Wann ist ein Krieg zu Ende?

von Gerhard Meister 8. Januar 2014

Wieder ist in Deutschland eine Bombe aus dem Zweiten Weltkrieg explodiert und hat ein Todesopfer gefordert. Sollte man die tausenden von noch nicht detonierten Bomben als eine Art unberechenbares Kriegsmahnmal betrachten?

 

Vor einer Woche fuhr auf einer Baustelle in Euskirchen in der Nähe von Bonn eine Baggerschaufel in eine Bombe aus dem Zweiten Weltkrieg. Die Druckwelle der Explosion war noch in 400 Meter Entfernung spürbar, der Baggerführer wurde zerfetzt.

War das nun ein Unfall, wie sie auf Baustellen eben passieren, oder ist der Baggerführer, weil ihn eine Bombe aus dem Weltkrieg getötet hat, ein Opfer dieses Krieges geworden? Hat der Zweite Weltkrieg vielleicht noch gar nicht aufgehört?

Tag für Tag werden irgendwo in Deutschland Strassen gesperrt und Menschen evakuiert, weil bei Bauarbeiten ein Blindgänger entdeckt wurde. Und jeden Tag rücken die Bombenentschärfer aus, pinseln sorgfältig den Dreck von den verrosteten Zündern und versuchen, diese unschädlich zu machen. Eine Arbeit mit unkalkulierbarem Risiko, das immer wieder zu tödlichen Explosionen führt. Viele Bomben gehen auch von selber los, plötzlich knallt es irgendwo auf einem Feld oder einem Hof, auch dies passiert im Schnitt einmal pro Tag. Das Risiko, dass die Bomben beim Entschärfen oder auch spontan losgehen, wird in den nächsten Jahren grösser werden. Je mehr die Zünder verrosten, desto schwerer sind sie zu handhaben. Wie viele Blindgänger im deutschen Boden stecken, weiss niemand. Experten schätzen, dass es noch 100 000 sind. Bis die letzte Bombe aus dem Weltkrieg entschärft ist, kann es noch bis zu 150 Jahre dauern.

2039, es ist absehbar, wird ein noch grösseres Gedenkjahr als 2014. Vielleicht werden noch einige Veteranen des Zweiten Weltkriegs am Leben sein, vielleicht leben auch 2045, wenn das Ende dieses Krieges 100 Jahre zurückliegt, noch zwei oder drei Menschen, die Erinnerungen haben an diesen Krieg und in deren Alpträumen alles so nah ist und so schrecklich, als wäre keine Zeit vergangen. Aber auch dann, wenn alle von ihnen tot sind und ihre Erinnerungen und Alpträume mit ihnen aus dieser Welt verschwunden, werden noch immer Bomben aus diesem Krieg explodieren, auch im Gedenkjahr zum 200-jährigen Ende des Krieges wird es mit diesen Explosionen noch nicht zu Ende sein.

Sollte man diese über ganz Deutschland verteilten Detonationen vielleicht als eine Art ungeplantes und unberechenbares Mahnmal ansehen, das an die Taten der Vorfahren erinnert und immer wieder seinen blutigen Tribut fordert? Aber zeugte es nicht von geschmackloser Exzentrik, etwas, das in den nächsten 150 Jahren Dutzende, wenn nicht hunderte Menschen töten wird, ein Mahnmal zu nennen? Solange seine Bomben töten, hat der Zweite Weltkrieg noch nicht aufgehört. Wir alle werden sein Ende nicht mehr erleben.