Journal B: Wie bist du Fährfrau geworden?
Nadine Geissbühler: Vor fünf Jahren kam ich mit meiner Familie von einer langen Reise zurück und suchte eine neue Stelle. Zuerst arbeitete ich beim Gastronomieprojekt Wagen zum Glück (Journal B berichtete), welches 2020 die Pacht des Zehendermättelis übernahm. Zum Pachtgebiet gehörten Restaurant, Landwirtschaftsfläche und die Fähre. Als ich hörte, dass für letzteres jemand gesucht wird, habe ich mich beworben. Voraussetzung war eine Ausbildung als Fährperson.

Was muss man alles können, um Fährfrau zu sein?
Man muss zwei Prüfungen ablegen: Die Theorieprüfung fürs Segel- und Motorboot fahren. Dann lernt man bei den Pontonieren das Stacheln auf der Aare und auch Knotenkenntnisse sind Pflicht. Zudem eine praktische Prüfung mit der Gierseilfähre und auf einem Weidling – dieser Bootstyp wird auch von den Pontonieren gefahren – sind Pflicht.

Gierseilfähren fahren ohne Motor, indem sie die Strömung nutzen. Ein Seil hält das Boot in Position, mit einem Ruder oder Stachel wird es gesteuert. In der Schweiz gibt es sie u.a. in Basel über den Rhein und in Bern beim Bodenacher – Heimat des «Fähribeizli» und eben im Zehendermätteli.

Was fasziniert dich an diesem Beruf?
Ich liebe Wasser in allen Aggregatzuständen (lacht). Es ist schön, den ganzen Tag draussen zu sein. Eigentlich bin ich nicht so ein kommunikativer Mensch, aber hier komme ich, wenn auch nur während wenigen Minuten, ständig mit Menschen in Kontakt.

Was sind das für Begegnungen?
Es gibt Stammgäste, mit denen man über Wasserstände, das Leben oder auch persönliche Dinge spricht. Andere erzählen einfach aus ihrem Alltag. Man kennt irgendwann die Namen der Stammgäste und das macht die Fähre zu einem sozialen Ort.

Wie sieht ein typischer Sonntag auf der Fähre aus?
Da fahre ich quasi nonstop. Manchmal lasse ich sogar das Mittagessen stehen. Wir haben vom 1. April bis Ende September Saison, dieses Jahr wollen wir auch im Oktober offenbleiben, wenn die Wassermenge es zulässt.


Wie verändert sich die Aare im Verlaufe des Jahres?
Im Sommer merkt man sofort, wenn das Gletscherwasser kommt. Es ist grauer, opak, nicht durchsichtig. In den Bergen schmelzen die Gletscher, und wir fahren in ihrem Schmelzwasser. Irgendwann wird es diese Gletscher nicht mehr geben. Das ist beängstigend.

Gibt es auch brenzlige Momente?
Ja, immer mal wieder, besonders im Sommer, mit den vielen Gummiboten. Die Fähre hat Vortritt, aber das wissen nicht alle. Manche sind alkoholisiert oder schlecht ausgerüstet. Einmal sah ich ein Boot, das ohne Paddel unterwegs war und die Passagiere steuerten es mit ihren Flipflops. In solchen Situationen muss ich aufpassen, dass kein Unfall passiert.

Wie reagieren die Leute darauf, dass du als Fährfrau arbeitest?
Von älteren Männern höre ich oft: «Können Sie das?» oder «Ah, eine Frau, das überrascht mich jetzt.» Manche erklären mir sogar, wie man ein Boot fährt. Ich frage dann zurück: «Würden Sie das auch einem Mann sagen?» Die meisten sind dann empört, oder überrascht. Schöner sind Kommentare wie: «Wow, eine Fährfrau – toll!» Da spüre ich echtes Interesse, das finde ich schön.

Was bereitet dir am meisten Freude?
Die Aare zu beobachten, ihre Veränderungen zu spüren. Jeden Tag ist sie anders. Mal stacheln wir, wenn wenig Strömung ist, mal rudern wir mit der Strömung. Das Wasser kann mit seiner Kraft immer wieder überraschen und genau das macht es spannend.

Nadine Geissbühler steuert die Fähre. (Foto: David Fürst)
