Wie viele Sprachen sprichst du?

von Lea Schlenker 8. April 2025

Lea Schlenker präsentiert in ihrer Kolumne jeden Monat drei Literaturtipps. Dieses Mal: ein Buch zur Mehrsprachigkeit, ein Roman einer Nobelpreisträgerin und ein Kurzgeschichtenband des kürzlich verstorbenen Peter Bichsel.

Im Jahr 1938, einer Zeit grosser Unsicherheiten und lauernder Katastrophen, wurde Rätoromanisch offiziell als die vierte Landessprache der Schweiz anerkannt. Das entschied ein Volksentscheid mit 91,6 Prozent Ja-Stimmen. Wer in Bern lebt, weiss, dass auch unser Kanton zweisprachig ist, und vielleicht hatte jemand von euch schon mal das Glück, einen Brocken Matteänglisch aufzuschnappen.

Auch für Menschen, die sich wenig mit dem Thema Vielsprachigkeit auseinandersetzen, ist es fast schon selbstverständlich, dass die Schweiz ein mehrsprachiges Land ist. Wer im Zug von Zürich nach Bern einschläft und die Bundesstadt verpasst, wacht sehr wahrscheinlich in einer anderen Sprachregion wieder auf. Das Thema Mehrsprachigkeit ist ein Politikum und Schweizer Seele zugleich, wie auch der Film «Bonschuur Ticino» wundervoll aufgezeigt hat. Mehrsprachigkeit kann viele Facetten und Ausprägungen, allen voran aber auch viele Vorteile haben.

Darum geht es auch im Buch «Die Macht der Mehrsprachigkeit» von Olga Grjasnowa. Sie erzählt darin zum einen von ihren eigenen Erfahrungen in einem mehrsprachigen Haushalt, aber auch davon, wie gewisse Formen von Mehrsprachigkeit in unserer Gesellschaft als erstrebenswert und andere als eher unbedeutsam oder sogar problematisch wahrgenommen werden. Beispielsweise werden Kinder schon früh auf Englisch oder Französisch unterrichtet, während Kinder aus geflüchteten Familien sich für die Sprachen ihrer Herkunftsländer rechtfertigen müssen. Ein spannendes Buch über Sprachen mit Blick auf politische, gesellschaftliche und kulturelle Dimensionen.

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Auf einer Liste mit den besten Büchern, wie es sie ja immer mal wieder gibt, habe ich das Buch «Atemschaukel» von Herta Müller entdeckt. Der Roman ist 2009 erschienen und erzählt die Geschichte von Leopold Auberg, einem siebzehnjährigen jungen Mann aus Rumänien, der in das Arbeitslager Nowo-Gorlowka in der Sowjet-Ukraine deportiert wird. Ich habe das Buch trotz der Schwere sehr gerne gelesen, einfach weil es die Autorin – und Nobelpreisträgerin – so gut geschafft hat, die Geschichte in einer zugänglichen und mitfühlenden Sprache zu verfassen. Die grauenhaften Alltäglichkeiten in den Lagern sind unbeschönigt dargestellt und lassen die Leserin fragend zurück. Sehr empfehlenswert!

Ich muss in dieser Kolumne noch den kürzlich verstorbenen Peter Bichsel würdigen. Es gibt ein Interview mit ihm in der Republik aus dem Jahr 2018, das habe ich bestimmt schon um die zehn Mal gelesen. In diesem Interview bezeichnet er Lesende als buchstabensüchtige Menschen, womöglich politisch engagierte Spinner und Leute, die ihren Kopf nicht bei der Arbeit haben, sondern in Russland bei Tolstoi.

Das Interview sorgt bei jeder Lektüre dafür, dass meine Liebe zum Lesen, zum Schreiben und zur Literatur generell immer wieder von neuem in mir ausbricht. An dieser Stelle möchte ich allen ans Herz legen, auch mal etwas von Bichsel zu lesen, zum Beispiel sein 1964 erschienener Kurzgeschichtenband «Eigentlich möchte Frau Blum den Milchmann kennenlernen». In dem Band versammeln sich 21 Kurzgeschichten, die unter anderem von Verlustängsten, Nachbarschaft und Alltagstrott handeln.