Es war ein ungemütlicher Abend für Stadtpräsident Alec von Graffenried: Am 26. April 2022 lud das Architekturforum Bern zu einem Podium in den Gaskessel, an dem über das Gaswerkareal und die Überbauungspläne der Stadt debattiert wurde. Schnell zeigte sich, dass die drei eingeladenen Fachpersonen von den städtischen Entwicklungsabsichten wenig angetan waren.
Der Hauptkritikpunkt war, dass die Stärke des Areals primär in seiner Funktion als grosser Freiraum in einer wachsenden Stadt liege, was sich mit den offiziellen Überbauungsplänen nicht in Einklang bringen lasse. So war es an von Graffenried als einzigem weiteren Gesprächsgast, am gut besuchten Podium die Haltung des Gemeinderats zu verteidigen – was er gemäss Berichterstattung der Berner Tamedia-Redaktion zwar sehr engagiert, aber nicht unbedingt souverän getan hat.

Das Gaswerk-Areal hat eine bewegte Geschichte hinter sich. Von der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis in die 1960er-Jahre wurde das Gebiet industriell genutzt, unter anderem für die Stadtgas-Produktion, die dem Areal bis heute den Namen gibt. Nach dem Rückbau der Industriebauten wurde das Gebiet lange als städtischer Freiraum genutzt – etwa durch das «Freie Land Zaffaraya», dessen Räumung Ende der 80er zu massiven Protesten führte, und natürlich durch den Gaskessel, eines der ältesten Jugendkulturzentren Europas.
Dass sich die Freifläche im Zentrum der Bundesstadt so lange dem städtischen Entwicklungsdruck entziehen konnte, ist bemerkenswert. Doch mit der aktuellen Wohnungsknappheit scheint es damit vorbei zu sein: Geht es nach der Stadt, soll auf dem Gelände eine dichte Überbauung mit Arbeitsnutzung und 300-400 Wohnungen für rund 700 Personen entstehen. Der Gaskessel soll an seinem angestammten Platz bleiben können.
Fachliche Bedenken und Systemkritik
Kritik an diesen Plänen kam bisher vor allem aus Fachkreisen. Neben dem erwähnten Podium gipfelte diese in der «Gaswerk-Charta»: einem Manifest für die Erhaltung des Gaswerk-Areals als städtischer Freiraum. Die Argumente reichen von grundsätzlichen städtebaulichen Überlegungen über den Erhalt der Naturwerte, das Stadtklima und den Hochwasserschutz bis hin zu Sorgen über die Zerstörung des lebendigen urbanen Sozialraums.
In letzter Zeit wurde aber auch die Kritik aus ebendiesem Sozialraum lauter. Hauptgrund dafür ist die Sorge, durch das Projekt aus dem Gebiet verdrängt zu werden – einerseits durch den Platzbedarf der Überbauung, andererseits aber auch, weil sich das heutige Nachtleben (besonders rund um den Gaskessel) nicht ohne weiteres mit der geplanten Wohnnutzung vereinbaren lässt.
Wie können Städte in der Planung den Herausforderungen der Klimakrise auf demokratische Weise begegnen? Wie sieht eine sowohl ökologisch wie auch sozial nachhaltige Städteentwicklung aus, die Impulse aus der Basis aufnimmt? Anhand der des Gaswerkareals diskutiert ein Podium am Samstag diese Fragen. Diskutieren werden:
- Fabian Bauer – Gesamtleitung Stadtentwicklung Gaswerkareal
- Lena Käsermann – Co-Leitung Gaskessel
- Stefan Zöllig – Holzbau-Pionier und Ingenieur
- Michael Sutter – Stadtrat SP
- Martin Schick – Genossenschaft Kalkbreite, IG Klimagenossenschaft, ZHdK (künstlerische Forschung zum Potential von permanenten Brachen)
Journal B-Redakteur Noah Pilloud wird das Podium moderieren, organisiert wird das Ganze von Menschen aus der Anstadt.
Sa 18. Mai 2024, 17 Uhr, Dampfzentrale (genauere Infos zum Podium gibt es hier)
Das Podiumsgespräch ist Teil des Gaswerkarealfests, genauere Infos zum Programm gibt es hier.
Unmittelbar betroffen vom Projekt wäre das Kollektiv «Anstadt», das seit 2018 einen Teil des Areals mit alternativen Wohnformen und anderen Nutzungen belebt und einer Überbauung sehr wahrscheinlich weichen müsste. Es teilt einerseits die kritische Argumentation aus Fachkreisen, ergänzt sie aber auch mit eigenen systemkritischen Argumenten. Sie stehen im Zentrum des Podiums «Demokratischer und nachhaltiger Städtebau am Beispiel Gaswerkareal», welches die Anstadt am Samstag in der Dampfzentrale veranstaltet (siehe Infobox).
Bis die Stimmbevölkerung definitiv über die Zukunft des Gaswerkareals entscheidet, dürften also noch einige Debatten geführt werden. Ob sich noch ein Kompromiss finden lässt, mit dem alle betroffenen Parteien leben können, ist fraglich. Sicher ist: Das Gaswerk-Areal bleibt ein Ort, der die Stadt Bern bewegt.