57% der Stimmberechtigten in der Stadt Bern beteiligten sich an der Abstimmung über das Budget 2025, und sie nahmen es mit einer klaren Zweidrittel-Mehrheit an. Aber nur 50% der selben Stimmberechtigten nahmen auch an den Wahlen teil. Immerhin 12% dieser Personen gingen also zur Urne oder stimmten brieflich ab, beteiligten sich aber nicht an der Wahl des Gemeinderates und des Stadtrates. Konnten sie mit dem personellen Angebot nichts anfangen, oder wollten sie aus anderen Gründen nicht wählen?
Lag es an der Mobilisierung?
Wenig Spuren hinterliess diese erstaunlich hohe Zahl aktiver Wahlabstinenz bei der RGM-Liste für die Gemeinderatswahlen. Bei den Gemeinderatswahlen 2020, damals mit einer Wahlbeteiligung von 53,3%, entfielen auf die RGM-Liste 141’351 Stimmen, dieses Jahr waren es 138’116. Diese geringfügig tiefere Zahl entspricht einem Stimmenanteil von 66,15%, liegt also noch über den 63,7% vor 4 Jahren.
Demgegenüber hatten die bürgerlichen Parteien bei den Wahlen 2020, als sie noch auf zwei getrennten Listen kandidiert hatten, insgesamt 76’453 Stimmen erzielt. Diese Zahl erreichten damals acht Kandidatinnen und Kandidaten auf zwei Listen, weshalb der Vergleich mit 2024 schwierig ist. Trotzdem fällt auf, dass die jetzige gemeinsame Liste «Meh Farb für Bärn!» es nur auf 68’390 Stimmen brachte. Die Vermutung liegt nahe, dass der Zusammenschluss der politischen Mitte auf einer gemeinsamen Liste mit den Parteien des rechten Flügels nicht zu einer zusätzlichen Mobilisierung, sondern eher zu Misstrauen geführt hat. Gleichzeitig scheint sie einen stärkeren Zusammenschluss des RGM-Lagers bewirkt zu haben.
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Vielleicht orientieren sich die Wähler*innen doch eher an politischen Zielsetzungen als an der vor allem von «Bund/BZ» hochgejubelten und als nahezu alternativlos dargestellten Wahlarithmetik. Genaueres wird sich sagen lassen, wenn die Stadtkanzlei die Daten über die Panaschierstimmen veröffentlicht.
RGM holt vier Vollmandate
Folge dieses Wahlverhaltens ist jedenfalls, dass die RGM-Liste, die 2020 nur drei Vollmandate und ein Restmandat erzielt hatte, dieses Jahr mit vier Vollmandaten in den Gemeinderat einzieht. Ihr Stimmenanteil hat sich also noch erhöht, und die RGM-Mehrheit erscheint als gefestigter denn je. Marieke Kruit, Ursina Anderegg, Matthias Aebischer und Alec von Graffenried haben damit ein klares Mandat für vier weitere Jahre konsequenter RGM-Politik erhalten.
Vervollständigt wird diese Stadtregierung durch die GLP-Vertreterin Melanie Mettler, die sich deutlich gegen ihre Konkurrenz im bürgerlichen Bündnis durchsetzte. Sie ersetzt den nicht mehr angetretenen Mittevertreter Reto Nause. Es ist durchaus denkbar, dass dadurch in Zukunft auch in der städtischen Sicherheitspolitik mehr Flexibilität möglich sein könnte.
RGM-Tendenz auch bei den Stadtratswahlen
Dass die Wähler*innen in der Stadt mit der RGM-Politik durchaus zufrieden sind, zeigt sich auch im Ergebnis der Stadtratswahlen. So steigern sich die RGM-Parteien auf neu 46 Sitze, während die Parteien, welche das bürgerliche Bündnis bildeten, zwei ihrer bisher 32 Sitze verlieren. Bei der nicht an RGM beteiligten Linken gehen ein Sitz alternativen Linken und der Sitz der einstigen grün-alternativen Partei verloren. Grosse Gewinnerin ist die SP, die zu ihren bisher 21 Mandaten fünf hinzugewinnt.
Allerdings täuschen diese Zahlen insofern, als die Verschiebungen teilweise innerhalb der gleichen Familie erfolgten: Die SP gewinnt einen Sitz auf Kosten der Jungsozialist*innen, die FDP erobert den bisherigen Sitz der Jungfreisinnigen (und sorgt damit für die definitive Nichtwiederwahl ihrer Gemeinderatskandidatin Florence Pärli…), die GLP schliesslich wird mit gemischten Gefühlen auf den Wahltag zurückblicken: Sie gewinnt zwar den lang ersehnten Sitz im Gemeinderat, verliert aber zusammen mit ihrer Jungpartei gleich zwei Sitze im Stadtrat.
Offene Wahl für das Stadtpräsidium
Noch nicht entschieden ist die Wahl ins Stadtpräsidium. Von den vier Kandidierenden sind drei in den Gemeinderat gewählt worden, könnten also theoretisch zu einem zweiten Wahlgang antreten. Angesichts des grossen Vorsprungs, den Marieke Kruit gegenüber Alec von Graffenried und erst recht gegenüber Melanie Mettler erzielt hat, läge es allerdings nahe, dass sich Alec von Graffenried und Melanie Mettler zurückziehen und Marieke Kruit in Stiller Wahl zur ersten Berner Stadtpräsidentin gekürt würde.