Bern ist überall

Weiter geht es mit Alex Katz

von Beat Sterchi 28. September 2016

Wieder und wieder landet der weisse Schmetterling auf der Himmelsblüte und im knallgelben Blütenkelch einer Kalebasse sucht eine Biene vergeblich den Ausgang. Auch was mir in den staunenden Mund geflogen ist und ich versehentlich herunterschluckte, war wohl eine Biene.

Nicht nur aus dem geliebten spanischen Garten, auch aus der schon fast grotesken Spanischen Politik müsste ich berichten, denn es sieht tatsächlich so aus, als ob es die ach so verantwortungsbewussten politischen Parteien schaffen werden, mit einem dritten Wahlgang dem doch ziemlich gebeutelten Land ein ganzes Jahr lang eine handlungsfähige Regierung zu verweigern. Nagt man da mal ein bisschen dran herum, wird einem fast schwindlig.

Aber dann las ich den Text von meinem lieben Kollegen Guy Krneta über das Buch «Der letzte Zeitungsleser».

Gut, ich reise nicht quer durch halb Spanien, um noch eine NZZ vom Tag zu ergattern, wie das Thomas Bernhard offensichtlich in Österreich getan hat. Aber mindestens zweimal die Woche fahre ich ins nahe Städtchen, um die Druckausgaben von El PAIS und von La VANGUARDIA zu kaufen. Dies sind zwei Zeitungen, die ich seit Jahren lese, die ich gut kenne, welchen ich auch dankbar bin für wertvolle Aufklärung und ungezählte Anregungen. Bei der LA VANGUARDIA gibt es sogar noch einen Bernbezug. Sie wird auf einer WIFAG-Maschine gedruckt.

Ärgerlich ist aber, dass auch diese beiden sogenannten Qualitätszeitungen zunehmend einfach allem, was schamlos nach Aufmerksamkeit schreit, auf den Leim gehen. Während wir unseren Kindern beibringen, nicht auf grossspurige Maulhelden hereinzufallen, sondern sie links liegen zu lassen und den eigenen Weg zu gehen, verleihen diese einst so stolzen Medien jedem Scharlatan beflissen eine Bühne.

Muss es sein, dass sie jetzt wieder so exzessiv über einen doch eher peinlichen ehemaligen Präsidenten Frankreichs berichten, ohne sich bewusst zu sein, dass sie nach seiner Pfeife tanzen? Ich will ganz sicher seinen Namen nicht noch einmal mehr in dieses System einspeisen, das sich hinter diesen elektronischen Zeilen hier verbirgt. Ebenso wenig wie ich den Namen jenes oberamerikanischen Oberamerikaners erwähnen will, mit dessen unappetitlicher Gegenwart diese Zeitungen meinen, mich monatelang foltern zu müssen.

Dieser Typ, bei dem man anführen könnte, er sei aus unergründlichen Gründen dort gelandet, wo er ist, wenn man es nicht besser wüsste! Er ist nur dort gelandet, weil er in jedem Medium ungerechtfertigt übervertreten ist, also jene Aufmerksamkeit bekommt, nach der er schreit wie ein Kind, die ihm aber gar nicht zusteht, weil er eigentlich von nichts eine Ahnung hat. The medium is the message! Das wussten schon unsere Grossmütter, aber nein – her das Bild! Zum tausendsten Mal! Her die Plattform! Wie platt! Wie platt!

Und was hat Alex Katz damit zu tun?

Ich habe diese Gedanken beim Lesen aufgeschrieben. Ich las das sonntags EL PAIS beigelegte Magazin und habe dabei auf unbedruckte, weisse Flächen gekritzelt. Und in diesem Magazin gibt es eine schöne Reportage über das Atelier von Alex Katz in New York. Er war mir als Künstler kein Begriff, bis ich vor ein paar Jahren mit meiner Familie durch Boston fuhr und an jedem Strassenlaternenpfahl ein Plakat von ihm mit einem Hinweis auf eine Ausstellung im Museum of Fine Arts hing.

Natürlich sind wir hingegangen.

War sehr schön!

Der letzte Zeitungsleser

von Guy Krneta 22. September 2016

Der Buchtitel hat es mir angetan: «Der letzte Zeitungsleser». Und auch der Verfasser spricht für sich: Michael Angele, Schweizer Autor und Germanist, lebhaft seit vielen Jahren in Berlin. Erst war er Mitbegründer der ersten Deutschen «Netzzeitung». Dann betreute er die Berliner Seiten der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung». Heute nun ist er stellvertretender Chefredakteur der Wochenzeitung «Der Freitag». Wenn so einer über Zeitungsleser schreibt, wissen wir: Hier schreibt einer über seinesgleichen.

Ja, das Buch ist ein Abgesang. Ein liebevoller und melancholischer. Und doch: Angele lässt keinen Zweifel daran. Es ist zuende.

Darüber empört sich Angele nicht. Er scheint nicht einmal besonders verzweifelt zu sein. Serviert auch keinen Trost, indem er beispielsweise behaupten würde, es gehe doch in der einen oder anderen Weise weiter. Angele gibt den Flaneur, der sich erinnert und fragt: Wie war das denn damals, als es noch passionierte Zeitungsleser gab und ich selber einer war?

Mit Thomas Bernhards Zeitungsbesessenheit beginnt das Buch. Als Bernhard noch dreihundert Kilometer quer durch Österreich fuhr, um eine NZZ vom Tag zu ergattern. Und es endet mit Theaterintendant Claus Peymann, der Bernhard erinnern soll, aber lieber von sich selber redet. Wie er immer noch morgens sechs Zeitungen verschlinge. Und sich ärgere über den verehrten und verstorbenen FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher, der das Feuilleton zum Nabel der Debatten machte und dabei die Kulturberichterstattung abschaffte.

Dazwischen schildert Angele Begegnungen, Gespräche, Beobachtungen und Erinnerungen. Porträtiert seinen Lieblingszeitungsleser, der seinerseits ein Zeitungsliebender ist. Kontaktiert den Dramatiker und Schauspieler Franz Xaver Kroetz, zitiert Harald Schmidt und Peter Handke. Wünscht sich von diesem den Prosaband «Versuch über die Zeitung» und schreibt den Band schliesslich selber.

Es ist ein schöner, melancholischer, anregender Rundgang, auf den uns Angele hier mitnimmt, mehr Essay als Erzählung. Noch einmal erscheint er uns in seiner ganzen Pracht: Der Zeitungsleser zwischen Feuilleton und Vermischtem. So soll er uns in Erinnerung bleiben.

 

Michael Angele, Der letzte Zeitungsleser, Galiani-Berlin, 2016

Mineur non accompagné

von Antoine Jaccoud 14. September 2016

J’évite de les regarder dans les yeux, surtout les négrillons parce souvent c’est quand même des jolis gamins, ou des jolies gamines, avec leurs grands yeux et leurs cheveux crépus, et puis tu te dis que c’est quand même pas leur faute si c’est partout la misère et le bordel chez eux, alors je mets les gants, c’est important les gants, ça te protège, et je regarde au-dessus d’eux, juste au-dessus de leur petite tête et leurs cheveux crépus, direction le panneau CFF « Brigue-Brig-Briga » si c’est à Brigue qu’on intervient, ou le panneau Domodossola des FS si on ramène ces petits gaillards aux collègues italiens.

Les arabes – Syriens, Afghans – quoique y en aient qui ont les yeux bridés, c’est drôle – les Pakistanais et tout ça – ça va mieux, j’ai moins de peine, enfin, normalement parce que l’autre jour y en avait deux, un frère et une sœur j’ai pensé, oh ils avaient quoi, 12 ou 13 ans, qui ressemblaient comme deux gouttes d’eau aux gamins de ma sœur, Ryan et Juliette, c’était pas croyable.

Là c’est vrai que dans ces moments tu es obligé de te faire un peu violence, et puis de remettre encore une fois les gants pour ne pas sentir leur peau qui tremble quand tu les reconduis.

Ensuite le café est bienvenu, tu évacues, et même une petite grappa si les gars de la Guardia di Finanza sont dans le secteur. C’est clair qu’y a des fois je regrette Sainte-Croix où j’ai fait trois ans avant d’être nommé en Valais. Une côte de bœuf en trop par ci, trois cartons de Bourgogne pas déclarés par là, un peu de hasch de temps en temps, le boulot était plus facile au fond.

Bon, après c’est vrai aussi que se balader les jours de congé sur les béquets du côté de Fiesch ou d’Aletsch c’est quand même plus agréable que le ski aux Rasses avec les hivers qu’on a eu ces dernières années. Et puis je reconnais aussi que les glaces à Domo sont meilleures qu’à Yverdon. Mais il faut quand même le dire, ramener 15 ou 20 MNA en Italie par jour sans même leur dire merde, ou simplement leur demander leur âge, c’est pas une vie non plus.

Die Möglichkeit von Leben

von Gerhard Meister 7. September 2016

Um die kleine Sonne, die am nächsten von unserer Sonne liegt, nein, nicht liegt, auch diese Sonne dreht sich ja wie die unsere um ihre Achse und dreht sich um den Mittelpunkt der Galaxie und fliegt gleichzeitig weg von jenem Ort, wo vor so und so vielen Milliarden Jahren mit einem grossen Knall – so wenigstens die vorherrschende, schon von einigen Wissenschaftlern in Frage gestellte Lehrmeinung, alles begann, Raum und Zeit also aus dem Nichts heraus eruptierten –

Um diese Sonne also, ein roter Zwerg im Zentaur, einem Sternbild, das nur am Südhimmel zu sehen ist, und genannt Proxima Centauri, da sie von unserer Sonne nur wenig mehr als vier Lichtjahre entfernt und damit von all den Abermilliarden Sonnen in unserer Galaxie die uns Nächstgelegene ist –

Um diese Sonne, die so klein und leuchtschwach ist, dass sie, obwohl uns nächstgelegen, von blossem Auge am Himmel nicht zu erkennen ist, um diese Sonne, so legen es komplizierte Bahnberechnungen nahe, die kleinste Abweichungen ergaben, die anders nicht erklärt werden können –

Um diese Sonne also dreht sich ein Planet, auf dem es von seiner Grösse her und auch, was die Temperaturen betrifft, die dort herrschen, Leben geben könnte. Leben in Form von Bazillen, Flechten vielleicht, oder es gibt dort Käfer oder noch grössere Tiere, die mit einer Intelligenz begabt sind, die der unseren ähnelt, sie möglicherweise sogar übertrifft.

Nun haben ein paar Leute mit Ideen und ein paar Leute mit Geld gemeinsam die Absicht verkündet, ein winziges Raumschiff, das im Grunde aus nichts anderem besteht als einem sehr kleinen Fotoapparat –

Haben diese Leute also verkündet, sie wollten ein Raumschiff auf einem Bündel von Laserstrahlen zu diesem Planeten schicken, um ihn zu fotografieren und damit – und vielleicht noch mit der einen oder anderen zusätzlichen Methode – festzustellen, ob das Leben dort nicht nur möglich ist, sondern tatsächlich existiert.

Und weil diese Reise auf dem Laserstrahl sehr schnell ist, viel schneller als jede andere vom Menschen bis jetzt entwickelte Fortbewegungsmethode, nämlich nur fünf mal langsamer als das Licht und damit die physikalisch überhaupt mögliche Höchstgeschwindigkeit, dauert diese Reise nicht 30’000 Jahre, wie sie mit Raketen dauern würde, wie sie heute zur Verfügung stehen, sondern nur knapp zwanzig, während das vom Planeten geschossene Foto wie jedes andere Foto, das wir täglich irgendwo hinschicken, mit Lichtgeschwindigkeit zur Erde zurückkehrt. Ein Vierteljahrhundert nach dem Raketenstart und damit, wenn wir für die Entwicklung dieser Rakete ein Jahrzehnt veranschlagen, noch innerhalb der Lebensspanne vieler Leserinnen und Leser dieser Zeilen und vielleicht auch noch zu Lebzeiten ihres Urhebers –

In nicht allzu weiter Zukunft also ist das Foto von diesem Planeten auf unseren Bildschirmen, und wir sehen uns Leben zuwinken, ja vielleicht sogar zuzwinkern, das uns an Intelligenz gleich kommt oder übertrifft, oder wir sehen Käfer kriechen oder Flechten wachsen oder sehen, weil das Leben die Möglichkeit zu existieren, die dieser ihm Planet bietet, nicht genutzt hat, nur Steine und Staub.

Auch jetzt würde ich so gerne aus meinem spanischen Gemüsegarten berichten, würde gerne schwärmen von grossen und kleinen Wundern der Natur, von unerklärlich aufrecht stehenden Sonnenblumen oder von den Bohnen, die mit langen Fühlertrieben die Stange suchen und finden. Aber noch immer hat Spanien keine Regierung und diese Tatsache muss berichterstatterisch abermals Vorrang haben. Immerhin hält sich dieser Schwebezustand schon seit mehr als acht Monaten, was nicht ohne Auswirkungen bleiben kann. Öffentliche Aufträge an die Wirtschaft werden aufgeschoben, offene Stellen nicht besetzt und wenn man bedenkt, dass hier nach jedem Regierungswechsel sämtliche Chefbeamten, inklusive der Redaktionen der staatlichen Radio- und Fernsehsender ausgewechselt werden, kann man sich vorstellen, wie gelähmt dieses Land durch die vorherrschende Ungewissheit ist.

Noch ist ein dritter Wahlgang nicht ganz auszuschliessen, was gemäss einem Nachbar im Dorf allerdings dazu führen würde, dass diese Politiker und Politikerinnen nicht mal mehr von ihren eigenen Grossmüttern gewählt werden würden.

Eine Nachbarin, die selbst längst Grossmutter ist und die grosse Teile ihres Lebens in ziemlich ärmlicher, aber typischer ruraler Mangelwirtschaft gelebt hat, behauptet dagegen, sie wüsste sehr wohl, wie man diese Regierungskrise bewältigen könnte. Sie meint, man müsste diese Herren, die sich um das Amt des Präsidenten streiten, mit einem Maultiergespann einen Acker pflügen lassen. Derjenige, der die geradesten, schönsten Furchen schafft, der müsste die Regierung bilden.

Wenn das Ganze nicht ganz so einfach ist, hat es vor allem damit zu tun, dass es in dieser relativ jungen Demokratie bisher eigentlich vor allem nur um links oder rechts und um zwei Partien ging. Und wenn es jetzt, anders als anderswo in Europa sehr schwierig ist, politische Allianzen oder gar eine grosse Koalition zu schmieden, dann hat auch das seinen Grund. Auffallend ist nämlich, dass noch jetzt, 80 Jahre danach, immer wieder vom Bürgerkrieg gesprochen wird, der einfach noch nicht richtig bewältigt ist. Interimspräsident Rajoy von der rechtsbürgerlichen Partei Partido Popular verurteilte den  Staatsstreich gegen Erdogan in der Türkei schon am nächsten Tag. Zum Staatsstreich von Franco hat seine Partei noch nie ein Wort verloren. Noch nie gab es eine Entschuldigung oder gar eine Rehabilitation der Opfer. Dass man mit einer solchen Partei nicht einfach ein Zweckbündnis eingeht, leuchtet ein. Über vieles liesse sich reden, aber über absolut Grundsätzliches eben nicht.

Und was hat Pablo Picasso damit zu tun? Es gibt mittlerweile wuchtigere, unausweichlichere, bildliche Darstellungen des Krieges – beispielsweise Gemälde zur Deutschen Geschichte, die einem alleine schon durch ihre bedrückenden gigantischen Dimensionen den Atem rauben. Aber denkt man an den Spanischen Bürgerkrieg, denkt man auch an Picasso, denn Guernica bleibt eine Ikone des Krieges schlechthin und es schadet auch heute nicht, dieses Bild immer wieder mal anzuschauen. Darin auch Aleppo und andere Schreckensorte der Gegenwart zu entdecken, fällt nicht schwer.

Mir persönlich ist auch unvergesslich, was ich hörte, als ich im Museum Reina Sofia in Madrid gerührt und ehrfürchtig lange davor stand. Da kamen zwei Amerikaner vorbei und während sie an dem Bild vorbeischlenderten sagte der eine erklärend zum andern, und zwar mit einer Selbstverständlichkeit im Ton, zu der nur Amerikaner fähig sind: «Probably the most important painting in the world!»

Vielleicht hatte er sogar recht.

Rettet die Medien!

von Guy Krneta 24. August 2016

Als vor sechs Jahren Christoph Blocher und sein Umfeld die «Basler Zeitung» übernahmen, setzten sich in Basel etliche Leute zusammen und brüteten über medialen Alternativen. Durch die neuen technischen Möglichkeiten schienen «Zeitungs»-Gründungen auf einmal wieder realistisch. Und durch die medien-politischen Gegebenheiten gab es sogar eine gesellschaftliche Notwendigkeit dafür.

Als zusätzlich eine mögliche Finanzierung sichtbar wurde – oder vielmehr: als die mögliche Finanzierung aus den Gesprächen heraus Fakten schuf, entstand im Weiteren die «Tageswoche».

Zwischen Experiment und Journalismus

Die «Tageswoche» zerrieb sich zunächst im Spannungsfeld zwischen Online-Experiment und klassischem (Print-)Journalismus. Und: Sie wollte sich der politisch-gesellschaftlichen Realität, die eigentlich zu ihrer Entstehung geführt hatte, nicht wirklich stellen.

Ein Grund dafür waren die Journalistinnen und Journalisten: Mehrere von ihnen hatten luxuriös von der untergehenden BaZ zum frisch finanzierten Modell gewechselt, ohne sich weitere Gedanken machen zu müssen. Sie hatten sich weder am Aufbau des Projekts beteiligt, noch teilten sie die Empörung grosser Bevölkerungskreise über die Vorgänge bei der BaZ. Sie waren den KollegInnen beim ideologisch-gekauften Blatt nach wie vor verbunden und erklärten, keine «Anti-BaZ» sein zu wollen.

Parallele Vorgänge in Bern

Zeitgleich entstand in Bern «Journal B». Hundert Kulturschaffende und politisch Bewegte hatten Geld gespendet, um ein Vorprojekt ausarbeiten zu lassen. Durch die Entstehung der «Stiftung für Medienvielfalt» in Basel – Hauptfinanziererin der «Tageswoche» – gab es auch für «Journal B» eine, zugegebenermassen ungleich kleinere Startfinanzierung.

Die Situation in Bern unterschied sich von jener in Basel. Während dort die Monopolzeitung von Blocher aufgekauft worden war, gab es hier zwei Zeitungen – in der Hand von Tamedia –, die für eine gewisse Meinungsvielfalt sorgten. Doch auch in Bern waren die politischen und kulturpolitischen Erwartungen an das neue Medium hoch – und wurden von diesem nicht erfüllt. Auch hier standen – im Gegensatz zur Trägerschaft im Rücken, die sich dies erhofft hatte – keine JournalistInnen am Start, die pointierten Recherche-Journalismus machen wollten oder konnten.

Die Zukunft liegt vor uns

Die Umwälzungen in den Medienunternehmen sind nicht abgeschlossen. Nach wie vor sinken die Abo-Zahlen der Zeitungen (einzige Ausnahme ist die WoZ), nach wie vor steht die Frage bedrohlich im Raum, wie sich online Journalismus finanzieren lässt. Während die Redaktionen zusammengelegt und auf Effizienz getrimmt werden, rüsten PR- und Medienagenturen von Privaten und Öffentlichen auf. Das alles macht die Sache bedrohlich wackelig.

Unlängst wurde bekannt, dass Tamedia mit dem Gedanken gespielt hat, seine Zürcher Landzeitungen sowie (je nach Informationsquelle) auch die «Berner Zeitung» gegen Blochers BaZ zu tauschen. Aus Sicht von Tamedia ist das verständlich: Ein gemeinsames Kopfblatt des «Tages-Anzeigers» mit dem «Bund» und einer neuen «Basler Zeitung» würde Sinn machen. Umgekehrt wird die Parallelstruktur mit den Zürcher Landzeitungen und der BZ auch in Zukunft zu reden geben.

Tamedia hat den Kuhhandel dementiert, Blocher hat ihn bei «Teleblocher» implizit bestätigt: «Ich sage jedem, der kommt: ‚Verkaufen tun wir nicht’. Dann sagen sie: ‚Man könnte ja etwas Grösseres machen’. Dann sage ich: ‚Dann bringt etwas’. (…) Es ist klar: alle reden mit uns. Und wir reden auch mit ihnen.» – Die ideologische BaZ ist in Basel gescheitert und Blocher möchte sie loswerden – allerdings nicht gegen Geld, sondern gegen grösseren publizistischen Einfluss. Auch wird das Dementi von Tamedia dadurch relativiert, dass unlängst eine redaktionelle Zusammenarbeit von Tagi und BaZ in den Ressorts Wirtschaft, Kultur und Sport angekündigt wurde.

Die Unruhe steigt

Das Vertrauen in Tamedia sinkt und auch beim Rechtsrutsch der NZZ stellt sich wiederum die Frage, warum Qualität aufgegeben wird zugunsten einer verstärkten meinungspolitischen Re-Positionierung. Zumal die NZZ eine grosse Leserschaft im links-liberalen Bürgertum hat. Ist hier jemand im Hintergrund bereit, die finanziellen Ausfälle aufzufangen?

Die Unruhe, die vor fünf Jahren in Basel zu beobachten war, wird nächstens auch in anderen Regionen wieder spürbar sein. Ob es dabei zu Neugründungen kommt? Oder ob die bestehenden Plattformen neu belebt werden können?

Sicher ist: Eine empörte Öffentlichkeit, ein Bedarf nach unabhängiger pointierter Berichterstattung allein reicht nicht aus. Es braucht engagierte und begabte Journalistinnen und Journalisten, die erkennen, in welch gefährdeten Zeiten wir leben.

A l’étranger

von Antoine Jaccoud 17. August 2016

S’émerveiller pour un oui pour un non. Trouver les gens gentils,

et puis serviables,  pas comme chez nous où ils sont tous stressés,

ont des sales tronches, pire que des chiens de ferme.

Trouver tout bon et surtout pas cher. Un plat de scampi grosses comme ça

pour trois francs, vous vous rendez compte ? Et servi avec le sourire en plus…

Une bouteille du vin – du pays, bien sûr, mais tout à fait buvable quand même –

pour une thune ou même moins.

Marcher des jours entiers en sandalettes, une bouteille d’eau à la main,

entrer dans des églises, des temples, des sanctuaires.

Allumer un cierge pour l’oncle parti en mai d’un cancer de la gorge.

Faire une photo loupée d’un vitrail, d’une vierge noire,

d’un dragon doré avec une grande langue.

Et puis bien sûr picniquer sur un banc, – des tomates, un bout de fromage –

s’en foutre plein les shorts, s’essuyer avec un mouchoir en papier.

Chercher ensuite des toilettes, calmement d’abord,

puis paniqué, serrant les fesses. Se dire qu’on aurait dû y aller au musée.

A l’étranger quand tu vois des chiottes, tu profites même si t’as pas besoin.

Expliquer à quelqu’un à l’hôtel qu’il y a aussi le romanche,

oui le romanche, la quatrième langue. Jamais entendu parler ?

Un mélange entre l’allemand et l’italien.

Bouffer des glaces, des dizaines, des trois boules, des gobelets, des cornets,

des une boule. En mettre une sur Facebook avec pour légende :

« tant pis pour la ligne » ou alors « on décompresse… ».

Acheter des choses. Un maillot de bain. Une poterie. Des épices.

Appeler sa maman. Lui dire que ça va bien. Qu’on a le beau, oui,

qu’on a le beau, mais qu’on va pas faire trop long parce que le roaming, tu vois.

Le quoi ? Le roaming. On revient vendredi. Quand ça? 

Vendredi, bisous, on t’embrasse, Jean-Pierre aussi.

Boire du rosé. Des litres de rosé. Des wagons-citernes de rosé.

Mais bouffer aussi des salades. Des niçoises. Des caprese.

Des auvergnates avec des noix. Des qui donnent la chiasse.

Faire une petite trotte avant d’aller se coucher.

Sur la plage, les ramblas, le zocalo.

Se dire qu’on est bien, que le temps passe vite, qu’on allumerait presque une clope

si on n’avait pas arrêté.

Qu’on enverrait bien chier, aussi, son patron, son boulot,

sa vie, sa carrière.

Et alors soupirer un bon coup en regardant les lumières

trembloter dans la baie.

Acheter encore une connerie  à l’aéroport.

Boire un jus de tomate dans l’avion. Merci mademoiselle.

Paraît que c’est bon contre le jet lag.

On était en vacances.

Es ist Sommer

von Gerhard Meister 13. Juli 2016

Sommerpause. Sommerloch, ballrundes riesengrosses Sommerloch, das die EM gerissen hat dadurch, dass sie vorbei ist. Es fallen keine Tore mehr, es fällt keiner mehr hin der 22 Millionäre auf dem grünen Gras, es fällt nur noch der Sommerregen, gefolgt, man darf es hoffen, von Sommersonnenschein.

Die Zeitungen werden dünn, die Mails bleiben aus. Die Tage fliessen ineinander. Alles ist plötzlich weit weg. Seit Tagen hat man nichts mehr von Hillary und Donald gehört. Wurde der amerikanische Wahlkampf abgeblasen? Der IS bombt noch, aber weit von hier, auch wenn die Toten in die Hunderte gehen, in der Zeitung bleiben davon nur ein paar Zeilen, einspaltig. Es ist Grillsaison.

Das Ozonloch ist weiter am Zusammenwachsen und Abheilen, die Eisbären am Nordpol haben sich auch wieder vermehrt (vielleicht nur ein Zwischenhoch auf dem Weg zur ausgestorbenen Spezies). In Kenia wurden vor kurzem viele Tonnen konfisziertes Elfenbein verbrannt, wer weiss, ob das den afrikanischen Elefanten rettet. Der indische wird als Arbeitstier überleben.

Sommerpause, gelockerter Dresscode in den Büros, aufgeweichte Ansprüche an Texte, was ihre Logik und Folgerichtigkeit angeht. Auch vom Argumentieren ist man jetzt ein wenig dispensiert. In den Schulen sind die Zeugnisse verteilt, der Lehrerin wird noch einmal die Hand gegeben (der Vater der beiden handgebunwilligen Jungs aus dem Baselländischen soll sich mittlerweile auf Al-Jazeera über die Intoleranz beschwert haben, die der von ihm an seine Söhne weiter gegebenen Tradition des Frauen Nichthandgebens in der Schweiz entgegenschlägt, so legt es jedenfalls der Blick in einen Blick am Abend nahe, der vor kurzem (Tage, Wochen oder gar schon Monate?) vom Verfasser dieser vom Sommer durchlüfteten und in die Gefilde des Ungefähren verwehten Zeilen getan ward.

Auch stilistisch (Antiquiertes in den Bereichen Wortwahl und Metaphern beispielsweise) erlaubt der Sommer Freiheiten, die der graue Rest des Jahres nicht kennt. Was ist mit den Alpen los? Bröckeln sie? Laufen die abgetauten Gletscher an ihren felsigen Wangen hinab? Natürlich bleiben Fragen. Fragen bleiben immer, aber sie drängen nicht, sie sind einem sogar ein bisschen egal.

Der Auslösemechanismus für schlechtes Gewissen, den das Fehlen von Interesse an Fragen, wo dieses nicht fehlen dürfte, darstellt, gibt sich ziemlich schlapp. Und um einen anständigen Schlusssatz, der jeder und jedem unmissverständlich das Zeichen gibt, dass es jetzt vorbei sei mit der Lektüre, kümmern sich in diesen Tagen nur wenige Unentwegte.

Sagt, was Bern bewegt, steht unter dem Logo dieses Journals. Bern bewegt bedenklich wenig, hat man da den Eindruck. Ich selbst kann auch kaum etwas zur Abhilfe beitragen, habe ich mich doch für den Sommer wieder in mein kleines Dorf in den Spanischen Bergen abgemeldet.

Wie gerne würde ich von hier wie letztes Jahr aus meinem Garten berichten, wo sich sehr viel bewegt, wenn auch meistens nur sehr langsam. Überhaupt ist so ein Garten eine hervorragende Schule der Geduld. Auch davon, wie einem in so einem Garten die Elemente wieder näher rücken und davon, wie das Scharren in der Erde und das sich Bücken vor der Natur zwar herrlich sinnstiftend, aber auch schweisstreibend sein können, davon und von vielem mehr,  gäbe es zu erzählen.

Aber Spanien hat gewählt und die Politik muss Vorrang haben.

Nachdem die letzten Wahlen vor sechs Monaten keine neuen Impulse und kaum mehr als Ungewissheit für ein doch noch immer relativ angeschlagenes Land gebracht haben, sieht es nüchtern betrachtet auch jetzt nicht viel besser aus. Wie ist es bloss möglich, dass eine Partei, die so ziemlich überall massenhaft in Korruptionsskandale verwickelt ist, die Wahlen gewinnt, wenn auch ohne das absolute Mehr? Man kann es kaum glauben!

Rajoy, der Präsident steht beim Elfmeter im Tor, ist absolut unfähig, sich zu bewegen, aber keiner trifft! sagt ein kluger Beobachter in seinem Kommentar. In der Wahlnacht, noch bevor die eigentlichen Resultate eintrafen, sah es auf Grund von Umfragen allerdings einmal kurz nach einem Sieg der Linken aus. Podemos, die neue Linke Spaniens, war dabei, die traditionellen Sozialdemokraten der PSOE zu überflügeln. Das war, ehrlich gesagt, auch keine wahnsinnig verheissungsvolle Aussicht.

Was gewänne dieses Land mit einem linkspopulistischen Präsidenten, der Mühe hat, sich von den Irrwegen Venezuelas zu distanzieren und der, das weiss ich erst, seit ich ihn ein paar Mal in der Tagesschau gesehen habe, bei schwierigen Fragen andauernd mit den Schultern zuckt wie ein störrisches Kind? Der auch noch einer Partei vorsteht, in deren Umfeld Plakate mit dem Bild von Che Guevara hoch gehalten werden. Kein Witz! Gut, ich hatte als Jugendlicher auch einmal einen Che-Poster an der Wand, aber das war vor 50 Jahren!

Auch schlimm ist: Seit man hier überhaupt wählen darf, sind nie weniger Spanier und Spanierinnen an die Urne gegangen! Noch vor den Wahlen fragte ich in einer Bar einen Bekannten, ob er sich schon entschieden habe. Da es sich um einen etwas undurchsichtigen, verschrobenen älteren Herrn handelt, ist nicht ganz klar, wie ironisch seine Antwort zu verstehen ist. Er sagte, er gehe nicht wählen, weil diesmal habe ihm niemand etwas geschenkt. Kein Halstuch, keinen Hut, keinen Schlüsselhalter! Nicht einmal ein Feuerzeug! Und mindestens ein Feuerzeug müsste bei Wahlen doch drin liegen!

Ironisch oder nicht, nach allem, was man so liest und sieht, hat man doch den Eindruck, genau das sei das Niveau, auf welchem sich für viele Spanier die Politik abzuspielen scheint. Leider.

Und was hat Pilar Albarracín damit zu tun?

Diese Video- und Performance-Künstlerin aus Madrid mit andalusischen Wurzeln wirft einen ziemlich witzigen und erhellenden Blick auf die spanische Kultur mitsamt ihrem Kitsch und ihren Abgründen, wie sie zum Beispiel im Stierkampf nicht zu unterschätzen sind. In ihren Fotoserien schlüpft sie in Rollen, vertauscht Vorzeichen und macht sich über vieles lustig, was in Spanien hoch und heilig ist. Aber nie ist sie verletzend oder unversöhnlich. Unbedingt Revolera anklicken. Da liegt die Künstlerin mit einem Stier im Bett. Das ist Spanien!

Berne est partout

von Antoine Jaccoud 23. Juni 2016

Hermann descend la Polvera. Il est 9 heures du matin. Il fait froid. Nous sommes en juin, l’hiver est en train de s’installer.

Hermann a eu du mal à s’arracher de son lit. Il avait fait tard hier soir, la faute à la Copa America et les bières qui ont suivi parce que le Chili avait battu le Panama. Il remonte alors le col de sa veste. Ses chiens le suivent.

Toto devant, collé à ses talons, Daisy derrière, et Becky loin derrière – la petite chienne a la gale, elle se ronge les pattes jusqu’au sang toutes les deux minutes.

La Polvera descendue – elle est raide et glissante, ce matin – Hermann traverse la route de terre où passe parfois une jeep et plus souvent un cheval et gagne le port.

L’Antonio est arrivé de Valparaiso ce matin. Il amène le frigo, les tomates, les avocats, les carottes et les réserves de bouillon cube qu’Hermann a commandés au Jumbo du continent la semaine dernière. “Ola Hermann” dit le capitaine qui ressemble à un ours tant il est grand et fort, et pataud.

Ola Capitan” lui répond le jeune homme. Il a le temps de bavarder un peu aujourd’hui; du match que le capitaine a écouté à la radio tout en préservant le vieil Antonio des courants trop violents, du temps qu’il fait et de l’agitation du monde dont on est si loin ici.

La saison de la langouste est terminée. Il y a la chaloupe à réparer, mais on a le temps de s’y mettre. Un what’s app sur le smartphone d’Hermann vient toutefois l’arracher à ses bavardages. C’est son cousin Victor.

Un De Rodt lui aussi. Il veut savoir quand aura lieu la séance de travail pour discuter de la fête du premier août. Il faudra là aussi sûrement prévoir de faire venir plein de trucs du continent.

Hermann et Victor  sont les descendants du baron Alfred von Rodt, un Bernois qui, en 1877, acheta l’île chilienne de Juan Fernandez pour la développer et y engloutir sa fortune. A 600 kilomètres de Valparaiso. Et à 10’000 kilomètres au moins de la Bundesplatz.

Liebe NZZ-Leserin, lieber NZZ-Leser

Wonach steht Ihnen heute der Sinn? Wie immer haben wir in unserem Angebot für alle etwas. Da wäre zum Beispiel die englische Küstenseeschwalbe, die mit ihrem Flug von den Farne-Inseln in Nordostengland runter nach Antarktika und zurück den längsten je registrierten Vogelzug absolviert hat – 96 000 Kilometer in zehn Monaten ist Weltrekord.

Oder Lisa Pathfinder, die eine noch etwas grössere Distanz zurücklegt als die englische Seeschwalbe. Der Satellit mit dem klingenden Namen «Lisa Pathfinder», der seit vergangenem Jahr unterwegs und 1,5 Millionen Kilometer von der Erde entfernt ist, steht im Dienst von Physikern, die im All nach Gravitationswellen jagen und jetzt einen bedeutsamen Zwischenerfolg feiern.

Wer sich lieber wieder einmal mit der Frage beschäftigen möchte, was denn nun Kunst sei und was allenfalls nicht, und sich damit an ganz persönliche Grenzen zu wagen traut, der kommt auf die Rechnung mit unserem Blick in die neunte Berlin Biennale für zeitgenössische Kunst. Diese wolle, so schreibt Samuel Herzog, zeigen, was es morgen bedeutet, Mensch zu sein.

Soweit der NZZ-Newsletter vom 8. Juni, den ich als registrierter Nutzer der NZZ-online jeden Tag zugeschickt bekomme.

Die zeitgenössische Kunst will uns – so die NZZ – zeigen, was es morgen bedeutet, Mensch zu sein. Was aber heisst es, heute Zeitungsleser zu sein?

Die stellvertretende Chefredaktorin der NZZ hatte vielleicht einen schlechten Tag, als sie obige Zeilen schrieb. Denn zu suggerieren, eine Zeitung sei eine Ansammlung von Texten, aus denen jeder nach spontaner Lust und Laune sich zwei, drei heraussuchen kann, um sich damit auf hübsche Weise seine Zeit zu vertreiben, das hatte sie wohl kaum im Sinn.

Zeitungslektüre als Vergnügen und Zeitvertreib, sozusagen die Konfitüre in Buchstabenform auf dem Frühstückstisch, dem widerspricht der NZZ-Newsletter gleich selber. Zu diesem gehört nämlich jedes Mal ein Zwischentitel und der lautet: Was heute wichtig ist. Und darunter aufgelistet, die wichtigen Themen des Tages. Und dieses Wichtig misst sich dann eben nicht an den wechselhaften Launen und Unterhaltungsbedürfnissen eines einzelnen Lesers, sondern an der politischen und gesellschaftlichen Relevanz eines Themas. Und genau dies ist die Aufgabe einer Zeitung: den Leser darüber informieren, was wichtig ist, ihm zu einer eigenen, informierten Meinung verhelfen und so als vierte Gewalt im Land dazu beitragen, dass die Demokratie lebendig bleibt.

Jeder weiss, wie die Zwänge des Anzeigenmarktes es den Zeitungen schwer machen, diese ihre, wie jeder zu Feierstunden der Demokratie billig bestätigen wird, wichtige und richtige Aufgabe zu erfüllen. Noch schlimmer natürlich, wenn Verleger – Guy Krneta hat vor kurzem an dieser Stelle darüber berichtet – soweit pervertiert sind, dass sie sich gegen diese Zwänge nicht mehr zur Wehr setzen und wie der Rest der Wirtschaft zu blinden Vollstreckern des einen allmächtigen Willens werden, der vom Aktienmarkt ausgeht.

Die Zeitung  als Konfitüre in Buchstabenform, das würde den Mächtigen so passen, könnte man in guter linker Tradition sagen, aber ich stelle an mir selber fest, eine Zeitung, die nicht auch als Konfitüre daherkommt, eine Zeitung also, die keine Unterhaltung im Angebot hat, nichts, was die reine Neugierde befriedigt, die Lust, irgendwas Nutzloses zu lesen, wie zum Beispiel, dass zehnmal mehr Menschen von herunterfallenden Kokosnüssen getötet werden als von Haien, eine Zeitung also, die Morgen für Morgen nichts zu bieten hätte als das, was wichtig ist, niemand würde sie lesen.

Dies schon nur deshalb, weil dann jeden Tag auf der ersten Seite die gleiche Schlagzeile zu lesen wäre, denn nichts ist wichtiger: Zehntausende von Menschen sind gestern verhungert. Und dann die Berichte aus den Katastrophengebieten, die Kommentare zum politischen Skandal, den der Hungertod in einer Welt des Überflusses bedeutet.

Der NZZ-Newsletter mit der Versicherung, dass man für jeden Geschmack etwas im Angebot habe und der gleichzeitig jenseits von allen Geschmacksfragen erklärt, was heute wichtig ist, bringt, wenn auch ungewollt, zum Ausdruck, dass eine Zeitung immer ein Kompromiss ist zwischen Unterhaltung und Information.

Je nach Gemütslage mehr oder weniger stark neige ich allerdings zur Ansicht, dass eine Zeitung schon nur dadurch, dass sie eine Zeitung ist mit festgelegten Buchstabengrössen und Artikellängen sowie einer täglich gleichen Abfolge ihrer Teile und Themen vom Ausland bis zum Wetter und zuverlässig immer an den gleichen Ort platzierten Kolumnen und Rubriken – dass eine Zeitung also schon rein durch die Ordnung, die sie als Zeitung herstellt, das Chaos der Welt und damit die Wirklichkeit verleugnet.

Wenn man in Bern über den Rathausplatz geht, muss man aufpassen, dass man nicht mit einem Regierungsrat oder einer Regierungsrätin zusammenstösst.

Gerade jetzt ist wohl wieder Session, denn auf dem Rathausplatz wimmelt es von Regierungsräten und Regierungsrätinnen, die viel zu tun haben, die in Eile sind und es gar nicht schätzen, wenn man ihnen im Weg steht oder ihnen diesen sogar versperrt, möglicherweise noch mit ihnen zusammenstösst.

Auch Grossräte und Grossrätinnen haben viel zu tun und eilen entsprechend hastig den Mani-Matter-Stutz hinunter in die Rathausgarage.

Bloss die drei Männer bei der Bank etwas weiter unten in der Schüttipromenade, die haben es nicht eilig. Einer kauert auf dem Boden und baut sich auf der Bank gerade einen Joint, einer wühlt in dem Abfallkübel und einer kontrolliert mit trägem Blick, ob der, der da kommt, eventuell ein Störfaktor sein könnte.

Ich bin kein Störfaktor! will ich rufen. Und: Aber ihr seid keine Augenweide!

Aber im Vorbeigehen sehe ich, dass alle drei einen grossen, unsichtbaren Hammer bei sich haben, mit welchem sie die Zeit totschlagen. So brutal langsam tun sie das, dass ich schon auf dem Langmauerweg bin und die Zeit jault noch immer wie ein geschlagener Hund unter den gnadenlosen Schlägen.

Auf dem Altenbergsteg kommt mir dann mit forschem Schritt eine Frau in Begleitung von zwei Männern entgegen. Ihre Schritte hallen laut auf den Planken. Als wir uns kreuzen, höre ich, wie die Frau in «richtigem» Deutsch entschuldigend sagt: Nur muss man natürlich über den Fluss irgendwo!

Über den Fluss? Natürlich drehe ich mich um, will ihr nachrufen, das sei nicht einfach der Fluss, bitte schön, das ist die Aare! Aber da sehe ich, wie die beiden Männer die Frau packen und mit vereinten Kräften ho ruck über das Brückengeländer in die hohen, vom Regen braunen Fluten schleudern.

Das stimmt natürlich nicht, hier in diesem Blog kann es ja nicht auch noch um das Erfinden unwahrscheinlicher Mordgeschichten gehen. Umso mehr, als mich auf diesem Spaziergang der Tod beschäftigte. Der wirkliche Tod! Der wirklich tödliche Tod! Nicht der zu Unterhaltungszwecken erfundene und ebenso unermüdlich wie unablässig inszenierte Scheintod.

Wie könnte ich mich aufregen über diese Leute, die noch immer jedem schlechten Schauspieler eine Pistole in die Hand drücken! Nur damit etwas passieren kann, damit eine Geschichte entsteht, weil sie nicht fühlen, dass der Tod schon da ist! Dass es ihn gibt! Dabei ist er wirklich da, wartet auf jeden von uns und als würde nicht schon überall genug gestorben! Überall und auch in nächster Nähe!

Und was hat Eduardo Arroyo damit zu tun?

Sein dem englischen Kultspieler Jeff Astle gewidmetes Werk ist zwar ein bemerkenswertes kleines Fussballbild, handelt aber auch vom Tod. Es entstand 2002 als Astle auf Grund von Hirnschäden plötzlich zusammenbrach und starb. Möglicherweise an seiner einstigen Kopfballstärke.

Zu sehen ist es gegenwärtig an der eindrücklichen Arroyoausstellung im Kunstmuseum Thun.

Die Vierte Gewalt

von Guy Krneta 2. Juni 2016

«Wenn ihr nicht zufrieden seid mit den Medien, müsst ihr aufhören, Inserate zu schalten», hatte Markus Somm Mitte April in einem Radiogespräch mit Roger Schawinski den Anzeigekunden von Zeitungen geraten.

Die Aussage aus dem Mund eines von Christoph Blocher eingesetzten Chefredaktors in Basel überrascht nicht. Und sie war auch zeitlich kein Zufall. Blocher hatte kurz davor den Medien einen temporären SVP-Inserateboykott angekündigt als Strafe für die verlorene Abstimmung bei der Durchsetzungsinitiative.

Nun ist Somm nicht nur ein von einem politischen Financier abhängiger Chefredaktor und angeblicher Zeitungsmitbesitzer, sondern gleichzeitig Vorstandsmitglied des Verbands «Schweizer Medien». So wurde auch dessen Präsident Hanspeter Lebrument, Verleger der «Südostschweiz» und Somedia AG, mit Somms Aussage konfrontiert. Und siehe – er gab ihm Recht: «Als Verleger kann ich nicht den Helden spielen und dabei einen Grosskunden verärgern», sagte Lebrument: «Eine saubere Trennung zwischen dem Werbemarkt und dem redaktionellen Teil einer Zeitung ist viel schwieriger geworden.»

Interessant ist, dass sich kommerzielle Gross-Inserenten von Migros über Coop bis Denner auf Nachfrage hin von derartigen Einflussnahmeversuchen distanzierten und die redaktionelle Unabhängigkeit von Zeitungen betonten.

Und während Medienschaffende Lebrument attestierten, er spreche nur etwas aus, was sowieso gängige Praxis sei, rechtfertigte sich dieser für seine Aussagen in weiteren und immer entlarvenderen Beiträgen. So schrieb er in der «SonntagsZeitung», er und Somm seien «Unternehmer». Und Unternehmen hätten «keine gesellschaftliche Verpflichtung, journalistische Arbeit zu finanzieren».

Ein Medienunternehmen hat keine Verpflichtung journalistische Arbeit zu finanzieren?

Während unsere demokratische Öffentlichkeit freie Medien für konstituierend hält und ihnen gar den Status der «Vierten Gewalt» zuschreibt (neben Legislative, Exekutive und Judikative), erklärt sich der Verlegerverbandspräsident zum Unternehmer ohne gesellschaftliche Verpflichtung. Und feuert am Schluss seines Beitrags eine Salve ab gegen die öffentlich-rechtlichen Medien der SRG, welche ihm das Leben schwer machten – notabene mit einer im Leistungsauftrag festgeschriebenen gesellschaftlichen Verpflichtung.

Nun hat sich der Presserat, ein von etlichen Organisationen, zu denen auch der Verlegerverband gehört, getragenes Gremium, zur Sache geäussert: «An seiner Plenarsitzung vom 24. Mai 2016 hat der Schweizer Presserat bekräftigt, dass die Unabhängigkeit der Redaktion und die klare Trennung von Redaktionellem und Werbung heute wie gestern Grundpfeiler der Glaubwürdigkeit der Medien und ihrer Daseinsberechtigung sind. Diese grundlegenden Prinzipien in Frage zu stellen, und sei es aufgrund der derzeit schwierigen wirtschaftlichen Lage der Presse, wertet er als gefährliche Entgleisung. Der Presserat bringt seine Missbilligung und sein Unverständnis zum Ausdruck, dass sich leitende Persönlichkeiten des Verlegerverbands ‚Schweizer Medien’, welcher immerhin Stiftungsratsmitglied des Presserats ist, zu solchen Infragestellungen hinreissen liessen.»

Die Stellungnahme in ihrer Deutlichkeit ist erfreulich. Und auch, dass sie – entgegen dem Trend, Entscheide des nicht sanktionsberechtigten Presserats vermehrt tot zu schweigen – von etlichen Medien aufgegriffen und verbreitet wurde.

«Ich werde immer eine Zeitung machen, notfalls für mich alleine!» Christoph Blocher in der Sendung «BILANZ Standpunkte» vom 21.9.2013.

Casablanca

von Gerhard Meister 20. Mai 2016

Vor ein paar Tagen informierte eine kleine Meldung in der Tageszeitung über den Tod von Madeleine LeBeau und damit über die Tatsache, dass nun keine der Schauspielerinnen und Schauspieler mehr am Leben sei, die im Film Casablanca mitgemacht haben.

Nun hat es einen gewissen humoristischen Wert, dass der Tod dieser Schauspielerin überhaupt in die Zeitung gefunden hat. LeBeau hat zwar tatsächlich in einer kleinen Rolle in Casablanca mitgespielt – und später noch in ebenfalls kleiner Rolle in einem Film von Fellini – aber weiter ist ihre Filmkarriere nie gegangen.

Gut möglich, dass ihr Tod keine Nachricht wert gewesen wäre, wenn sie eine ihrer Kolleginnen oder Kollegen um ein paar Jahre überlebt hätte und sie nur als zweitletzte oder gar drittletzte der Schauspieler aus Casablanca gestorben wäre.

Ich habe zwar in der Zeitung auch schon gelesen, dass jetzt der letzte Veteran des Ersten Weltkriegs gestorben sei oder nur ein einziger Mensch lebe, der noch im 19. Jahrhundert geboren wurde. Von Filmen aber hatte ich bisher ähnliches nicht gehört.

Dabei muss es Dutzende von Filmen geben, die mir wenigstens dem Namen nach etwas sagen und von deren Schauspielern wie bei Casablanca jetzt auch keiner mehr lebt.

Und natürlich gibt es immer mehr von diesen Filmen. Filme, in denen tote Schauspieler auftreten, werden immer mehr, Filme mit lebenden Schauspielern vergleichsweise immer weniger, ja schliesslich, in the very long run verschwinden die Filme mit lebenden Schauspielerin unter der Masse von Filmen, in denen Tote zu einer geisterhaften Existenz erwachen. Die einem eigentlich unangenehm sein müsste, wenn nicht unheimlich, wie alles, was die Grenze zwischen Leben und Tod verwischt.

Vor kurzem las ich – aber ich weiss nicht mehr bei welchem Schriftsteller oder ob es vielleicht sogar nur die Figur aus seinem Roman war – jedenfalls las ich von jemandem, dem es unheimlich ist, sich die historischen Filmaufnahmen von den Olympischen Spielen von 1936 in Berlin anzusehen, und das nicht, weil Hitler im Stadion ist, sondern weil dort Zehntausende von Toten zu anfeuerndem, jubelndem und buhendem Leben erwachen, sobald der Film abläuft.

Ist jemand etwas überspannt oder sogar neurotisch, wenn er Mühe hat mit Filmen, in denen Menschen zu sehen sind, die schreien, Reden halten, miteinander diskutieren, kurz alles Menschliche und Menschenmögliche miteinander tun und treiben und das quicklebendig, obwohl sie in der Zwischenzeit längst gestorben sind?

Und ist es umgekehrt völlig normal, dass man sich auf youtube anschaut, wie Max Frisch mit Kurt Furgler diskutiert, ohne es einen Augenblick seltsam zu finden, den beiden bei diesem Gespräch zuschauen und zuhören zu können, obwohl sie doch beide seit Jahrzehnten tot sind?

Sind Filme eine Art Auferweckungsapparat, der die Menschen, die wir dort sehen, ins Leben zurückholt, während das Wissen, dass sie in Wirklichkeit tot sind, durch den gleichen Vorgang verdrängt und ein Stück weit auch in Frage gestellt wird?

Oder haben wir mit Toten in Filmen kein Problem, weil wir uns den Tod sowieso nicht vorstellen können, er für uns nicht wirklich Realität besitzt?

Im Unbewussten sind wir alle unsterblich, hat Freud gesagt und ich hab’s jetzt hingeschrieben.

Und es kommt der Moment, in einem Jahr, in zehn, wo ich mir wieder einmal Casablanca anschaue. Dass in diesem Film auch eine Madeleine LeBeau mitspielt, werde ich bis dahin bestimmt vergessen haben. Und dass alle längst gestorben sind, denen ich zuschaue und zuhöre, wie sie in Rick’s Café die Marseillaise anstimmen, wird mir, ich möchte darauf wetten, nicht eine Sekunde Anlass zu irgendwelchen Gedanken sein.

Am Sonntag sind wir über Land gegangen. Von Tägertschi hinauf nach Gysenstein und über den wunderbaren Alpenpanoramaweg bis nach Grosshöchstetten. Wiesen, Matten in voller Pracht. Genau wie einst im Mai! Es war herrlich.

Wer über Land geht, muss aber vielleicht über Land zurückfahren, und das kann auch heissen, das Land erfahren. Da hört man im Bus plötzlich eine laute Männerstimme, die ungeheuerlich selbstversessen klingt und die auf unvorstellbar unanständige Art auf den Fahrer einspricht.

Plötzlich ist er lebendig und ganz wirklich und ganz nah, dieser Ton, den man höchstens aus kolportierten anonymen Leserbriefen und unglaublichen Online-Kommentaren kennt. Eine jener Stimmen, die nichts wissen und nichts wissen wollen und doch drohen und richten und lügen und morden, einer jener Stimmen also, die man eigentlich gar nicht für möglich hält!

Aber hier spricht jemand genau auf diese Art, auch noch angereichert mit einem Sonntagabendpegel, und ein anderer erträgt es stoisch, verrichtet dazu auch noch seine Arbeit.

Ich kann und will den Sprecher nicht beschreiben. Ich kann ihn nicht beschreiben, weil ich nicht mehr von ihm sehen wollte, als nicht zu vermeiden war. Und ich will nicht, weil das Wenige, was ich gesehen habe, die schlimmsten Klischees bestätigt.

Aber während ich die in stockdummer Manier vorgetragenen Unsäglichkeiten anhören musste, fragte ich mich, wie es kommt, dass eine Gesellschaft mit all ihren sozialen Einrichtungen und mit ihrem teuren Bildungssystem nicht fähig ist, ein Minimum an Anstand oder wenigstens ein Minimum an Selbsterkenntnis zu garantieren. Natürlich fragt man sich das eben so im Zusammenhang mit gewissen Vorgängen in Übersee, die auch im totalen Widerspruch zur Macht und dem Ansehen eines mächtigen Landes stehen.

Was macht der Mensch bloss falsch, dass er bald auf den Mars fliegen, gravierende zivilisatorische Rückschritte aber nicht verhindern kann?

Und was hat Eduardo Chillida damit zu tun?

Dieser baskische Bildhauer stellte Skulpturen und Plastiken her, die man als Laie sehr schwer einzuordnen versteht, die aber immer ein faszinierendes Geheimnis bergen und deren Kraft man sich nur schwer entziehen kann.

Chillida arbeitet vor allem mit Stein und Stahl und zwar meistens so gross und solid und fest, dass man meint, sich an seiner Kunst festhalten zu können, weil man darin genau das Gegenteil erkennt, das Gegenteil von jener grassierenden tumben Oberflächlichkeit und blödsinnigen, vorlauten Selbstüberschätzung, die ja nur von geradezu höllisch bodenloser Orientierungslosigkeit zeugt!

Regionalzeitungswunder

von Guy Krneta 5. Mai 2016

Zeitungen haben ein Problem. Sie haben mehr als ein Problem. Aber ihr grösstes heisst: Wie wird unabhängiger recherchierender Journalismus künftig finanziert?

Ketzerisch könnte gefragt werden, ob es einen solchen überhaupt je gab. Und angemerkt werden könnte auch, dass es fahrlässig war von der Demokratie, die Finanzierung der «Vierten Gewalt» zu zwei Dritteln der Werbewirtschaft und Kleininseratekunden zu überlassen.

«Ich mache mir grundsätzlich Sorgen»

Die Kleininserate sind ins Internet abgewandert, die Werbeeinnahmen brechen weiter ein, die Leserschaft schrumpft.

Selbst «Blick»-Verleger Michael Ringier macht sich «grundsätzlich Sorgen», wie er gegenüber der Zeitung «Schweiz am Sonntag» gesteht: «Online ist die Refinanzierung von aufwendigem Journalismus bisher nicht sichergestellt. Und Journalismus ist absolut essenziell für eine demokratische Gesellschaft. (…) Niemand weiss, wer in 10 oder 15 Jahren Recherchen finanziert.»

Zwar schreibt sein Medienmischkonzern nach wie vor kräftig Gewinne. Nahe liegend wäre, mit wenigstens einem Teil davon eine Stiftung zu äuffnen, die in Zukunft unabhängigen Recherche-Journalismus finanziert. Boomende Bereiche innerhalb des Konzerns könnten mit einem dauerhaften «Medienprozent» belegt werden. Gottlieb Duttweiler hätte so etwas vermutlich gemacht. Doch Michael Ringier ist nicht Gottlieb Duttweiler.

«Modell der Rentabilität»

Vielleicht ist ja auch alles gar nicht so schlimm. Denn es gibt, wie Medienjournalist Kurt W. Zimmermann in seiner neusten «Weltwoche»-Kolumne (Achtung, Paywall!) berichtet, auch noch andere Zukünfte, zum Beispiel das «Modell der Rentabilität». Dieses manifestiere sich, wie er schreibt, ausgerechnet in der «Basler Zeitung», die eine gänzlich andere Strategie verfolgt als Ringier. Gemäss Zimmermann ist sie eine «der wundersamsten Auferstehungen unserer Pressegeschichte».

Der Umsatz der BaZ liege heute, rechnet Zimmermann vor, bei 48 Millionen. Der Reingewinn betrage etwas über 6 Millionen.

Erreicht worden sei diese «Zeitungszukunft», in dem die Verantwortlichen das Unternehmen von allen «Zusatzaktivitäten» wie Druckereien und Immobilien befreit hätten. «Wo dieser Journalismus politisch steht, hat keine ökonomische Relevanz. (…) Bedeutsamer ist, dass man hier ein nachhaltiges Überlebensmodell für die Regionalpresse entwickelte».

Bemerkenswert

Die Zahlen, auf die sich Zimmermann bezieht, stammen aus der Zeitschrift «Schweizer Journalist» (1.5.2016), dessen Chefredaktor Kurt W. Zimmermann ist. Dort hat sie Rolf Bollmann, Verwaltungsratspräsident der BaZ, geäussert. Überprüfen lassen sie sich nicht. Das Unternehmen «Basler Zeitung Medien» ist nicht börsenkotiert: «Die BaZ ist eine private Aktiengesellschaft und gibt über Ertragslage, Darlehen etc. keine Auskünfte», hatte Christoph Blocher der Zeitung «Schweiz am Sonntag» im Juli 2014 ausgerichtet.

Doch auf der BaZ-Website weist das Unternehmen einen Umsatz von 55 Millionen Franken im Jahr 2014 aus. Bereits damals hatte es geheissen, die «erfolgreiche Sanierung» sei nun abgeschlossen. Wie kommt Zimmermann dazu, einen Umsatzrückgang des bereits sanierten Unternehmens von 7 Millionen als Erfolg zu feiern, der einen Reingewinn von 6 Millionen plausibel macht? In der Tat: Ein wundersames Geschäftsmodell.

Gemäss Erhebungen der WEMF AG für Werbemedienforschung schrumpft die Leserschaft der BaZ nach wie vor überdurchschnittlich. Allein im letzten halben Jahr (Frühjahreserhebung 2016 gegenüber Herbstdaten 2015) ist sie um 12,3 Prozent zurückgegangen. Seit der Übernahme der BaZ durch Blocher & Co im Februar 2010 hat die BaZ mehr als 40 Prozent ihrer Leserschaft verloren.

Wie war das noch mal?

Tatsächlich schrieb die Zeitungsdruckerei der BaZ rote Zahlen. Den grössten Einbruch bedeutete allerdings der Verlust des grossen Druckauftrags der Coop-Zeitung unmittelbar nach Blochers Übernahme – eine Folge der Heimlichtuerei und der unterschiedlichen Agenden von Blochers Strohmännern.

Eine Schliessung der Druckerei kam seinerzeit unter anderem nicht in Frage, da die Pensionskasse mit rund 25 Millionen unterfinanziert war. Die Druckerei Birkhäuser+GBC wiederum soll dem Vernehmen nach schwarze Zahlen geschrieben haben. Und dass die selbst genutzten Immobilien defizitär waren, überrascht. Warum hat Blocher sie dann später für 65 Millionen übernommen?

Summa Sommarum

«Das Blatt gehört heute je zu einem Drittel Blocher, Somm und dem VR-Präsidenten Rolf Bollmann. Sie bezahlten den Freundschaftspreis von rund einer halben Million Franken», schrieb Kurt W. Zimmermann an anderer Stelle («Schweizer Journalist» vom 1. März 2016).

Wer die Garantien für Kaufpreis (70 Mio), Bankschulden (92 Mio), Deckung der Pensionskasse (25 Mio), Sozialplan Druckereischliessung (3,2 Mio) usw. geleistet hat, ist mittlerweile bekannt.

Müsste die heutige BaZ jene enormen Investitionskosten zurückzahlen oder schon nur marktüblich verzinsen, wäre Zimmermanns «Modell der Rentabilität» nachhaltig unbrauchbar.

Und anzunehmen ist, dass Blocher seinen Mitbesitzern ähnliche Rückkaufpassus in den Vertrag geschrieben hat wie seinerzeit Moritz Suter.

Zukunftsmusik

Zimmermann geht es nicht um rückwärts gewandte Schönschreibung. Es geht in der Tat um eine mögliche Zukunft der Regionalpresse, der hier der Boden bereitet werden soll. Eine schrumpfende BaZ ist nicht in Blochers Sinn. Gesucht werden nach wie vor Kooperationen mit anderen Regionalzeitungen, den Tamedia-Blättern «Berner Zeitung» und «Bund» oder den NZZ-Medien «Neue Luzerner Zeitung» und «St. Galler Tagblatt».

«Alle sprechen mit allen», versichert Rolf Bollmann im Interview mit dem «Schweizer Journalist» (1. Mai 2016): «Eine Tageszeitung kann nur noch mit Kooperationen wirtschaftlich überleben. Deshalb überlegt man sich redaktionelle Synergien. (…) Wir sind sicher auch punkto Redaktionsmantel zu Kooperationen bereit, aber nur in bestimmten Ressorts: Das Ressort Inland werden wir immer selber machen – die Gründe kennen Sie.»

Ob und wie lange die zum Teil schon mit der BaZ kooperierenden Medienhäuser Tamedia und NZZ die Werbungsversuche abwehren, wenn mit solch enormen Summen hantiert wird? Vielleicht erleben wir ja bald schon unser nächstes regionales Zeitungswunder.

Crowd Funding

von Antoine Jaccoud 27. April 2016

Pour mes funérailles

j’ai décidé de recourir au crowdfunding

je n’ai pas de fortune personnelle

je souhaite laisser un peu de sous à ma femme

et je n’ai pas le courage de rédiger encore un dernier dossier

 

pour la ville

le canton

la Migros

La Fondation Nestlé

La banque cantonale neuchateloise

La Loterie romande

et Pro Helvetia

 

J’ai fait mes calculs

Si je compte

 les pompes funèbres

le  cercueil

le break Volvo gris

le pasteur

la concession de 25 ans au cimetière

la pierre tombale avec le chamois gravé dessus

le vin blanc et les petits sandwiches au jambon

j’en ai pour environ 48 500 francs

c’est beaucoup trop pour mes faibles moyens

 

***

 

J’ai donc décidé de mettre 5 000 francs de fonds propres

et de recourir au crowd funding pour le reste

 

des amis ont utilisé ce nouvel outil de financement pour un court-métrage, une éolienne, un projet de puit solaire au Soudan, et même une comédie musicale relatant la vie de Pirmin Zurbriggen, je me dis que je peux aussi tenter l’expérience pour un projet aussi personnel.

 

J’ai prévu trois types de donateurs:

 

les bronze friends

les silver friends

et les golden friends

 

les bronze friends verseront une somme comprise entre 0 et 50 francs pour le financement de mon projet.

Ce soutien leur donnera droit à un faire-part illustré (une barque sur le Lac Léman à la hauteur du château de Morges) et une photo de moi, de mon vivant bien entendu, au sommet du Gornergrat.

Les silver friends recevront un faire-part illustré également, mais au tirage limité, celui-ci étant orné d’une photo de mouettes volant au dessus du saut du Doubs, et une bouteille de vin vaudois contre un don de 50 à 200 francs.

Seront considérés enfin comme golden friends ceux et celles qui verseront 200 francs et plus pour le financement de mon projet. Ceux là seront invités à une pasta party par ma femme quelques temps après les funérailles et recevront à cette occasion l’une de mes vieilles swatch ou un de mes couteaux suisses.

Voilà. On ne dira pas que j’ai été un artiste assisté toute ma vie.

 

Si vous êtes intéressés, voici mon IBAN

Banque alternative

Projet: Participative Funeral Initiative

55-0067543-0

 

J’ajoute que je m’engage à rembourser tout le monde si le projet ne peut se réaliser.

On fait le maximum, mais avec la médecine actuelle, un échec reste hélas toujours possible.

Die ganze Schweiz hat über eine Woche lang in das gleiche Schulzimmer irgendwo in Baselland geblickt, und damit für viele unumstösslich klar gemacht, was der Islam im Schweizer Schulzimmer bedeutet: die geben der Lehrerin ja nicht mal die Hand.

Auch wenn die Leserinnen und Leser dieses Blogs, so hoffe ich wenigstens, sich mit anderen Schlüssen aus der Medienlawine heraus gerettet haben, würde ich sie doch gerne, einfach zur Erholung und zum wieder Ruhig-Durchatmen-Können, dazu einladen, die paar Minuten, die die Lektüre dieses Textes in Anspruch nimmt, noch in ein anderes Schulzimmer hinein zu schauen, das ebenfalls in der Schweiz liegt, und zwar in Altstetten. Vor ein paar Monaten war ich in diesem Schulzimmer, um dort einen Vormittag lang einen Schreibworkshop abzuhalten.

Zur Vorbereitung hatten die Schülerinnen und Schüler im Voraus einen Fragebogen ausgefüllt, den ich mir vor dem Klassenbesuch anschauen konnte. In diesem Fragebogen geben die Schüler an, wie sie heissen, was ihre Hobbies sind, ihr Lieblingsessen, ihr Lieblingsfilm, ihre Lieblingsmusik, ihr Style, was ihnen ihre Familie bedeutet, in welchem Sternzeichen sie geboren sind und so weiter. Typische Antworten sind dann zum Beispiel: Scary Movie, Lasagne und Cola, Döner, Ice-Tea, Das Schicksal ist ein mieser Verräter (Lieblingsfilm), Street Style, Air Max (Lieblingsschuhe), Rock, Rap, Remixes, Dubster, Trap, Electrik, take to the church (Lieblingsmusik), Spongebob (Fernsehserie), Fuck you Ghotte (Lieblingsfilm), Bitch, was du kannst, das kann ich schon lange (Lieblingsspruch).

Ein Punkt auf dem Fragebogen war auch die Religionszugehörigkeit. Ich weiss nicht, ob ich es ohne die täglich verabreichte Überdosis Islam aus den Medien auch getan hätte. So fing ich an, Striche zu machen und auszuzählen, was wie viele Schüler angegeben hatten. Mit folgendem Resultat: Christ, in den Varianten katholisch (4), orthodox (2), protestantisch (1): insgesamt 7. Keine Religion: 2. Hinduismus: 1, Gaht sie nüt ah: 1.  Macht insgesamt 11.

Der Rest der Schülerinnen und Schüler, das heisst 13 und somit die Mehrheit in der Klasse gab als Religionszugehörigkeit den Islam an.
Kurz darauf stand ich im Klassenzimmer und hatte leibhaftig vor mir, was ich bisher nur aus den Medien kannte: Der Untergang des Abendlandes, die Islamisierung Europas. In Gestalt von Dreizehnjährigen zwar, aber was heisst Islamisierung anderes, als dass die Moslems zur Mehrheit werden im Land? Immerhin war der Lehrer noch ein Christ, wenn auch kein Protestant, was ja eigentlich einmal zu Zürich gehört hätte, aber jetzt in dieser Klasse noch genau durch eine Schülerin repräsentiert war. Dann war der Lehrer auch nicht als Innerschweizer Katholik nach Zürich gekommen, sondern aus Brasilien.

Und ist es denn ein Trost, dass sich die Mehrheit der Moslems in dieser Klasse von den Christen, Atheisten, Hinduisten und jenen, die ihre Religionszugehörigkeit privat behalten wollen (gaht sie nüt ah) weder äusserlich noch in ihren Antworten auf dem Fragebogen, noch in den Texten, die sie geschrieben haben, unterschieden? Für den Islamophoben wohl kaum. Wenn ein islamischer Schüler beim Lieblingsspruch angibt “Ich bin nett”, dann sieht er schon die Sprengstoffgürtel, die sich hinter diesem Nettsein, das natürlich nur der Tarnung dient, verbergen.

Für die Leserinnen und Leser dieses Blogs, die, wie ich annehme, vor dem Islam keine oder nur wenig Angst haben, als unschuldiges Ratespiel noch zwei, drei Texte von Schülern aus Altstetten: Folgende vier Texte sind alle von Moslems geschrieben, ausser einem, der stammt von einem Christen. Finden Sie heraus, welcher es ist? (Auflösung auf Wunsch beim Autor erhältlich).

1. Ich möchte einen guten Job finden und alle glücklich sehen. Ich möchte einen Lohn von etwa 8000 Franken. Ich würde jeden Tag Party machen und das machen, worauf ich Lust habe.

2. Ich bin Zahnarzt und habe meine eigene Praxis. Meine Angestellten heissen Baschkin Hasan, Ezana Murtischi und Rejhan Collaku. Wir sind alle Zahnärzte. Ich habe schon zwei Doktortitel in Zahnologie.

3. Wenn ich 80 Jahre alt bin, hoffe ich, dass ich noch lebe. Wenn ja, dann würde ich den ganzen Tag nur Fernsehen schauen, das, was halt 80-jährige Leute so schauen. Und dann würde ich nur noch schlafen. Meine Ehefrau wird für mich kochen und ich würde den ganzen Tag in so einem elektrischen Rollstuhl fahren, weil es Spass machen würde und weil ich ein paar Menschen umfahren kann.

4. Die Liebe ist etwas im Leben, was man nicht so leicht bekommen kann, sondern man muss sich zuerst: besser kennen lernen, Gefühle bekommen. Man muss die Person gern haben und dann, wenn die andere Person die gleichen Gefühle hat, dann muss man es der Person sagen und wenn man es gesagt hat, dann sagt die Person vielleicht Ja. Oder vielleicht auch Nein. Aber in den meisten Fällen ist es ein Ja. Und erst dann hat man die wahre Liebe gefunden und man geniesst dann jede Sekunde mit dieser Person, weil man in ihrer Nähe einfach überglücklich ist.

Wie so oft machte ich vor ein paar Tagen einen kleinen Spaziergang auf die Münsterplattform, schaute dort auf das Barometer und sah auch, dass das Thermometer 5°C anzeigte. Als ich mich dann zur Brüstung begab, um auf die Aare hinunterzuschauen – denn jemand muss ja kontrollieren, ob das Wasser noch immer abwärts fliesst –, sprach mich ein junger Mann mit einer Kamera an.

Er fragte mich auf Englisch, ob ich die Freundlichkeit hätte, von ihm vor dem Hintergrund der Kirchenfeldbrücke ein Bild zu machen. Ja, für Nichtberner ist sogar diese, nach dem Eifelturmprinzip gebaute Stahlbrücke eine Sehenswürdigkeit.

Natürlich entsprach ich seinem Wunsch und natürlich fragte ich ihn dann, was für ein Landsmann er sei. Aus Weissrussland, zu Besuch in Deutschland und jetzt bei Freunden in der Schweiz.

Weil es sich herausstellte, dass er sehr gut Deutsch sprach, fragte ich ihn nach seinen Reiseeindrücken, auch nach dem Leben zuhause.

Den eigenen Präsidenten nannte er komisch, wobei er dieses Wort wohl anwendete, wie man es auf Berndeutsch tut. Ä komische Siech muss ja auch nichts Lustiges an sich haben.

Dass wir uns dann noch über die Literaturnobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch aus Minsk unterhielten, versteht sich. Insgesamt ein schönes Gespräch, das mich noch weiter durch den Tag begleitete.

Schon am nächsten Tag wurde ich auf dem noch völlig verlassenen Münsterplatz von zwei jungen Damen mit der gleichen Bitte auf Englisch angesprochen. Da ich einen süd-amerikanischen Akzent heraushörte, fragte ich sie, während sie mir zeigten, wie sie vor dem jüngsten Gericht fotografiert werden möchten, auf Spanisch nach ihrer Herkunft.

Sie freuten sich riesig, mit jemandem ins Gespräch kommen zu können und ich freute mich über ihre fröhliche Begeisterungsfähigkeit. Sie hatten schon so viel Europa und Schweiz aufgesogen, dass sie fast explodierten vor Freude über all die neuen Eindrücke und Erfahrungen.

Nur wenige Tage später fragte mich wiederum auf der Plattform eine sehr gediegen gekleidete, sehr ernsthafte junge Dame um die gleiche Hilfeleistung. Sie fragte: Picture please? Leider waren damit ihre Englischkenntnisse erschöpft. Ich konnte nichts aus ihr herauskriegen, das ich verstanden hätte, ausser dem Wort Shanghai.

Aber da war eine Aura, eine mir unvertraute Art Stolz und Selbstbewusstsein und eine ebenso unvertraute Anmut, die mich so stark beeindruckten, dass ich sie nicht so schnell vergessen werde und also auch durch diese kleine Zwei-Wort-Begegnung bereichert wurde.

Und warum schreibe ich das auf?

Weil ich meiner Genugtuung Ausdruck geben möchte, dass glücklicherweise noch nicht alle Touristen und Touristinnen mit einem Selfie-Stick bewaffnet die Berner Altstadt überfallen. Dieses nun im hochdeutschen Sinn komische Unding leistet nämlich sicher keinen Beitrag zur Völkerverständigung und bereichert meine Spaziergänge in keiner Art und Weise.

Und was hat Jannis Kounellis damit zu tun?

Dieser berühmte Grieche ist einer jener Künstler, die in ihren Werken den Schmerz der Gegenwart zum Ausdruck bringen können. Er tut dies oft mit Messermotiven und dem wieder mal sehr aktuellen Stacheldraht. Und gewisse gesellschaftliche  Veränderungen wie auch gewisse Erfindungen tun einfach weh. Auch dieser blöde Selfie-Stick! Man möchte die Träger prügeln damit!

Pfötchen geben

von Felix Schneider 6. April 2016

Die Jugendlichen von heute sind zu beneiden. Wir mussten uns noch richtig anstrengen, um unsere Lehrer zu ärgern. Ich erinnere mich an Aktionen wie die Verschiebung eines Lehrerautos auf dem Parkplatz vor der Schule.

Es gab damals ein leichtes, französisches Auto mit Namen „Deux Chevaux“, das eine besonders weiche Federung hatte. Wenn man es an den vorderen und hinteren Stossstangen abwechselnd niederdrückte, konnte man es in so starke Schaukelbewegungen versetzen, dass es davon hüpfte. Die Aktion verlangte Ausdauer, Geschick, Kraft und Kooperation.

Heute genügt es als 15- oder 16-Jähriger, der Lehrerin die Hand nicht zu geben. Man muss allerdings das Wort „Religion“ dazu sagen.

Merke: Wann wird aus einer pubertären Rüpelei eine Staatsaffäre? Wenn’s gegen die Moslems geht.

Nachfolgetäter haben es einfach: Leg den Fuss auf den Tisch und sage: „So Moslem beten“. Rülpse einmal laut und sage: „So Allah verdauen“.

Erfolg garantiert.

Die Lehrerin, die mit so was ganz alleine und professionell fertig werden müsste, gelangt an die Schulleitung.

Diese reagiert zwar pragmatisch. Aber dann mischt sich die Öffentlichkeit ein, das Basler Blocher-Blatt hetzt, SVP und CVP wittern ihre Chance.

In Parlament und Regierung des Kantons Baselland will man tatsächlich prüfen, ob man den Zwang, Pfötchen zu geben, juristisch oder gesetzlich absichern kann. Für Frau Bundesrätin Sommaruga ist „absolut klar“: In der Schweiz herrscht Pfötchen-Zwang.

Hatten wir in der Schule noch nicht. Ein Kind gibt das Pfötchen nicht? „das geit nid. Das geit z’wiit. Das passt nid zu unserer Kultur“, sagt die Spezialdemokratin Sommaruga.

Und man muss gesehen und gehört haben, wie sie das sagt: Diese bieder rechtschaffene Empörung, dieser Brustton des gesunden Volksempfindens. Frau Sommaruga spielt das Spiel der SVP. Ihr dünkelhafter Wahn von „unserer“ Leitkultur ist totalitär.

Patricks Geschichte hat uns berührt. So steht es in der Bahnhofshalle auf einem Werbeplakat der Allianz Versicherung mit ihrem neuen Slogan Machen Sie Ihren Weg. Wir machen mit.

Wenn ein Versicherungskonzern wie die Allianz seinen neuen Slogan unter die Leute bringt, dann mit der grossen Kelle. Es gibt neben den Plakaten auch einen Spot im Fernsehen und Anzeigen in den Zeitungen. Und dann natürlich den Clip im Netz, in dem ich die berührende Geschichte von Patrick selber mitverfolgen kann (Folgen sie ihm auf seinem Weg, allianz.ch/patrick).

Mein Umgang mit Werbung ist, so nehme ich an, der durchschnittliche. Das meiste blende ich aus, zwischendurch schaue ich hin, gelangweilt, sexuell schwach angereizt, manchmal durchaus auch unterhalten, sei es über eine besonders blöde oder besonders raffinierte Werbung.

Warum sich über Werbung aufregen? Das kann man immer sagen – und hat recht damit.

Warum rege ich mich also auf über diese Kampagne? Ich weiss doch, was Werbung ist und wie sie funktioniert: Man will etwas verkaufen, und weil wir von allem, was sich kaufen lässt, schon alles haben, kann die Werbung nicht mehr mit den Qualitäten eines Produktes (wäscht weisser, ernährt ausgewogener, kleidet warm) werben. Die Werbung muss uns etwas verkaufen, was wir noch nicht haben. Werbung ist deshalb der Ort, wo sich die Sehnsüchte und der echte Mangel einer Gesellschaft ablesen lassen. Weil wir alle so reich sind, hat sich dieser Mangel vom Materiellen ins Immaterielle verschoben, Produkte, die zwangsläufig etwas Materielles sind, können nur noch mit Immateriellem beworben werden. Die Fröhlichkeit und Ekstase, die uns aus so vielen Plakaten und Werbespots geradezu ins Gesicht spritzt, ist, keine Frage, ein Gradmesser für das Überhandnehmen der Depression und der Langeweile.

Patricks Geschichte hat uns berührt. Der Mangel, auf den dieser Satz zielt, kennen wir alle. Das Gefühl, nicht persönlich gemeint zu sein, das Gefühl, es interessiere sich niemand dafür, wie es einem selber geht. Die Abstumpfung, die man an sich selber feststellt. Dann ist der Mangel ein objektiver: Die Firma, für die man arbeitet und die Firma, bei der man kauft, interessiert sich ausschliesslich für mein Geld. Interessiert sie sich noch für etwas anderes, verstösst sie gegen die Grundregel des Kapitalismus und wird bald verschwunden sein.

Und nun behauptet also ein Versicherungskonzern, er sei ein guter Freund, der Anteil nimmt und den Weg mitmacht, den man selber geht.

Warum rege ich mich auf? Eine Firma will mir nicht mehr ihr Produkt verkaufen, sondern mein guter Freund oder vielleicht sogar mein guter Vater sein. So what? Warum betrachte ich die Behauptung des Werbeslogans in ihrer Absurdität nicht einfach als gelungenen Beitrag zum DADA-Jubiläum? Gerhard, entspann dich und geniess das Leben wie Patrick. Der trotz des Unfalls und der lahmen Beine, die er seither hat, seine Ziele verfolgt und jetzt statt mit einem Snowboard eben auf dem Monoski die Berge herunterfährt und seine Medaillen bei den Paraolympics holt. Ein Mensch, der sich durch seine Behinderung nicht behindern lässt und weiter auch in abgelegensten Gegenden seine Landschaftsaufnahmen macht. Und der von der Allianz fürs Mitmachen bei dieser Kampagne sicher eine tolle Gage kassiert hat, die ihm erlaubt, seine Träume weiterhin so effizient zu verwirklichen wie bisher. Alles in Ordnung, alles bestens!

Meine sonst so ruhigen Töchter waren aufgebracht, sogar entsetzt. Sie sagten: Wie kommt der bloss dazu, sich so in die Nesseln zu setzen! Schlimm sei auch, dass man zum Beispiel in Amerika, wo man sich diese Clips jetzt anschaue und über uns lache, keine Ahnung habe, wie man bei uns Bundespräsident werde. Die können ja nicht wissen, dass ein guter Politiker bei uns nicht unbedingt ein begnadeter Rhetoriker sein muss. Meine sonst so ruhigen Töchter redeten auch von einer Falle, von überbezahlten, aber unfähigen PR-Leuten, von Selbstüberschätzung, ja sogar von Selbstherrlichkeit. Ich solle mir das wirklich mal anschauen, so etwas Peinliches könne ich mir einfach nicht vorstellen!

Ich habe es mir nicht angeschaut und weil wir hier sind, wo wir sind, will ich auch nicht in die gleiche Kerbe hauen wie die Billigmedien. Anders als meinen sonst so ruhigen Töchtern, ist mir die Krankheit nämlich längst bekannt und wohlvertraut. Entsprechend gelassen lässt sich leicht eine Ferndiagnose erstellen:

Es ist das alte Lied: Mangelndes sprachliches Selbstbewusstsein. Der sprachlich selbstbewusste Mensch hat ein ungetrübtes Verhältnis zu seiner eigenen und eigentlichen Sprache. Ist der sprachlich selbstbewusste Mensch auch noch Bundespräsident, wird er sich ganz sicher hüten, das gesicherte Revier seiner eigenen Sprache zu verlassen. Nie wird er versuchen, sich der gnadenlos unkontrollierbaren Öffentlichkeit in einer Fremdsprache zu offenbaren. Wer dies tut, kann sich auch gleich selbst den Löwen zum Frass vorwerfen. Um Sympathien zu gewinnen, kann ein gut gewähltes, ein amüsantes Wort eingeflochten werden. Das ja. Vielleicht sogar zwei. Aber mehr als ein «Ik ben eiin Börliner!» liegt definitiv nicht drin. Kein Politiker und keine Politikerin der Welt käme auf die Idee, sich gleich in drei Fremdsprachen in die Löwengrube der Öffentlichkeit zu begeben. In drei Sprachen, wohl verstanden, nur nicht in der eigenen! Nein, so etwas tut der sprachlich selbstbewusste Mensch nie und nimmer. Schon gar nicht in offizieller Funktion. Aber es passiert immer wieder. Wer kann wissen, wie oft hochrangige Gespräche scheitern oder gescheitert sind, weil gutmeinende Politiker und Politikerinnen in den Hauptstädten der Welt ihre Fremdsprachenkompetenz überschätzen und nicht für voll genommen werden! Ja, auch Deutsch ist für viele nun einmal eine Fremdsprache und um weiteren Schaden zu verhindern, wäre es an der Zeit, auch in Berlin bei offiziellen Geschäften den Dolmetscherzwang einzuführen.

Es ist ja überhaupt nicht so, dass man hierzulande schlechter spricht als anderswo, bloss mit Fremdsprachen hat man so seine Mühe. Wie überall. Deshalb überlässt man das besonders als Würdenträger besser den dafür ausgebildeten Fachleuten.

Und was hat Ben Vautier damit zu tun?

Eigentlich nicht wahnsinnig viel, aber man erinnert sich sofort an ihn, wenn man sich überlegt, in welchen Bildern Sprache und Schrift eine Rolle spielen. Auch kann man anfügen, dass er in seinen Wandtafelsätzen eigentlich einen vorbildlich lockeren Umgang mit Sprache pflegt. Einerseits werden Worte auch bei ihm zu Material, aber sie wollen nicht unbedingt aufgeladen oder monumentalisiert werden, es fehlt der hochgestochene Anspruch, wie er in der Kunst mit Worten sonst verbreitet ist. Mit Sätzen wie «La Suisse n’existe pas» erinnert uns Ben Vautier einfach daran, dass man mit Sprache am besten so umgeht, wie es die Kinder tun: Spielerisch und lustvoll.

Il a regardé un moment la télévision avec Silvia et puis il s’est lassé de voir tous ces gens qui pavoisaient et qui en plus se réclamaient de la Suisse, alors il est passé sur les chaînes allemandes – des Porsches tournant l’une derrière l’autre au Nurbugring, une série avec des policiers en veste de cuir, des Syriens qui escaladaient encore des barrières avec des bébés sous le bras – puis est allé voir sur les chaînes autrichiennes – des décolletés, du monde, des flon-flons, de la jolie musique, mais bon, ça va un moment- avant de prendre la télécommande et d’éteindre la télé pour la soirée.

Il a alors regardé sa femme qui était venue s’installer à côté de lui sur le canapé de cuir blanc, posant ses pieds sur les cuisses de son homme comme elle aime à le faire depuis près de 50 ans quand ils sont seuls le soir, et il a dit “je crois que je vais aller me coucher, Silvia, je suis fatigué“.  Un peu inquiète, l’épouse a observé son vieux lion, et le trouvant décidément un peu patraque, lui a demandé s’il voulait que Magdalena passe dire bonsoir – “il reste un morceau de tarte de Linz au frigo“,  ou s’il préférait  qu’on appelle Oskar pour écouter ses witz un moment. Mais non, Christoph ne voulait rien de tout cela. “Je veux dormir, c’est tout, je suis fatigué” a-t-il répété, visiblement grinche, et il est sorti pisser dans le jardin, face au lac, comme chaque soir avant de se mettre sous la couette.

Dans la vaste chambre à coucher du premier étage, une fois les Calida passés, Silvia a souhaité une bonne nuit à son époux et a ajouté, bienveillante, que demain serait sûrement un autre jour. Christoph n’a pas entendu. Sous ses pamirs, il comptait les moutons pour s’endormir. Plus tard, alors que le sommeil avait enfin cueilli son homme, Silvia s’est relevée pour finir la Linzertorte.

Dieser Niqab ist kein Iro

von Gerhard Meister 25. Februar 2016

Vor kurzem sah ich zum ersten Mal im Bus auf dem Weg nach Hause eine Frau mit Niqab, also jener Kleidung, die nur einen schmalen Schlitz für die Augen offen lässt.

Schon vorher hatte ich in Zürich Frauen mit Niqab gesehen, reiche Touristinnen, die sich mit teuren Stoffen verhüllten, teure Handtaschen und teure Schuhe trugen und in deren Sehschlitzen teure Brillen steckten, der Anblick hatte für mich etwas Erheiterndes.

Ganz anders die Frau im Bus, unterwegs ins Quartier, wo sie und wo ich ein paar hundert Meter voneinander entfernt wohnen. Der Stoff ihrer Kleider waren billige Tücher, ihre Schuhe abgetragen und ärmlich, der Anblick war nicht erheiternd, sondern niederschmetternd, kein Quäntchen karnevaleske Fröhlichkeit. Zu diesem Eindruck beigetragen hat vielleicht, dass sie ihren kleinen Sohn bei sich hatte, zu dem sie kaum hörbar redete, er selber gekleidet wie alle anderen kleinen Buben im Quartier, aber sichtlich verunsichert davon, dass seine Mutter von allen angestarrt wird.

Warum erzähle ich das? Und warum so, wie es oben geschrieben steht?

Klar ist, wer über eine Frau im Niqab schreibt, der betreibt Politik, ob er will oder nicht. Im Zusammenhang mit dem Islam und was er mit sich bringt, ist heute jede Äusserung politisch und dann also je nachdem ein Statement für Toleranz oder Islamophobie.

Ich habe keine Lust, einen islamophobischen Text zu schreiben, nicht weil der Islam mir als Religion besonders sympathisch wäre (aber wohl auch nicht unsympathischer als das Christentum), sondern weil es bei Islamophobie meistens nicht um den Islam geht, sondern um Fremdenfeindlichkeit. Deshalb soll dieser Text auch nicht, wohin er im Weiteren noch führen mag, mit einer Parteinahme für ein Verhüllungsverbot verwechselt werden.

Also ein Statement für Toleranz und wacker losgeschrieben frei nach Voltaire: Ich finde zwar deine Kleidung fürchterlich, werde aber mein Leben einsetzen dafür, dass du sie tragen kannst?

Sein Leben einsetzen wie Voltaire, das möchte man natürlich nicht, und will ich mich hier für Toleranz stark machen, wo offensichtlich selbstschädigendes Verhalten vorliegt?

Wer nicht anders als so verhüllt aus dem Haus geht, der hat seine beruflichen Möglichkeiten bei uns auf Null reduziert. Ähnlich wie jemand, der sein Gesicht zutätowiert oder vollpierct. Gut, könnte man sagen, es gibt eben ein paar Leute, die nicht anders können und wollen als ihr Gesicht zu zu tätowieren oder es voll zu piercen, aus welcher Lust oder Not heraus auch immer. Und jetzt ist zum Tätowieren und Piercen eben noch der Niqab dazu gekommen, was soll’s? – jeder soll auf seine Facon selig werden, um noch eine zweite klassische Formulierung des Toleranzgedankens hier unterzubringen.

Ist es wirklich so einfach? Kann man diese Dinge überhaupt miteinander vergleichen? Und bedeutet das Tragen eines Niqab wirklich in jedem Fall selbstschädigendes Verhalten, für das das Angebot von Hilfe näher liegt als Toleranz?

Es gibt doch noch die Frau Ulli vom Islamischen Zentralrat, die ihr Gesicht auch zugedeckt hat und trotzdem ständig Interviews gibt in Zeitungen und im Fernsehen und aufmüpfig und selbstbewusst ihre Meinung verkündet. Aber Frau Ulli war mit 17 Punk, bevor sie konvertierte, und es macht ihr offensichtlich Freude, dass ihr neues Outfit den Leuten mehr einfährt als der Iro von früher.

Von dieser Freude war beim Menschen, dem ich im Bus begegnet bin, nichts zu merken. Und dass sich hinter dieser Verhüllung auch Aufmüpfigkeit und Selbstbewusstsein verbergen, die sich vielleicht bald schon in einem ganz anderen Äusseren zeigen, war kaum vorstellbar.

Es fällt sehr schwer, hier etwas anderes zu sehen, als die stumme Ergebung in den Willen eines Gottes, der dieses Opfer offenbar verlangt. Aber eben, ich bin nur am Vermuten und ausschliessen lässt sich hier eigentlich nur eines: Dass sich hinter den Tüchern ein Mann verbarg.

Dieser Gott also verlangt das Opfer nur von Frauen, ihnen schreibt er eine Kleidung vor, die sie in ihrem öffentlichen Leben stark einschränkt. Eine Frau soll im Haus für alles, ausser Haus für nichts zu gebrauchen sein. So der griechische Dramatiker Euripides. Was ist eine solche Forderung, die Frauen auf Haushalt und Kinder reduziert, anderes als sexistisch? Und was macht es besser, wenn diese Forderung offenbar von einem Gott kommt?

Und bin ich nun, wenn ich mich gegenüber diesem Gott nicht als tolerant erweise, islamophob? Selbstverständlich, denn der Gott, der dies verlangt, ist Allah. Es ist zwar nur eine bestimmte Vorstellung von Allah und eine, die unter den Muslimen in der Schweiz praktisch nicht vorkommt. Aber eine Spielart des Islam ist es eben doch, so wie auch die Mordkampagnen des IS eine Spielart des Islam verkörpern, Mordkampagnen, die sich bekanntlich vor allem gegen Muslime richten, und natürlicherweise von der überwältigenden Mehrheit der Muslime abgelehnt wird. Insofern ist die überwältigende Mehrheit der Muslime islamophob.

Das ist zwar absurd, aber die Logik lässt nichts anderes zu, solange von dem einen Islam gesprochen wird und das ist genau das, was in der politischen Debatte passiert. Rechts schert man sich nicht darum zu differenzieren, hier besteht ja eben gerade das Interesse, den Islam als Ganzes zu diffamieren. Wir auf der anderen Seite, im berechtigten Kampf gegen diese Diffamierung, versuchen den Islam als Ganzes zu exkulpieren, indem wir von allem, was am Islam problematisch ist, behaupten, es habe mit dem Islam nichts zu tun.

Das geschieht zum Teil aus Angst (man will ja nicht unter den Verdacht der Islamophobie geraten), zum Teil aus – berechtigtem – politischem Kalkül. Damit aber wird die Wahrheit verdrängt, dass Religion neben allem Guten und Grossartigen, was sie leisten kann, auch ihre unbegreifliche und manchmal verabscheuungswürdige Seite hat.