In der Schweiz lieben wir unsere Besonderheiten, unsere Errungenschaften, unsere Berge. Wir ignorieren kleinere Makel und schauen nur selten mit Neid auf unsere Nachbarländer. Wieso auch? Wir machen ja schon alles so gut. Wir haben die direkte Demokratie, die Migros und wir leben in Einigkeit in vier Landessprachen.
Das viele dieser Errungenschaften in einem Prozess von intensiver, politischer Arbeit entstanden sind und es auch schon gedauert hat, die Schweizer Stimmbevölkerung von ihrem Glück (Frauenstimmrecht! Gurtenobligatorium!) zu überzeugen, geht manchmal vergessen. Dass zum Beispiel ein Schwangerschaftsabbruch in den ersten drei Monaten erst seit 2002 legal ist und dass die offizielle viersprachige Schweiz erst 1938 entstand, wissen viele vielleicht gar nicht. Bei Nichtwissen gibt es aber zum Glück Bücher. Und da auch mein Nichtwissen nicht ganz ohne ist, habe ich mir das Buch «Heute Abstimmung!» von David Hesse und Philipp Loser gekauft. Das Buch ist im November dieses Jahres erschienen und behandelt dreissig Volksentscheide, die die Schweiz langfristig geprägt haben. Dazu gehören unter anderem das Schächtverbot, das mit antisemitischen Plakaten den politischen Diskurs prägte oder die Annahme der mittlerweile in der Verfassung verankerten Schuldenbremse, von der sich auch einige andere Länder inspirieren liessen. Ich empfehle dieses Buch allen die sich für politische Diskurse, Demokratie und die Schweizer Geschichte interessieren. Ich empfehle dieses Buch aber auch allen anderen, da es dafür sorgen könnte, dass eben diese Interessen geweckt werden könnten. Denn es folgen noch viele weitere Abstimmungen, und wer weiss – die nächste grosse soziale Revolution nach der AHV steht vielleicht schon bald vor der Tür.
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Ein Freund hat mir mal ein Buch empfohlen – und obwohl es schon mehrere Monate her ist, seit ich es gelesen habe, fühle ich mich fast schon verpflichtet, es hier in dieser Kolumne weiterzuempfehlen. Die amerikanische Schriftstellerin Eula Bliss hat mit «Was wir haben» ein hervorragendes Buch geschrieben, das ich wieder und wieder lesen möchte. In meist eher kurzen Essays beschreibt die Autorin das Haben, das Sein und das Wollen auf eine ergreifende und unheimlich vertraute Art und Weise. Es geht um den Einkauf in Möbelläden und Dinge, die nicht für die Ewigkeit gemacht sind. Es geht um Wohnungen ohne heisses Wasser und Slumtourismus, manchmal auch um die Suche nach der richtigen Wandfarbe – denn es gibt mehr verschiedene Weisstöne, als das ungeübte Auge vielleicht ahnen mag. Und darüber, wie es ist, ein Spion im eigenen Leben zu sein. In einem dieser Essays schreibt sie: «Niemand versteht das Prinzip der Privilegiertheit besser als die Leute, auf die es nicht zutrifft.» Dieses Buch hat mich auf so vielen verschiedenen Ebenen abgeholt, und ich gehe schwer davon aus, dass ich nicht die Einzige bin.
Vor einer Weile habe ich in der Republik einen Beitrag über Vincent Carter gelesen. 2021 erschien das «Bernbuch» in neuer Übersetzung, in dem er die Stadt und ihre Einwohner*innen mit kritischen Augen betrachtete. Ich war gespannt auf die Analyse eines mir unbekannten Berns und habe das Buch bestellt. Er schreibt darüber, wie es war, als einziger Schwarzer Amerikaner in einer Stadt von hunderttausend Menschen zu leben, die ihn nicht gerade willkommen hiessen. Sogar fast zu Auffahrunfällen soll es gekommen sein, weil die Berner*innen so damit beschäftigt waren, den Autoren schamlos anzustarren. Auch eine Stelle in einem Supermarkt in der Obstabteilung wurde ihm angeboten, weil er sich doch so gut als Bananenverkäufer eignen würde. Diese Anekdoten sind nur unschön zu lesen. Auch, weil sie nicht, wie man denken mag, aus dem 17. Jahrhundert stammen, sondern Bern in den 1950er-Jahren widerspiegeln, ein Jahrzehnt, das eigentlich nicht so weit entfernt scheint. Dennoch werden in dem Buch Gefühle beschrieben, die auch im Jahr 2024 wohl vielen Menschen bekannt sind. Absolut lesenswert! Für die wohlverdiente Auszeit über die Festtage habe ich mir auch seinen Roman «Such Sweet Thunder» bestellt. Ich bin gespannt! «Such Sweet Thunder» ist übrigens diesen Sommer erstmals in der deutschen Übesetzung erschienen. Journal B hat in zwei Teilen darüber berichtet.