«Wir möchten als Kollektiv widerständig sein»

von Lea Schlenker 22. Juli 2024

Sommerserie: Phänomen Kollektive Das Kollektiv Kitzeln veranstaltet viermal jährlich eine Lesebühne für TINFA-Personen im Stauffacher in Bern. Mitbegründerin Lea Schlenker erzählt von den Zielen des Kollektivs und was die Spice Girls damit zu tun haben.

«Als Teenager in den Nuller-Jahren, der Zeit der Low-Rise-Jeans und künstlich aufgeblähten Immobilienmärkte, bin ich – wie alle anderen auch – mit Girl Groups aufgewachsen. Allen voran die Spice Girls, die in den wilden, Euro Dance geprägten 90er-Jahren zusammengefunden haben. Mit gecasteter Girl-Power sollte eine möglichst heterogene Gruppe zusammengestellt werden, um so eine breite Fanbasis abholen zu können. Die Spice Girls waren aufmüpfig und von der Riot Grrrls-Bewegung inspiriert, zelebrierten an ihren Konzerten feministische Solidarität und Selbstbestimmung, bis sie sich dann halt irgendwann mal auflösten.

Wir beim Kollektiv Kitzeln sind keine Girlband – und schon gar nicht die Spice Girls. Aber irgendwie sind sie mir doch in diesem Moment, wenn ich diesen Text über unser Kollektiv schreibe, sehr präsent. Dabei sind die Spice Girls kein Kollektiv, und die 2000er Jahre in vielen Bereichen eher schlecht gealtert. Wer aber von einem Kollektiv spricht, meint damit in der Regel Menschen, die gemeinsam ein Ziel vor Augen haben, für eine Sache einstehen und ein gemeinsames Vorhaben teilen. Eine Gruppe von Menschen, die auf freiwilliger Basis etwas kreieren möchten. Das haben wir vier – Fine Degen, Mia Ackermann, Sarah Altenaichinger und Lea Schlenker – für uns ebenso gedacht.

Eine Magie, die Gleichgesinnte vereint, und die uns stark und mutig macht

Wir haben uns 2022 zusammengefunden mit dem Wunsch, in der mehrheitlich männlich dominierten Literaturszene ein bisschen mitzumischen. Bühne, Brüste, Backstein. Zu oft haben wir schon von sexistischen Sprüchen vor oder hinter der Bühne, all-male Lineups oder vom Begriff ‘Frauenliteratur’ in einem abwertenden Kontext gehört.

Obwohl wir uns zu diesem Zeitpunkt privat noch wenig kannten, haben wir uns vereint mit dem Ziel, eine feministische Lesebühne zu veranstalten. Dabei merkten wir schnell, dass wir uns mit diesem Ziel und dem Traum einer Literaturbühne, die für alle ein safer space sein soll, auf eine ganz besondere Art und Weise verbündeten. Diese unsichtbaren Bänder, das gemeinsame Verständnis für eine Sache, darin liegt ein besonderer Zauber, den wohl viele kennen, die in einem Kollektiv aktiv sind. Eine Magie, die Gleichgesinnte vereint, und die uns stark und mutig macht. Und das ist vermutlich auch der Grund, weshalb wir uns für ein Kollektiv entschieden haben.

Das Kollektiv Kitzeln vor dem Welttelegrafen-Denkmal (Foto: David Fürst).

Seit unserem Zusammenschluss veranstalten wir nun viermal jährlich eine Lesebühne im Stauffacher in Bern (Journal B berichtete). Auf der Bühne sind Wortkünstler:innen unterschiedlicher Genres zu finden – von klassischer Lyrik über Slam Poetry bis hin zu journalistischen Texten oder Prosa. Dabei ist bei uns auf der Bühne nicht nur Literatur zu finden, es findet jeweils auch eine musikalische Darbietung statt. Im Gegensatz zu vielen anderen Bühnen laden wir aber ausschliesslich TINFA-Personen zu uns ein, um ihnen einen safer space zu bieten, in dem sie ihre Kunst vortragen können.

Vielleicht denke ich an die Spice Girls, weil ich, wenn ich über die Ära der 1990er- und 2000er-Jahre lese, eine starke Verbundenheit mit diesen Frauen spüre. Feminismus war in diesen Jahren alles andere als en vogue. Die Gesellschaft war Frauen, die den traditionellen Rollenbildern widersprechen, nicht gerade wohlgesinnt. Auch wenn sich einiges verändert hat seit diesen Jahren, ist doch noch manches gleich.

Und diesen Widerstand leisten wir nicht allein. Wir leisten ihn mit allen Menschen, die an unsere Veranstaltungen kommen und damit zeigen, dass es eine feministische Lesebühne braucht

Wir als Kollektiv stehen nun seit 2022 zusammen auf der Bühne und haben trotz unterschiedlicher Alltags- und Lebensrealitäten eine gemeinsame Verbindung: Wir möchten als Kollektiv widerständig sein. Wir möchten widerständig sein in einer Gesellschaft, die nach wie vor den dritten Geschlechtseintrag für unnötig hält, immer noch kurze Röcke für Gewalt verantwortlich macht und in der Diversität auf Bühnen vielerorts noch ein Fremdwort ist.

Und diesen Widerstand leisten wir nicht allein. Wir leisten ihn mit allen Menschen, die an unsere Veranstaltungen kommen und damit zeigen, dass es eine feministische Lesebühne braucht. Wir leisten ihn mit all den Menschen, die mit uns die Bühne teilen. Wir leisten ihn mit allen Verbündeten und aktivistischen Menschen, die grössenwahnsinnig genug sind, die Welt verändern zu wollen. So sehen wir auch die Zukunft des Kollektiv Kitzelns: vielleicht irgendwann mal mit abgeänderter Form oder Besetzung, aber auf alle Fälle immer gemeinsam. Alle sind willkommen, die den Feminismus auf die Literaturbühnen tragen wollen.»

«Wir leisten den Widerstand mit allen Verbündeten und aktivistischen Menschen, die grössenwahnsinnig genug sind, die Welt verändern zu wollen» (Foto: David Fürst).