Soll das Gaswerkareal nach den aktuellen Plänen überbaut werden?

von Nicolas Eggen 21. November 2025

Abstimmungsdebatte Ende November steht eine wichtige städtische Abstimmung zur Überbauung des Gaswerkareals an. Journal B hat Max Gnant, Bewohner der Anstadt und Dominik Fitze, Fraktionspräsident der SP im Stadtrat zum Streitgespräch über die Zukunft des Gaswerkareals getroffen.

Auf dem Gaswerk-Areal plant die Stadt Bern ein neues Quartier mit rund 500 Wohnungen (Journal B berichtete). Mindestens die Hälfte der Wohnungen soll von Genossenschaften gebaut werden, ein weiteres Viertel ist als preisgünstiger Wohnraum der Stadt vorgesehen. Der Gaskessel bleibt als Jugend- und Kulturzentrum erhalten (Journal B berichtete).

Am 30. November entscheidet die Berner Stimmbevölkerung über die Zonenplanänderung mit Planungspflicht (ZPP). Sie definiert den Rahmen der künftigen Nutzung. In einer zweiten Vorlage geht es darum, ob der Gemeinderat die Baufelder im Baurecht vergeben darf und ob ein Kredit von rund 25 Millionen Franken für die Infrastruktur des Areals gesprochen wird. Gleichzeitig wird über die Aufwertung des «Brückenkopf West» abgestimmt, der das Monbijou-Quartier mit dem Gaswerk-Areal verbinden soll. In dieser Zone mit Planungspflicht soll ein Hochhaus entstehen.

So soll die neue Überbauung auf dem Gaswerkareal aussehen. (Visualisierung: Stadt Bern)

Der südwestliche Teil des Gaswerk-Areals wurde vor sieben Jahren von der Anstadt besetzt (Journal B berichtete), mittlerweile leben dort rund 50 Personen. Durch die geplante Überbauung der Stadt ist die Anstadt in ihrer heutigen Form gefährdet. Noch bis zum Baustart darf die Anstadt bleiben. Die Anstädter*innen wehren sich gegen die Pläne der Stadt. Sie haben Einsprache erhoben und lehnen die Vorlagen ab.

Journal B hat Max Gnant, Bewohner der Anstadt und Dominik Fitze, Fraktionspräsident der SP im Stadtrat zum Streitgespräch über die Zukunft des Gaswerk-Areals getroffen.

Journal B: Max Gnant, Sie wohnen nun seit dreieinhalb Jahren in der Anstadt. Was kritisiert die Anstadt an den Plänen der Stadt zum Gaswerk-Areal?

Gnant: Es findet kaum eine Debatte über die Möglichkeiten für das Gaswerkareal statt. Kritische Stimmen werden unterschlagen. Wir wollen uns bemerkbar machen und zeigen, dass nicht alle einverstanden sind. Das Projekt ist uns zu wenig mutig und visionär. Ausserdem finden wir den gewählten Ort nicht ideal. Wir sind selbstverständlich für günstigen Wohnraum. Aber am liebsten an einem Ort, an dem weniger auf dem Spiel steht und der besser passt. Nicht allein wegen uns. Wir sind nicht fünfzig Freaks, die dort privilegiert wohnen und sich deshalb sperren. Bei Freiräumen geht es um mehr – das ist uns wichtig, zu vermitteln.

Wenn wir ein Gebiet, das jetzt der ‹Zone öffentliche Nutzung› angehört, umzonen, um dann einen Teil privatisiert und marktwirtschaftlich orientiert zu vergeben, ist das für mich eine Niederlage.

Auf der Webseite schreibt die Anstadt von einem «nur scheinbar sozialen und progressiven Projekt». Können Sie noch etwas mehr dazu sagen?

Gnant: Das Etikett günstiger Wohnraum zieht von links bis rechts sehr gut. Aber man muss immer genauer hinschauen, was günstiger Wohnraum denn bedeutet. Im Fall des Gaswerkareals bedeutet es: 25 Prozent des gesamten überbauten Areals werden preisgünstig, also als subventionierter Wohnraum vergeben. 50 Prozent soll in Kostenmiete vergeben werden…

Also zu einem Mietzins, der nur die tatsächlichen Finanzierungs- und Betriebskosten des Vermieters abdeckt, ohne dass dieser Gewinn erzielt…

…. das heisst aber nicht per se günstig. Vor allem nicht, wenn es sich um Neubau handelt. Neu zu bauen ist immer teuer. In unseren Augen wird dort höchstwahrscheinlich der Mittelstand wohnen. In der Summe ist es für uns zu wenig niederschwellig. Zudem soll ein Viertel des Areals marktwirtschaftlich orientiert bebaut und vermietet werden. Dass die Stadt Geld braucht, um das Projekt zu finanzieren, ist verständlich. Aber wenn wir ein Gebiet, das jetzt der «Zone öffentliche Nutzung» angehört, umzonen, um dann einen Teil, zumindest über Zeit, privatisiert und marktwirtschaftlich orientiert zu vergeben, ist das für mich eine Niederlage.

Max Gnant wohnt seit dreieinhalb Jahren in der Anstadt und kennt das Problem der Überschwemmungen auf dem Areal. (Foto: David Fürst)

Dominik Fitze, Sie sind Fraktionspräsident der SP im Stadtrat. Was sagen Sie zur Kritik der Anstadt?

Fitze: Hinter dem Projekt steckt – wie bei vielen Bauprojekten – ein langer Prozess. Die Tragik dieser Vorlage ist, dass dieses tolle Projekt Anstadt entstanden ist, nachdem der politische Prozess schon angestossen worden war. Als man entschieden hat, was wir auf dem Areal machen, war dort noch eine grüne Wiese und eine Industriebrache, die Anstadt ist erst später dazugekommen.

Kostenmiete heisst nicht, dass es zum Einzugstermin definitiv günstig wird. Aber es steckt kein Immobilienkonzern dahinter, der in den nächsten 30 Jahren die Miete für die eigene Rendite erhöhen wird.

Und zum Thema preisgünstiger Wohnraum…

Ich glaube, dabei handelt es sich um ein Missverständnis. Wir schaffen günstigen Wohnraum, wenn es uns gelingt, die Neubauten günstig zu bauen. Das kann man. Das ist auch ein Auftrag an die Stadt, die die Baufelder dementsprechend vergibt. Ein Beispiel ist das Projekt «Hubergass» in Holligen. Dort hat die Stadt das Projekt jener Genossenschaft gegeben, die am günstigsten baute. Bei den Baufeldern, die Teil der Abstimmungsvorlage sind, haben wir die Möglichkeit von Kostenmiete und sehr günstigen Baukosten. Kostenmiete heisst nicht, dass es zum Einzugstermin definitiv günstig wird. Aber es steckt kein Immobilienkonzern dahinter, der in den nächsten 30 Jahren immer wieder die Miete für die eigene Rendite erhöhen wird. Natürlich ist es am Schluss auch in einem gewissen Sinn Wohnen für die Mittelklasse, aber auch Normalverdienende sehen sich mit immer höheren Mieten konfrontiert. Aber ich glaube, es liegt auch an den Genossenschaften, die dort bauen werden, ganz konkrete, tolle Projekte zu entwickeln, die günstig sind, eben nicht nur eine Mittelschicht ansprechen und auch neue, experimentelle Wohnformen zulassen.

Dominik Fitze steht als SP-Fraktionspräsident im Stadtrat hinter den Überbauungsplänen der Stadt. (Foto: David Fürst)

Weshalb hat sich die SP nicht dafür eingesetzt, dass hundert Prozent des Wohnraums preisgünstig wird?

Fitze: 2018 hat der Stadtrat über diese 75 Prozent preisgünstigen Wohnraum entschieden. Das klingt jetzt aus der Distanz ein bisschen komisch – aber 2018 war es neu, zu sagen: wir wollen hier 75 Prozent genossenschaftliche und städtische Wohnungen. Es ist übrigens auch das erste Projekt seit längerem, wo die Stadt so viele Wohnungen baut, auch das ist ein bewusster politischer Entscheid. Zudem muss uns bewusst sein, dass wir jetzt seit zehn Jahren über das Gaswerkareal sprechen. Es wird nie ein Projekt geben, das perfekt ist! Bei solchen Bauprojekten gibt es unzählige Parameter, die stimmen müssen. Aber ich finde, es ist wichtig, dass wir in der Wohnungskrise bezahlbare Wohnungen bauen. Denn wenn diese Wohnungen erst in zwanzig Jahren kommen, wenn wir jetzt ein neues Projekt auflegen, dann haben die tausend Leute, die dort einmal wohnen sollen, nichts davon.

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Max Gnant, was verliert Bern, wenn es die Anstadt nicht mehr gäbe?

Gnant: In allererster Linie verliert die Stadt eine riesige Freifläche. Die grösste Grünfläche auf städtischem Boden mit der höchsten Biodiversität und einen wichtigen Naherholungsraum.

Fitze: Naja, das Gaswerkareal hat eine Naturfläche, aber es ist teilweise auch einfach eine grosse Industriebrache, die seit langem leer steht. Wir waren vorhin fürs Foto auf einem Teil, der sehr grün ist. Aber es gibt viel versiegelte Fläche aus Beton.

Gnant: Uns scheint das Gaswerkareal einfach nicht der geeignetste Ort für verdichtetes Bauen zu sein. Es ist eine Schwemmebene. Mindestens alle zwei Jahre steht das Wasser bis zu einem Meter hoch. Und das ist nicht nur unsere Meinung. Es gab während des städtebaulichen Wettbewerbs eine Gaswerk-Charta verschiedener Architekturbüros, Städteplaner*innen und Landschaftsschützer*innen, die zehn Gründe geliefert haben, warum man auf dem Gaswerkareal gar nicht bauen sollte. Weil es eben städteplanerisch und auf weite Sicht gesehen in Bern bessere Entwicklungsareale gibt, die bereits bebaut sind und noch verdichtet werden könnten.

(Foto: David Fürst)

Herr Fitze, weshalb kann man denn nicht verdichtet in Gebieten bauen, die bereits bebaut sind, wie beispielsweise dem Kirchenfeld?

Fitze: Ich gebe dir völlig recht, Max, wir müssen verdichten in dieser Stadt. Wir haben genug Areale, wo man sich wirklich überlegen muss, ob man dort nicht dichter bauen kann. Dort haben wir aber die direkte Handhabe nicht. Die haben wir nur dort, wo der Boden der Stadt gehört.

Gnant: Mir scheint einfach, Bern verpasst die Möglichkeit, etwas wirklich Zukunftsweisendes zu realisieren, das den Hebel bei der Wohnungsnot anders ansetzt, als einfach den Privaten hinterher zu bauen. Ich würde hier sehr gerne Jacqueline Badran erwähnen, die sagt: «Wohnungsnot gibt es, seit ich lesen kann.» Und das nicht, weil Städte nicht bauen würden. Sondern weil die rechtlichen Parameter falsch sind, damit alle Leute das Recht oder die Möglichkeit für ein Dach über dem Kopf haben. Meiner Meinung nach muss man da rechtlich ansetzen und versuchen, als Stadtpolitik mutige Entscheide zu treffen. Beispielsweise indem man Grossverdienende mehr besteuert, indem man rechtliche Mittel schafft, um weniger Zweitwohnungen zu haben, eine begrenzte Quadratmeter-Anzahl pro Person einführt, Leerstand verhindert und so weiter.

Fitze: Ich gebe dir Recht und wir tun das auch, wo es Handlungsspielraum für die Stadt gibt. Das tun wir, beispielsweise mit Regulierung für AirBnB oder auch Mietzinskontrollen bei Sanierungen. Aber als Stadt sind wir an kantonale und eidgenössische Gesetze gebunden, die uns viele Vorschriften machen und leider einiges verunmöglichen. Deshalb fokussieren wir uns auf das, wo wir Einfluss nehmen können. Ganz konkret heisst das, Boden der Spekulation zu entziehen und mehr nicht gewinnorientierte Wohnungen zu bauen.

Gnant: Hast du nicht das Gefühl, wir könnten als Stadt mutig voranschreiten, einen Präzedenzfall schaffen und uns über kantonales Recht hinwegsetzen, dort wo der gesunde Menschenverstand das nahe legt? Oder wo man ein Privileg angreift, das nur ganz wenige geniessen?

Fitze: Was meinst du damit?

Gnant: Dass man zum Beispiel als Stadt sagt, wenn wir die rechtliche Handhabe nicht haben, dann schaffen wir sie uns. Wir machen einen Vorschlag, der sich über kantonales Recht hinwegsetzen, der aber wegweisend sein könnte.

Fitze: Meiner Einschätzung nach wird das nichts bringen: Diese Projekte würden dann mit Einsprachen und Beschwerden blockiert und verunmöglicht. Das heisst nicht, dass wir keine kreativen Vorgaben machen und voranschreiten können. In den letzten Jahren haben wir beispielsweisedie Warmbächliüberbauung oder die Hubergasse realisiert: 100 Prozent Genossenschaft, mit Einkommenslimit, Vermögenslimit, extrem familienfreundlich und dicht gebaut. Das ist super. Im Kanton Bern baut man so Sachen nur in der Stadt.

Mir scheint einfach, Bern verpasst die Möglichkeit, etwas wirklich Zukunftsweisendes zu realisieren.

Herr Fitze, Sie und andere Stadträt*innen haben ein Postulat eingereicht. Darin fordern sie den Gemeinderat auf, zu prüfen, ob im Rahmen der Areal-Überbauung alternative Wohnformen und Freiräume auch Platz haben könnten. Es ist eigentlich ein Plädoyer für die Anstadt und ihre Wichtigkeit für Quartier und Stadt. In der Antwort des Gemeinderats steht, dass mit dem geplanten Vorgehen das Kollektiv mit einem angepassten Konzept dieselben Chancen wie weitere interessierte Bauträgerschaften habe. Ist das realistisch?

Fitze: Das ist natürlich Verwaltungsdeutsch. Was sie damit sagen wollen, ist Folgendes: Hier entsteht ein Raum, bei dem noch nicht klar ist, wie man ihn genau bebauen wird. Und vielleicht ist das ja eine Möglichkeit für die Anstadt, als Wohnbaugenossenschaft oder mit einer Wohnbaugenossenschaft zusammen etwas zu realisieren. Ich fände es sehr begrüssenswert, wenn es eine Möglichkeit gäbe, die Anstadt auf diesem Areal mitzudenken, und deshalb haben wir auch das Postulat eingereicht. Ich glaube, es muss sich jetzt in den nächsten Jahren zeigen, was hier vonseiten der Anstadt erwünscht ist, aber auch, was für die Stadt und für diejenigen, die dort bauen, möglich ist. Es wäre nicht das erste Mal, dass Genossenschaften aus dem Umfeld solcher Projekte entstehen. Vielleicht sprechen wir in zehn Jahren vom Quartierraum Anstadt statt vom Wagenplatz Anstadt.

Wäre ein Miteinander mit dieser neuen Überbauung für die Anstadt überhaupt vorstellbar?

Gnant: Ich glaube, in Bezug auf diese Frage ist die Anstadt sehr gespalten. Es kommt auf die Person an, die man fragt. Ich persönlich finde ein Miteinander sehr spannend. Denn ich würde eben gerne die ganze Freiraumdebatte auf eine andere Ebene bringen, auf der man rechtliche Rahmenbedingungen für experimentelles Wohnen schafft, langfristig und legal.

Fitze: Es ist völlig klar, dass es mehr Platz für neue, alternative Wohnformen geben muss. Das ist ein echtes Bedürfnis der Leute. Wobei ich damit nicht nur an Wagenplätze denke, sondern auch an Hallenwohnungen, Gross-WGs, auch das Wohnen in einem dichten Quartier, wo man sich über den Weg läuft und nicht vereinzelt in einer kleinen Wohnung lebt und kaum den Nachbarn sieht.

Gnant: Was wir bei der Anstadt verteidigen, ist aber nicht unbedingt a priori das Wohnen. Die Anstadt ist auch ein Begegnungsraum und ein komplett unkommerzieller Ort. Veranstaltungen finden statt, Wissen wird vermittelt, es finden politische Treffen statt. Es ist ein Raum, der sehr vielseitig genutzt wird, der Freiraum als Selbstverständnis lebt. Das wollen wir vor allem retten. Und das werden wir auch einfordern.

Fitze: Ich habe ein grosses Verständnis dafür. In Bern begleiten uns diese alternativen Flächen seit Jahrzehnten und über Generationen hinweg und wir sehen, wie gewinnbringend sie für die Stadt sind. Ich denke nur schon an die Reitschule, die jeder jungen Generation wieder einen Platz bietet.

(Foto: David Fürst)

Wie realistisch sehen Sie es denn, Max Gnant, dass sich die Anstadt für eine Bauträgerschaft bewirbt oder Teil eines Bauprojekts wird?

Gnant: Ich glaube kaum, dass wir als Anstadt realistische Chancen für eine Bauträgerschaft haben. Es gibt kantonale Vorgaben, die eine Ausnutzungsziffer von 15’000 bis 20’000 Quadratmeter beheizbare Fläche vorgeben, die also Wohnfläche sein muss. Das ist eine Ziffer, die kannst du mit einem Wagenplatz nie erreichen. David Böhner von der Alternativen Linken hat einen Antrag gestellt, diese Ziffern runterzuschrauben. Den Antrag hat eine Mehrheit im Stadtrat abgelehnt. Das verunmöglicht eigentlich schon, dass die Anstadt eine Genossenschaft gründet und so bleiben kann. Es wird auch sehr schwierig sein, als Teil einer Genossenschaft dort bleiben zu können, weil die Ausnutzungsziffer einfach zu hoch ist. Und dieses Problem gibt es schon seit dem Sieg des städtebaulichen Wettbewerbs, indem – ich sage es jetzt etwas pointiert – einfach das Projekt gewonnen hat, das die höchsten Ausnutzungsziffern vorgeschlagen hat.

Fitze: In diesem Projekt gibt es verschiedene Regeln und Prioritäten. Zum Beispiel der kantonale Richtplan, der vorgibt: Man muss hier ein urbanes dichtes Quartier bauen. Das führt dazu, dass ein Minimum von 70’000 Quadratmeter beheizbare Fläche auf dem ganzen Areal entstehen muss, also von Ryffabrik bis zur Anstadt. Dann gibt es die zweite Priorität, die des Denkmalschutzes. Diese sagt, es darf nicht zu dicht gebaut werden, es dürfen nur 80’000 Quadratmeter sein, damit die Ryffabrik zur Geltung kommt. Und wenn wir als Stadtbevölkerung sagen, der Gaskessel ist uns wichtig und er muss an diesem Ort bleiben, dann bedeutet das, dass man dort – wie es jetzt auch geplant ist – vor und nach dem Gaskessel gewisse Pufferzonen einplanen muss. Das wiederum führt dazu, dass man andernorts eben sehr viel dichter bauen muss. Ich verstehe eure Frustration. Am Schluss haben aber wir auch als SP/JUSO-Fraktion gesagt, dass wir mit diesen Vorgaben, trotz all dieser Zielkonflikte, hinter dem Projekt stehen können, weil wir diese Wohnungen brauchen.

Ich fände es sehr begrüssenswert, wenn es eine Möglichkeit gäbe, die Anstadt auf diesem Areal mitzudenken.

Wie soll es denn nun weitergehen in diesem Prozess und auch der Auseinandersetzung mit der Anstadt?

Fitze: Ich hoffe, dass man hier eine sinnvolle Lösung finden wird. Aber ich glaube, wir müssen auch als Stadt, vielleicht auch als Linke in dieser Stadt, mal wieder über die Rolle von alternativen Räumen sprechen, von experimentellem Wohnen reden. Was die Anstadt hier macht und leistet, ist wichtig für das Quartier, für die Stadt. Das möchten wir auf keinen Fall in Abrede stellen.

Gnant: Um nur ein Beispiel zu nennen: Ein Fünftel der Bewohnenden der Anstadt sind Menschen in Notsituationen, die überall sonst durchs soziale Netz gefallen sind, die teilweise auch von den übrigen Bewohnenden finanziell mitgetragen werden. Das ist etwas, was wir einem neuen Quartier auch mitgeben können. Dass man lernt, dass man im Jahr 2025 nicht mehr einfach als Schweizer Bürger*in nach Hause gehen kann, die Türe schliessen und die Probleme der Welt draussen lassen und vergessen kann. Sondern, dass man sich für diese öffnet und sie ein wenig mitträgt.

Dominik Fitze, die SP will sich also weiter dafür einsetzen, dass die Anstadt bleiben kann?

Das haben wir im Übrigen auch schon gemacht. Wir haben uns erfolgreich dafür eingesetzt, dass die Anstadt bis zum Baubeginn bleiben kann. Wir haben viele Stunden dafür aufgewandt, mit der Verwaltung zu schauen, ob es nicht irgendwo einen Weg gäbe, all diese Prioritäten zu erfüllen. Aber wie gesagt: Am Ende ist das ein gutes Projekt und der Bau von gemeinnützigen Wohnungen hat Priorität.

Bemühungen und Sympathien um die Anstadt sind im Stadtrat also durchaus vorhanden. Wie sehen Sie das, Max Gnant: Sind das nur Lippenbekenntnisse oder steckt dahinter aufrichtige Mühe?

Gnant: Ich glaube nicht, dass das alles nur Lippenbekenntnisse sind. Aber ich weiss auch, wie das in der Realpolitik funktioniert. Ein Postulat ist nichts Verpflichtendes. Du musst etwas prüfen und dann sagt eine Instanz, es ist geprüft, das ist nicht möglich. Und dann ist es vom Tisch. Dür mich persönlich ist klar: Wenn es jetzt dreimal ein Ja gibt, dann haben wir keinen Hebel mehr. Dann sind wir nicht mehr am Gesprächstisch. Man muss jetzt den Stock in die Speichen halten und das Ganze mal kurz anhalten. Das Projekt hat massive Lücken und ich glaube, das Areal ist so wertvoll, dass man etwas bauen oder realisieren sollte, das zukunftsweisend und nicht jetzt schon veraltet ist, weil es damals, als man es geplant hat, progressiv war. Ein Nein heisst für uns deshalb, ein Statement zu setzen.

Fitze: Du hast vorher mal Jacqueline Badran zitiert. Ich glaube nicht, dass Jacqueline sagen würde, dass wir nicht bauen sollen. Jacqueline würde sagen, dass wir das Richtige bauen müssen. Und das passiert weitestgehend auf dem Areal. Und deshalb werde ich überzeugt Ja stimmen. Mit Wermutstropfen, aber überzeugt.

Gegenseitige Sympathien sind viele vorhanden. Trotzdem stehen sich Dominik Fitze und Max Gnant im Abstimmungskampf gegenüber. (Foto: David Fürst)

Redaktionelle Mitarbeit: Noah Pilloud, David Fürst und Janine Schneider