Die zwölf Kirchgemeindepräsidien der Stadt Bern und die Gesamtkirchgemeinde erhielten Ende Mai dicke Post: eine 84-seitige Broschüre mit dem Titel «Bildung einer evangelisch-reformierten Kirchgemeinde Bern». Darin enthalten die Informationen zur Geschichte und zur möglichen Zukunft in den reformierten Kirchen auf Stadtgebiet.
Der Absender: das sogenannte Steuerungsgremium, das sieben Jahre lang die rechtlichen und organisatorischen Grundlagen erarbeitete für eine Fusion der heute noch autonomen Kirchgemeinden sowie der Gesamtkirchgemeinde zu einer einzigen Kirchgemeinde Bern. Was würde ein Zusammenschluss bringen und wie wahrscheinlich ist es, dass nun gelingt, was bisher misslang?
Die Vorgeschichte
In der Stadt Bern gibt es zwölf Kirchgemeinden. Sie sind (mit Ausnahme der drei Kirchgemeinden der Altstadt) in den letzten 130 Jahren bei jeder Stadterweiterung um die jeweils neuen Quartierkirchen herum entstanden. Diese Kirchgemeinden sind rechtlich und organisatorisch selbständig, aber faktisch (und zum grössten Teil auch finanziell) abhängig von einer Art Zentralverwaltung, die rund 250 Mitarbeitende beschäftigt.
Diese sogenannte Gesamtkirchgemeinde hat die alleinige Hoheit über die Kirchensteuern der rund 45’000 reformierten Kirchenmitglieder, sie verwaltet den Grossteil des Budgets und ist Besitzerin der Liegenschaften (40 Kirchen und Kirchgemeindehäuser). Eine solche Parallelorganisation – so die Überzeugung der Fusionsbefürworter*innen – ist nicht mehr zeitgemäss, sie verunmöglicht eine klare Verantwortungsordnung, behindert schlanke Abläufe und steht oft gewünschten Zusammenarbeitsformen unter den Kirchgemeinden im Weg.
Vor einem Jahr haben wir schon über die Fusion berichtet, siehe im Artikel Zeichen für Fusion gesetzt.
Ganze vierzehn (!) Jahre ist es nun her, seit der Fusionsprozess in Gange gesetzt wurde. Unter dem Namen Strukturdialog wurden erste Gespräche geführt, eine Bestandesaufnahme sowie eine Bedarfsanalyse vorgenommen. Der Prozess war aus diversen Gründen nicht zielführend und wurde erfolglos beendet. 2017 nahm dann das sogenannte Steuerungsgremium unter der Leitung von Hans von Rütte die Vorarbeit zu einer Fusion wieder auf. Dreimal wurde auch dieser Prozess unterbrochen.
Die Fusion ist nicht unumstritten.
Nun aber liegen die Rechtsgrundlagen für den Zusammenschluss auf dem Tisch. Die Kirchgemeinden sind aufgefordert, ihre Mitglieder zu informieren und im Frühling 2025 an ihren Kirchgemeindeversammlungen über die Fusion abstimmen zu lassen. Vorgängig (voraussichtlich am 2. März) müssen alle reformierten Stimmbürger*innen der Gesamtkirchgemeinde an der Urne zur Fusion Stellung beziehen.
Was bringt’s?
Die Fusion ist nicht unumstritten. In der Innenstadt wird sie mehrheitlich befürwortet. In den Aussenquartieren herrscht eher Skepsis. Befürworter*innen erwarten ein Ende der heute schwerfälligen Doppelstruktur. Sie argumentieren, dass die finanziellen Ressourcen flexibler und zielgerichteter auf Schwerpunkte ausgerichtet werden könnten. Kurz: dass mehr gesamtstädtisches Denken möglich wäre. Mit Blick auf den Mitgliederrückgang könnten zudem Entscheide unkomplizierter gelöst werden.
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In einigen Kirchgemeinden sieht man eine Fusion weniger positiv. Da wird vor allem ein Verlust der Eigenständigkeit befürchtet.
Eine Umfrage von Journal B unter den 12 Kirchgemeindepräsidien hat ergeben, dass die Meinungen noch nicht überall gemacht sind. Es gibt einige dezidierte Befürworter*innen, daneben aber auch erklärte Skeptiker*innen und viele Unentschlossene. Befürchtet wird von Fusionsskeptiker*innen vor allem, dass ein Zusammenschluss zur Folge hätte, dass zu viel zentral bestimmt und die Quartierkirchen ihre Identität verlieren würden.
Die Haltung zur Fusion hängt von diversen Faktoren ab und ist im Moment noch kaum abschätzbar.
Die meisten angefragten Präsidien wagen keine Prognose, wie das Stimmvolk zur Fusion steht und halten sich auch persönlich bedeckt. Eine Prognose zum jetzigen Zeitpunkt sei tatsächlich schwierig, sagt auch Hans von Rütte, der Präsident des Steuerungsgremiums im Interview.
Blick in einzelne Kirchgemeinden
Von einem positiven Abstimmungsausgang geht man – Stand heute – in den Kirchgemeinden Münster, Nydegg, Johannes und Markus aus – wobei sich die letzten zwei bereits für eine Zusammenarbeit entschieden haben, in der Gemeindeabstimmung aber als zwei Gemeinden gezählt werden. Auch die kleine französische Paroisse steht dem Fusionsprozess gemäss Aussagen ihres Präsidenten mehrheitlich positiv gegenüber. «Eher» fusionspositiv schätzt der Kirchgemeinderatspräsident der Matthäuskirche (Aaregg/Rossfeld/ Bremgarten) sein Kirchenvolk ein, während sein Kollege in der Paulusgemeinde (Länggasse/Brückfeld) eher von einem negativen Entscheid ausgeht.

In Bern-West (den Kirchgemeinden Bethlehem und Bümpliz) ist ebenfalls Skepsis zu verspüren. Der Kirchgemeindesekretär von Bümpliz, Ralph Treuthard, schreibt: «Die Kirchgemeinde war [nach der Eingemeindung von Bümpliz, Anm. d. Red.] ein Ort, wo sich die Leute trafen und etwas gestalten wollten. Entsprechend stark ist bei uns die Generationen- und Sozialarbeit ausgebaut.» Bethlehem stand dem Fusionsprozess von Beginn weg eher negativ gegenüber.
Ungewisser Ausgang
Die Rückmeldungen der Präsidien zeigen: Die Haltung zur Fusion hängt von diversen Faktoren ab und ist im Moment noch kaum abschätzbar. Die Meinungen werden sich wohl durch die Informationsveranstaltungen bilden, welche die Kirchgemeinderäte in den kommenden Wochen und Monaten in ihren jeweiligen Gemeinden durchführen.
Aus Sicht des Steuerungsgremiums wäre es wünschenswert, so Hans von Rütte, dass jede Kirchgemeinde ihren Mitgliedern den Bericht zugänglich macht, damit sich das Kirchenvolk möglichst umfassend informieren kann. Eine Empfehlung, wie und wann die Stimmberechtigten informiert werden, gibt das Steuerungsgremium jedoch nicht ab, das wäre ein Eingriff in die (noch herrschende) Hoheit der Kirchgemeinden. Der Bericht ist heute schon im Internet für jedermann einsehbar – zusammen mit der Abstimmungsvorlage.