Alltag - Kolumne

Frauensolidarität macht stark

von Basrie Sakiri-Murati 10. Dezember 2024

Kolumne Unsere Kolumnistin erlebt an Lesungen immer wieder, dass gerade Frauen ihr interessiert und aufmerksam zuhören. Und dass Solidarität befreiend wirkt.

In meiner ganzen Kindheit und Jugend sah ich meine Mutter nie ruhen. Sie arbeitete immer.  Und was war der Lohn? Ich kann mich nicht erinnern, dass mein Vater ihr jemals ein Geschenk machte. Oder dass sie zusammen das Leben genossen. Bereits als Teenager wusste ich: So wie meine Mutter will ich nie leben. Ich kämpfte für meine Freiheit.

Das habe ich kürzlich an einer Lesung in der Kirchgemeinde Grafenried den Anwesenden gesagt.  Obwohl ich zu Beginn nervös und ängstlich war (wie immer vor solchen Anlässen!), fühlte ich mich bald wohl. Die Frauengruppe war ein aufmerksames und interessiertes Publikum. Und ihre Solidarität wärmte mich – mehr als das Feuer im Cheminée.

Ein Leben in Gefangenschaft ist unerträglich. Deshalb kämpft man, selbst wenn der Preis dafür hoch ist.

Die Atmosphäre beflügelte mich. Warum? Für die meisten hier in der Schweiz ist es selbstverständlich, dass Frauen über Erlebtes frei erzählen können. Ich bin anders aufgewachsen. Wer im Kosovo etwas gegen die Regierung oder gegen das Patriarchat sagte, riskierte harte Strafen. Meinungs- und Redefreiheit gab es nicht.

Das erzählte ich den Frauen an diesem Anlass. Aber auch, wie selbst unterdrückte und unfreie Frauen in den 80er- und 90er-Jahren im Hintergrund für Freiheit, Demokratie und Unabhängigkeit von der kommunistischen Regierung Serbiens kämpften. Sie unterstützten ihre Söhne und Töchter bei deren Aktivitäten, wo sie konnten. Ein klassisches Beispiel war meine Mutter. Sie hatte selbst keine Freiheit, litt, wie die meisten Frauen im Land, unter dem Patriarchat, aber sie unterstützte meinen Willen, ins Gymnasium zu gehen, und sie hielt mich nicht von meinem Kampf für Freiheit ab. Und dies, obwohl sie wusste, was mich erwartete, falls ich von den Sicherheitsbehörden erwischt würde.

Ich wünsche mir, dass meine Landsfrauen selbstbewusster werden und sich mehr wagen, ihre Erfahrungen mit Schweizerinnen zu teilen.

Eine der Frauen aus dem Publikum fragte: «Wie kann man sich so für die Freiheit aufopfern?» Ich antwortete: «Ein Leben in Gefangenschaft ist unerträglich. Deshalb kämpft man, selbst wenn der Preis dafür hoch ist. Wenn man unterdrückt und arm ist, hat man nicht viel zu verlieren. Die Hoffnung auf ein besseres Leben verleiht Mut und Kraft.»

Eine andere Frage war: «Warum sprechen Männer für Frauen?» Die Frau sagte, sie habe das in der Elternberatung oft erlebt. Ich antwortete: «Früher war es leider normal. Die Frauen durften nur arbeiten und schweigen. Schon jungen Mädchen wurde eingetrichtert: eure Stimme zählt nicht. Du musst schweigen. Der Mann spricht – die Frau muss zuhören!» Leider gilt das vielerorts heute noch – in meiner Heimat, aber selbst hier in der Schweiz.

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Warum können junge Albanerinnen ihren Ehemann nicht selber bestimmen? Wurde ich weiter gefragt. Es ist eine der Fragen, die mich seit Jahren beschäftigt. Ich hatte das Glück, meinen Ehemann selbst zu wählen. Aber ich weiss nicht, ob das auch so gewesen wäre, wenn ich im Kosovo geblieben wäre, oder wenn meine Eltern hier gewesen wären. Leider gehen heute noch einige Kosovoalbanerinnen arrangierte Ehen ein, das heisst: ihre Familie wählt den Ehemann. Nicht selten landen diese Ehen dann ziemlich schnell vor dem Scheidungsrichter, wie ich aus Erfahrung weiss.

Ich wünsche mir, dass meine Landsfrauen selbstbewusster werden und sich mehr wagen, ihre Erfahrungen mit Schweizerinnen zu teilen. Sie müssen deshalb ihre Kultur nicht aufgeben oder verleugnen. Aber: In einem freien Gespräch werden sie aufmerksame Zuhörerinnen finden und Solidarität erfahren. Integration stört die eigene Kultur nicht.