Glauben an ein Wunder abverlangt: Brot sieht aus wie Brot und Käse wie Käse, aber in Wahrheit ist das Brot Gott und der Käse Abfall. Dass kein irdischer Nahrungsmittelchemiker den Unterschied feststellen könnte, spielt keine Rolle.

Petite bouffe entre amis

von Antoine Jaccoud 24. Oktober 2013

Un sociologue français prophétise qu’il ne sera bientôt plus possible de nous asseoir autour d’une table pour simplement partager un repas et une ou deux bouteilles de vin entre amis, voire même au sein de la famille.

Pourquoi une prédiction aussi pessimiste? Parce que si Rémi mange encore de la viande, Sophie s’y refuse absolument, tout comme Marie devenue végétalienne et militant pour les droits des animaux, tandis que Thierry est allergique au gluten, que Marie-Laure croit l’être (depuis qu’elle a lu une interview de Djokovic), que Rébecca ne mange pas d’ail – au contraire de François qui en mange des tonnes dans l’espoir de dilater ses artères – et que Jacques-Henri, enfin, a tout simplement cessé de manger le soir depuis son divorce afin d’arriver „fit“ au marathon de New York…

C’est une tendance aussi lourde que contemporaine: chacun de nous réclame et exige son droit à une alimentation particulière qui risque fort d’exclure, voire de condamner celle du voisin. Tu bouffes ce que tu veux mais moi, en tout cas, je fais attention…

On voit mal dans ces conditions comment il serait encore possible de réunir un groupe d’amis autour d’une blanquette de veau, d’un plat de scampis ou même d’une ratatouille. Si par miracle tout le monde fait l’effort de suspendre le temps d’un soir les diktats de son régime personnel, il s’en trouvera un pour demander d’où vient le veau, un autre pour raconter le documentaire sur les antibiotiques utilisés dans les fermes marines du Vietnam et un troisième pour demander si les courgettes sont bio.

On comprend mieux désormais pourquoi il est plus facile d’avoir 548 amis sur Facebook plutôt que 4 dans la vraie vie. Et l’on saisit mieux également  pourquoi tant de gens mettent des photos de ce qu’ils mangent sur les réseaux sociaux. I like la photo de ton couscous, I share la photo de ton soufflé aux framboises, mais je ne bouffe pas avec toi.

 

«Les alimentations particulières: mangerons-nous encore ensemble demain?», sous la direction de Claude Fischler, Editions Odile Jacob.

Mainstream

von Guy Krneta 16. Oktober 2013

Es gibt kaum ein Wort, das leichter über die Lippen geht als «Mainstream». Mainstream ist bedeutungsoffen. Es meint immer die Anderen. Und wird definiert von denen, die es verwenden.

Mit Widerspruch ist kaum zu rechnen. Immerhin leben wir in einer Welt, die riesige Geldmengen dafür einsetzt, möglichst viel Mainstream zu produzieren. Um dann wieder riesige Geldmengen zur Verfügung zu haben, den produzierten Mainstream weiter zu verbreiten. Mainstream ist ein Perpetuum Mobile. Es ist ein Synonym für Erfolg – oder für das, was auf den Erfolg folgt. Den Erfolg des Erfolgs sozusagen. In so einem Sinn wird der Begriff allerdings kaum verwendet. Am Erfolg, scheint es, wollen alle partizipieren. Vom Mainstream grenzen sich alle ab. Selbst die Erfolgreichen.

Im Medienarchiv finde ich den Begriff zum ersten Mal in Verbindung mit Jazz. In einem Beitrag der NZZ von 1959 ist von «Mainstream-Jazz» die Rede. In nächsten Beiträgen heisst es dann nur noch «Mainstream», der eine bestimmte Form des Jazz zu bezeichnen scheint. In Abgrenzung etwa zum «Dixieland» oder zum «Swing».

Ein NZZ-Auslandsbeitrag aus Kalkutta von 1970 berichtet von regierungsnahen Zeitschriften in Indien, die Titel tragen wie «Patriot», «Link», «Mainstream», «Blitz» oder «New Age».

Der Doppelbegriff «Medien-Mainstream» (der die Formulierung «linker Medien-Mainstream» ablöst und impliziert) taucht ab 2001 in der Schweiz auf. Bemerkenswerterweise vor allem dann, wenn vom Jean-Frey-Konzern und der inhaltlichen Neuausrichtung der «Weltwoche» die Rede ist. So versuchte beispielsweise die «Südostschweiz» in einem Interview mit Moritz Leuenberger diesem den Begriff in den Mund zu legen. Leuenberger schien aber wenig damit anfangen zu können. Zuvor hatte er sich sehr dezidiert gegen das «Versteckspiel» der neuen «Weltwoche»-Besitzer ausgesprochen. Und der damalige WoZ-Journalist Constantin Seibt umschrieb 2002 gegenüber der NZZ das neue publizistische Konzept der «Weltwoche»: «Der Story-Generator ist das Anti-Korrektheits-Prinzip. Sieh, was der behauptete Medien-Mainstream sagt, und schreibe das Gegenteil.»

Die Behauptung des «Medien-Mainstreams», offenbar in der Schweiz eingeführt, um von Christoph Blochers Medien-Engagements abzulenken und diese zu legitimieren, wird also seit gut zehn Jahren gepflegt. Jüngstes Beispiel ist Ueli Maurers Rede am Schweizer Medienkongress vom 13. September 2013. Im nachfolgenden Interview mit der Zeitung «Schweiz am Sonntag» vom 29. September wurde Maurer dann sogar noch eine Spur expliziter: «Es gibt ihn nun mal, den Mainstream. (…) Zudem haben die meisten Medien ihre Tabu-Themen, die sie totschweigen, vielleicht mit Ausnahme der ‚Weltwoche’, der ‚Basler Zeitung’ (…). Während Jahren wurde etwa die Ausländerkriminalität tabuisiert».

Diese letzte Behauptung wäre auch in ihrer Geschichte zu untersuchen. Mittlerweile wird sie selbst von Linken wiedergekäut.

«Ein Politiker wie Blocher schreibt seine politischen Taten in die Sprache selbst ein: Er nimmt Wörter, entstellt ihren Sinn, erfindet neue Wörter, schafft eine neue Realität, eine neue Sprache, die wiederum von den anderen politischen Parteien übernommen wird», sagte der Regisseur Jean-Stéphane Bron im Interview mit der Zeitung «Schweiz am Sonntag» vom 13. Oktober 2013. Wie bewusst sich Blocher dieses Vorgangs ist, verriet er unter anderem in seiner «Bilanz nach einem Jahr im Bundesrat» von 2004. Er sprach damals von der «Positiven Entkrampfung» der Politik, die er am folgenden sprachlichen Beispiel erläuterte: «Es wird direkter über Probleme gesprochen. Begriffe wie ‚Scheininvalide’ werden über die Parteigrenzen hinweg und in der Öffentlichkeit verwendet, um ein Problem zu beschreiben, das tatsächlich existiert».

Das Wort «Scheininvalide» taucht laut Medienarchiv in der Schweiz ab 2003 regelmässig auf, zuerst und gehäuft in der «Weltwoche».

Dieser Blog ist ein Sprachenblog, als solcher ist er deklariert und so gehört es sich, denn Bern ist überall steht nun mal für Spracharbeit, in welcher Form auch immer.

So kam es, dass Gerhard Meister im Zusammenhang mit den mangelnden Englischkenntnissen des Spanischen Ministerpräsidenten plötzlich die Frage aufwarf, ob wir an einem kulturellen Unterwerfungszwang leiden mit unserem ewigen Bemühen Englisch zu lernen? Nun hat Gerhard Meister andere Freiheiten als ein Staatschef und es sei ihm überlassen, ob er sich diesem Zwang entziehen will oder nicht. Angefügt sei jedoch, dass in der Zwischenzeit die stolze Sechsmillionenstadt Madrid entgegen aller Erwartungen im Rennen um die Olympischen Spiele 2020 gegen Tokio den Kürzeren zog und dass sich bei der Frage nach den Gründen für diesen Rückschlag für einmal sämtliche spanischen Medien einig waren: Wegen mangelnden Sprachkenntnissen allgemein bei der Präsentation der Kandidatur und hier im besonderen der Bürgermeisterin von Madrid Ana Botella und des Präsidenten Mariano Rajoy. Das Lamento im bereits ökonomisch und moralisch bekanntlich stark gebeutelten Land war entsprechend gigantisch und hält an.

Inzwischen sind wir aber zurück in Bern, wo es durchaus auch sprachliche Eigenarten und Konventionen zu beobachten gibt. Da wird zum Beispiel gleich vorne auf einer Zeitung unser berühmter Kollege Lenz als Mundartautor angekündigt. Aha! Lenz schreibt in einer Sprache, die Mundart genannt wird und ist also Mundartautor. Da muss man sich aber fragen, warum andere Kollegen und Kolleginnen nicht auch nach den besonderen literarischen Eigenschaften ihrer Texte charakterisiert und auf einen Begriff reduziert werden. Ist das gerecht? Wenn es Mundartautoren gibt, dann muss es doch auch Hochdeutschautoren geben. Oder nicht? Und auch Nichtganzhochdeutschautoren und Höchstdeutschautorinnen und natürlich eine ganze Menge Standarddeutschautorinnen und Schulaufsatzautoren und Abderstangedeutschautoren und Bernharddeutschautorinnen und Schrumpfdeutschautoren und Sterildeutschautoren und Bürodeutschautorinnen und Feminisiertesdeutschautorinnen und Mordiodeutschautoren und Murksdeutschautorinnen und Pseudohochdeutschautoren und Nochhöherdeutschautorinnen muss es dann ganz sicher auch noch geben!

Consommer/consoler

von Antoine Jaccoud 25. September 2013

C’est un dimanche de pluie, près de Val d’Or, au nord du Québec, il y a quelques jours. On roule depuis des heures dans notre van Dodge blanc.

On est là, deux Suisses et un Québecois, occupés à des repérages pour un film futur, une histoire avec des camions, des flics, et des Indiens. A l’entrée de la ville, un Wal-Mart exhibe triomphalement son architecture de hangar d’aéroport. Une alarme résonne alors dans nos cerveaux. Wal Mart, c’est l’un des plus gros employeurs au monde, la boîte qui fit tant pression sur ses fournisseurs qu’elle les obligea à délocaliser en Chine (ruinant ainsi nombre de petites villes américaines), celle qui prohiba les syndicats partout où elle le put (c’est à dire presque partout), celle qui, entre autres mauvais traitements, alla enfin jusqu’à interdire de flirter à ses employés. On décide d’aller voir, d’aller faire un tour dans les rayons. Il y aura sûrement des choses, et des „tronches“, à voir. Et puis il y aura peut-être – la chair est faible – une connerie ou deux à acheter.

C’est dimanche, mais la grande, la méga grande surface (combien de Migros de chez nous on pourrait mettre là-dedans?) est bondée: une ruche pleine de familles poussant des caddies chargés comme des semi-remorques entre des rayons de 100 mètres de long. Je vais voir du côté de l’électronique. Le cinéaste polonais Krisztof Kieslowski aimait arpenter les Interdiscount lorsqu’il animait un workshop à Berne au début des années 90. „Je vais au Musée d’art contemporain“ nous disait-il en interrompant, un sourire un coin, son enseignement en fin d’après-midi.

Vingt-cinq ans plus tard, ce sont des Algonquins obèses, tellement obèses, qui fouillent une gondole remplie de Blue-ray à 5 dollars pièce. Je pense à cet entretien que j’ai eu avec un de leurs chefs quelques jours plus tôt. Il m’a raconté la chasse à l’orignal qui va commencer,  ses descentes en pirogue jusqu’à la Baie James (trois semaines à se laisser descendre au fil du courant de l’Harricana) quand il était plus jeune, les fameux pensionnats indiens, enfin,  où les enfants autochtones furent abusés et violés par centaines durant un demi-siècle. On a pu substituer le terme de société de consolation à la vieille formule de „société de consommation“ pour mieux dire les raisons profondes de nos compulsives pratiques. Nous consoler de nos malheurs, voilà ce que nous allons chercher dans les rayons de Wal Mart comme dans ceux de nos Lidl, nos Casino ou nos Aldi. Je veux penser toutefois que la consolation serait plus belle dans la forêt, ou assis dans une pirogue, ou n’importe où ailleurs, surtout un dimanche. Et j’ai envie de le dire aux Algonquins qui fouillent toujours leur gondole à la recherche d’un blockbuster à bas prix. Le dimanche, c’est fait pour la chasse, ou la pirogue, pas pour „magasiner“.

A l’aéroport de Montréal, je découvre un automate qui permet d’acheter des I-pad sans avoir à adresser la parole à quiconque. Super.

Hasta la victoria siempre!

von Gerhard Meister 18. September 2013

Die kleine Geschichte hat sich vor ein paar Tagen im Intercity Zürich-Bern ereignet und beginnt mit ein paar Worten Spanisch. Esta Boca mia – also etwa dieser mein Mund – las ich als Titel eines Buches, das die Frau mir gegenüber auf ihren Schoss legte.

Dann nahm sie das Buch in die Hand und ich sah auf der Rückseite die Wörter dios, problemas und solucion, offensichtlich hatte sie ein christliches Ratgeberbändchen bei sich. Beschäftigt war die Frau dann aber mit ihrem Handy, in das sie kurz nach Lenzburg zu sprechen begann, und sie sprach und sprach und sprach noch in Olten und sprach, als der Zug an Langenthal vorbei fuhr und zwar – ich bin sicher, meine bescheidenen Spanischkenntnisse täuschen mich nicht – sprach sie über das Buch, das sie bei sich hatte.

Und lobte es in immer neuen Wendungen und Anläufen, ohne dem Menschen am andern Ende der Leitung Gelegenheit zu lassen, selber etwas zu sagen. Oder sprach der Andere genauso lückenlos wie sie und keiner hörte dem Anderen zu?

Nach der letzten Kolumne von Beat Sterchi über spanisches Sprechverhalten wäre auch das eine Möglichkeit. Und sicher wäre es reizvoll gewesen, hätte ich ihren Worten richtig und nicht nur der Spur nach folgen können.

Um das Buch zu lesen, das die Frau bei sich hatte, muss man allerdings nicht Spanisch können. Schon der Name der Autorin gab den Hinweis: Joyce Meyer, so wird nach ein paar Klicks im Internet klar, ist eine Amerikanerin und eine der einflussreichsten evangelikalen Predigerinnen weltweit. Das heisst, auch Englisch muss man für dieses Buch nicht können. Es ist in Dutzende Sprachen übersetzt und heisst auf Deutsch „Meine grosse Klappe“.

Joyce Meyer lehrt in diesem Buch, wie man sein Mundwerk im Zaum hält: „Die Wahrheit ist: Sie entscheiden, welche Worte Sie aussprechen! Bringen Sie Ihre Worte in Übereinstimmung mit dem, was Gott sagt, und Sie werden anfangen, im Sieg zu leben.“

Ich sass also im Zug einer Frau gegenüber, die von Aarau bis Langenthal ohne die kleinste Pause das sagte, was Gott sagt. Und dann hatte sie auch noch angefangen, im Sieg zu leben. Hasta la victoria siempre! hätte ich ihr in Bern zurufen können, als ich ausstieg.

Was mir Spanisch vorkommt II

von Beat Sterchi 11. September 2013

Ist es sinnvoll Englisch zu lernen? Nach meinem ersten Beitrag in dieser Reihe stand plötzlich diese Frage im Raum. Auf die Gefahr hin, dass sie kaputt gehen könnte, wenn ich sie auch noch aufwerfe, lasse ich sie vorerst auch einfach dort stehen.

Um noch einmal auf das Spanische und seine Eigenheiten bei der Anwendung zurückzukommen.

Es stimmt zweifellos, dass viele Spanier und viele Spanierinnen ihre schöne Sprache so sehr lieben und sie so gerne hören, dass sie auch fähig sind einfach zu reden, um des Redens willen, einfach um diese Sprachmusik erklingen zu lassen, was auch für den Zuhörer sehr schön sein kann. Aber eines ist das Reden und etwas Anderes ist das Schreien. Ja, ja! Denn sich gegenseitig anzuschreien, scheint auch eine spanische Eigenheit zu sein. Zumindest dem Aussenstehenden kann das sehr wohl so vorkommen, wenn zum Beispiel ein paar ältere Damen beieinander stehen und alle gleichzeitig sehr, sehr laut reden. Ohne dass jemand auch nur ansatzweise zuhören würde. Sich dabei sogar immer noch mehr ins Zeug legen, je mehr die andern sich steigern. Genau so als hätten sie einen grossen Genuss davon, die anderen mit ihrer Lautstärke und ihrer Eloquenz wie in einem grotesken Wettbewerb zu übertrumpfen.

Möglicherweise wird dieses Verhalten in den sogenannten Unterhaltungssendungen der doch sehr, sehr bunten spanischen Fernsehkanäle vorgemacht und legimitiert. Auch dort schreit man sich gegenseitig einfach an und die Zuschauer scheinen das lustig zu finden. Es kann sogar vorkommen, dass die Technik minutenlang einfach zwei sich anschreiende Köpfe in Grossformat ins Bild setzt. Allerdings muss man wissen, einzelne dieser Sendungen sind derart geschmacklos und unter jeder …. sagen wir mal, man wird rot vor Scham, sie auch nur angeklickt zu haben.

Nicht viel weniger grotesk klingt es manchmal aus dem Radio.

Wozu spanische Fussballreporter fähig sind, wenn es darum geht, ihre schöne Sprache zu missbrauchen, wissen alle. Bekanntlich sind sie sich nicht zu schade, beispielsweise eine halbe Minute lang GOLGOLGOLGOL!!!! GOOOOOOL!!!!! golgolgol!!!!!!!!!! GOLGOLGOLGOL!!!!!!!!! golgolgol!!! GOOOOOOOL!!!!! GOLGOLGOLGOLGOLGOLGOL!!!!! GOOOOOOOOOOOOOOL!!!!!!!!!!!! zu schreien, natürlich immer vorausgesetzt, der Ball ging auf der richtigen Seite ins Netz. Verläuft das Spiel anders rum, wären dieselben Herren keine echten spanischen Fussballreporter, wenn sie durch ihr ausschweifendes und relativierendes Reden nicht die peinlichste Niederlage in einen moralischen Sieg verwandeln könnten.

Absolut grotesk aber als Sprachereignis hörenswert ist auch der Auftakt der Mittagsnachrichten von Radio National, wenn die Korrespondenten aus aller Welt zum ersten Mal mit einem Hinweis auf ihren später folgenden Bericht zugeschaltet werden. Das klingt dann tatsächlich so, als würden die über die halbe Welt verstreuten Damen und Herren ein Sprachwettrennen veranstalten. Ähnlich geht es in Katalonien ab, was dann, wegen des im Katalanischen sehr prominent vorkommenden und rund ausgesprochenen Buchstabens R tatsächlich klingt, als würden die Worte wie Kugeln aus einem Maschinengewehr geschossen: RRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRR!!!!!!!!

Dies mit schönen Grüssen aus Spanien.