«Eine Art Blindflug»

von Rita Jost 29. Juli 2024

Kirchenfusion II Hans von Rütte hat den Fusionsprozess über Jahre als Präsident des Steuerungsgremiums begleitet. Ein Gespräch über unvorhersehbare Abstimmungen und darüber, was passiert, wenn die Fusion nicht zustande kommt.

Journal B: Hans von Rütte, Sie präsidierten die letzten sieben Jahre das Steuerungsgremium, das nun seine Arbeit mit einem Bericht an die Präsidien abgeschlossen hat. Unsere Umfrage in den Kirchgemeinden zeigt: Viele Kirchgemeinden sind noch unentschlossen oder lassen sich nicht in die Karten schauen. Überrascht Sie dieser Befund?

Hans von Rütte: Nein, das überrascht mich nicht. Das liegt in der Natur der Sache. Die Kirchgemeinderäte können noch kaum wissen, wie die Stimmberechtigten ihrer Gemeinde entscheiden. Sie kennen ihr Stimmvolk zu wenig, sie kennen nur die Leute, die regelmässig an kirchliche Anlässe oder Kirchgemeindeversammlungen kommen. Entscheiden können in der Fusionsfrage aber alle reformierten Stimmberechtigten. Sie haben das letzte Wort.

Es gab jahrelang keine kirchlichen Urnenabstimmungen.

Als Präsident des Steuerungsgremiums, welche Prognose stellen Sie?

Ich bin grundsätzlich optimistisch, dass die Fusion angenommen wird, obwohl ich keine Prognose wage. Auch ich kenne die Meinungen der Mehrheit der Stimmberechtigten nicht. Es ist eine Art ein Blindflug. Denn im Gegensatz zur Einwohnergemeinde, wo man das Abstimmungsverhalten in den Quartieren aufgrund früherer Abstimmungen oft ungefähr voraussagen kann, fehlen uns diese Erfahrungswerte aus den Kirchgemeinden. Es gab ja jahrelang keine kirchlichen Urnenabstimmungen. Normalerweise wird an Kirchgemeindeversammlungen über wenig brisante Sachgeschäfte abgestimmt. Und da ist die Stimmbeteiligung meist gering.

Das Steuerungsgremium hat einen umfangreichen Bericht verfasst. Dieser ging nun an die einzelnen Kirchgemeinden. Kommt der Bericht später auch in einem Abstimmungsbüchlein zu den Stimmberechtigten?

Dieser Bericht kommt sicher als Information auf die Website. Ausserdem wird im «reformiert.» breit informiert. Das Steuerungsgremium hat den zwölf Kirchgemeinden und der Gesamtkirchgemeinde empfohlen, den Bericht und die ausgearbeitete Fusionsvorlage den Stimmberechtigten zum Entscheid vorzulegen. Der Entscheid liegt aber in ihrem Ermessen. Wir als Gremium geben keine Empfehlung ab. Wahrscheinlich werden alle zwölf Kirchgemeinderäte ihren Mitgliedern eine mündliche und/oder schriftliche Empfehlung abgeben, die Gesamtkirchgemeinde wiederum wird ihren Stimmberechtigten die Abstimmungsunterlagen für die Urnenabstimmung zustellen, darin auch ihre Abstimmungsbotschaft.

Warum kommt vom Steuerungsgremium keine Empfehlung?

Dazu sind wir rechtlich nicht befugt. Das muss jede Kirchgemeinde selber tun. Sie ist ja eben autonom. Aus diesem Grund ist der Bericht neutral abgefasst. Wir wollen keine Beeinflussung.

Aber klar, im Grundton kommt schon zum Ausdruck: die Fusion wäre eine gute Sache, das könnte eine Chance sein, eine neue Gemeinde mit Zukunft aufzubauen.

Das Steuerungsgremium hält sich also zurück. Aber es steht schon hinter der Fusion?

Mehrheitlich ja, aber nicht ganz einstimmig. Das steht auch so im Bericht. Aber klar, im Grundton kommt schon zum Ausdruck: die Fusion wäre eine gute Sache, das könnte eine Chance sein, eine neue Gemeinde mit Zukunft aufzubauen.

Neun Kirchgemeinden müssen der Fusion zustimmen, damit sie umgesetzt wird. Was, wenn dieses Quorum nicht zustande kommt?

Es gibt zwei Quoren, die erfüllt sein müssen. Erstens: Alle Stimmberechtigten der Gesamtkirchgemeinde müssen an der Urne mehrheitlich ja sagen zur Fusion. Wenn diese Mehrheit nicht zustande kommt, dann ist das Projekt gestorben. Zweitens: In mindestens neun von zwölf Gemeinden muss eine Mehrheit der Versammlung der Fusion zustimmen. Nur wenn in beiden Fragen ein Ja zusammenkommt, wird fusioniert. Wenn zwei oder drei Kirchgemeinden die Fusion ablehnen, dann kommt die Fusion zustande, aber dann beginnt ein komplizierter Ausscheidungsprozess, der den Alleingang dieser nicht fusionsbereiten Kirchgemeinden sicherstellt. Aber wir haben vorgesehen, dass Kirchgemeinden, die vorerst ablehnen, auf diesen Entscheid zurückkommen können.

Die lange Beratungsdauer tat dem Anliegen auch gut, viele Elemente konnten dadurch mehrmals vertieft beraten und beschlossen werden.

Dieses Fusionsprojekt hat eine lange Geschichte. Seit 2010 spricht man davon. Warum war dieser Prozess derart harzig?

Das Steuerungsgremium ist seit 2017 an der Arbeit. Vorher gab es den sogenannten Strukturdialog, der am Ende zu keinem konkreten Ergebnis führte. Das Steuerungsgremium übernahm dann die Aufgabe, Rechtsgrundlagen für eine Fusion zu erarbeiten. Zuerst ging es recht flott voran, aber dann wurde der Prozess auf Wunsch der Gesamtkirchgemeinde mehrmals unterbrochen. Zuerst wurde eine Liegenschaftsstrategie verlangt, dann eine Revision des Organisationsreglements der Gesamtkirchgemeinde. Beide Vorhaben wurden wieder fallengelassen, aber es verzögerte den Prozess um Jahre. Kurz vor Abschluss legte die Gesamtkirchgemeinde nochmals eine Reihe von Änderungsanträgen vor. Aber die lange Beratungsdauer tat dem Anliegen auch gut, viele Elemente konnten dadurch mehrmals vertieft beraten und beschlossen werden.

Am 2. März 2025 kommt es jetzt also voraussichtlich zur Urnenabstimmung in der Gesamtkirchgemeinde. Für Sie wird dann eine Riesenarbeit mit vielen Unterbrüchen endlich abgeschlossen sein. Würden Sie diese Aufgabe nochmals übernehmen?

Sicher! Ich habe das gerne gemacht. Bei allen Hürden, die es zu nehmen galt, habe ich es genossen. Und ich habe viel gelernt. Ich denke, ich bin auch ziemlich resilient. Falls die Fusion nicht zustande kommt, was immer noch möglich ist, dann wirft mich das nicht um.