Patricks Geschichte hat uns berührt. So steht es in der Bahnhofshalle auf einem Werbeplakat der Allianz Versicherung mit ihrem neuen Slogan Machen Sie Ihren Weg. Wir machen mit.
Wenn ein Versicherungskonzern wie die Allianz seinen neuen Slogan unter die Leute bringt, dann mit der grossen Kelle. Es gibt neben den Plakaten auch einen Spot im Fernsehen und Anzeigen in den Zeitungen. Und dann natürlich den Clip im Netz, in dem ich die berührende Geschichte von Patrick selber mitverfolgen kann (Folgen sie ihm auf seinem Weg, allianz.ch/patrick).
Mein Umgang mit Werbung ist, so nehme ich an, der durchschnittliche. Das meiste blende ich aus, zwischendurch schaue ich hin, gelangweilt, sexuell schwach angereizt, manchmal durchaus auch unterhalten, sei es über eine besonders blöde oder besonders raffinierte Werbung.
Warum sich über Werbung aufregen? Das kann man immer sagen – und hat recht damit.
Warum rege ich mich also auf über diese Kampagne? Ich weiss doch, was Werbung ist und wie sie funktioniert: Man will etwas verkaufen, und weil wir von allem, was sich kaufen lässt, schon alles haben, kann die Werbung nicht mehr mit den Qualitäten eines Produktes (wäscht weisser, ernährt ausgewogener, kleidet warm) werben. Die Werbung muss uns etwas verkaufen, was wir noch nicht haben. Werbung ist deshalb der Ort, wo sich die Sehnsüchte und der echte Mangel einer Gesellschaft ablesen lassen. Weil wir alle so reich sind, hat sich dieser Mangel vom Materiellen ins Immaterielle verschoben, Produkte, die zwangsläufig etwas Materielles sind, können nur noch mit Immateriellem beworben werden. Die Fröhlichkeit und Ekstase, die uns aus so vielen Plakaten und Werbespots geradezu ins Gesicht spritzt, ist, keine Frage, ein Gradmesser für das Überhandnehmen der Depression und der Langeweile.
Patricks Geschichte hat uns berührt. Der Mangel, auf den dieser Satz zielt, kennen wir alle. Das Gefühl, nicht persönlich gemeint zu sein, das Gefühl, es interessiere sich niemand dafür, wie es einem selber geht. Die Abstumpfung, die man an sich selber feststellt. Dann ist der Mangel ein objektiver: Die Firma, für die man arbeitet und die Firma, bei der man kauft, interessiert sich ausschliesslich für mein Geld. Interessiert sie sich noch für etwas anderes, verstösst sie gegen die Grundregel des Kapitalismus und wird bald verschwunden sein.
Und nun behauptet also ein Versicherungskonzern, er sei ein guter Freund, der Anteil nimmt und den Weg mitmacht, den man selber geht.
Warum rege ich mich auf? Eine Firma will mir nicht mehr ihr Produkt verkaufen, sondern mein guter Freund oder vielleicht sogar mein guter Vater sein. So what? Warum betrachte ich die Behauptung des Werbeslogans in ihrer Absurdität nicht einfach als gelungenen Beitrag zum DADA-Jubiläum? Gerhard, entspann dich und geniess das Leben wie Patrick. Der trotz des Unfalls und der lahmen Beine, die er seither hat, seine Ziele verfolgt und jetzt statt mit einem Snowboard eben auf dem Monoski die Berge herunterfährt und seine Medaillen bei den Paraolympics holt. Ein Mensch, der sich durch seine Behinderung nicht behindern lässt und weiter auch in abgelegensten Gegenden seine Landschaftsaufnahmen macht. Und der von der Allianz fürs Mitmachen bei dieser Kampagne sicher eine tolle Gage kassiert hat, die ihm erlaubt, seine Träume weiterhin so effizient zu verwirklichen wie bisher. Alles in Ordnung, alles bestens!