Freitagabend 20:00 Uhr, in der Buchhandlung Stauffacher versammeln sich 70 Menschen in der Abteilung für Lebenshilfe und Kunst. Die Büchertische sind auf die Seite geschoben und haben den Stuhlreihen Platz gemacht. Die Atmosphäre erinnert an eine improvisierte Kirche mit einem langen Gang, der zur Bühne führt, wo Mia und Sarah das Publikum begrüssen. Eingeladen haben Fine Degen (sie), Lea Schlenker (sie), Mia Ackermann (they), Sarah Altenaichinger (sie), die gemeinsam das Kollektiv Kitzeln bilden. Sie haben den Wunsch, FINTA-Autor*innen mehr Platz auf Bühnen zu geben.
Tanasgol Sabbagh, Dichterin und Spoken Word Künstlerin, trug zwei Texte vor, die sich dem Thema des Abends «Zweifel(n)» widmeten, und Anouchka Gwen umrahmte den Abend mit 4 musikalischen Stücken auf ihrem Bass.
Das Kollektiv Kitzeln ist aus dem Wunsch entstanden, in der männlich dominierten Literaturszene mit einer feministischen Lesebühne einen Gegenpol zu schaffen und die Literaturwelt inklusiver zu gestalten. Die Lesebühne soll ein sicherer Ort sein, in dem sich FINTA-Autor*innen wohl auf der Bühne fühlen können. Sie wollen nebst dem feministischen Aspekt auch, dass die Leute Spass an der Literatur und der Musik haben und gemeinsam eine gute Zeit verbringen. «Unsere Veranstaltungen organisieren wir jeweils zu einem Themenbereich, wie beispielsweise Hitze (Juli) oder Beziehungen (Februar). Diese Themen sind vor allem für uns als Stammteam und für die Moderation da, wir orientieren uns in unseren Texten an diesen Themen. Den Gäst*innen ist es jeweils frei, ob sie das möchten oder nicht. Wir überlassen ihnen, was sie in ihrer Zeit lesen möchten, solange es nicht gegen unsere Grundsätze verstösst. Wir möchten auch in unserem Programm eine möglichst hohe Breite an Diversität aufweisen und Autor*innen verschiedenen Alters, Herkunft und Schreibstil bei uns haben. Ob Lyrik, Theater, Rap, Prosa – es soll alles bei uns Platz finden.»
Um herauszufinden, wie die Autor*innen mit Zweifel(n) umgehen, habe ich sie spontan gefragt: «Was spielt der Zweifel für eine Rolle in eurem künstlerischen Prozess?»
Lea: «Beim Schreiben ist der Zweifel sehr stark da, es ist eine Arbeit, die ich alleine mache. Man schreibt an einem Text und weiss nicht, auf was für eine Resonanz er stösst. Kunst ist subjektiv, es ist keine Mathematikaufgabe, wo ich hinterher kontrollieren kann, ob die Lösung stimmt oder nicht. Der Schreibprozess ist eine Achterbahnfahrt, manchmal mag ich meine Texte und manchmal zweifle ich daran, ob sie überhaupt von jemandem gemocht werden. Zweifel ist ein Begleiter, der immer da ist. Manchmal leiser, manchmal lauter.»
Mia: «Ich zweifle daran, ob meine Texte genug gut sind und ob sie genügen, um auf einer Bühne vorgetragen zu werden. Aber dann denke ich immer, es ist mega wichtig, dass TINFA Personen mehr Präsenz auf Bühnen haben, dass sie mehr Kunst machen. Andersherum zweifle ich auch daran, ob meine Stimme überhaupt benötigt wird in dieser Welt. Als weisse Person frage ich mich auch, was ich zu sagen habe auf einer Bühne. Was ist bisher nicht gesagt worden oder wäre es nicht besser, die Bühne freizumachen für Menschen, die weniger Platz auf Bühnen einnehmen können aus strukturellen Gründen? Diese Frage treibt mich um und ich habe keine Antwort gefunden, vielleicht gibt es auch keine.»
Sarah: «Die Möglichkeiten des Textes sind unbegrenzt. Durch das ist man bei jedem Satz unsicher, ob es der perfekte Satz ist. Nach einigen Jahren Bühnenerfahrung habe ich das Schreiben für die Bühne ein bisschen im Gefühl. Aber dann zweifle ich doch wieder und denke, ich könnte ja jeden Satz auch auf andere Art schreiben, und das noch mehr bei Prosa oder Lyrik. Oft frage ich mich auch, ist es überhaupt nötig, dass ich schreibe? Es gibt so viele Menschen, die schreiben, die spannender schreiben… aber dann bekomme ich oft doch wieder Freude am Text und entscheide mich trotzdem fürs Schreiben.»
Nach den Auftritten versammelten sich das Team, das Stauffachers, die Artist*innen und das Kollektiv Kitzeln noch in der Cafeteria der Buchhandlung, wo Carola vom Stauffacher ein Buffet vorbereitet. Hier lassen wir bei Kürbissuppe, Tsatsiki und Aprikosenkuchen den Abend ausklingen.
Auch im 2024 veranstaltet das Kollektiv Kitzeln weiter, und zwar am 8.3, 24.5, 27.9, 29.11. Den Auftakt macht Meral Kureyshi, die Autorin von «Elefanten im Garten» und «Fünfjahreszeiten».