In den letzten Jahren ist es in Bern zu einem Boom des Frauen- und Mädchenfussballs gekommen. Mit der Europameisterschaft der Frauen, die diesen Sommer ihre Spiele auch in Bern austrägt, wird sich dieser Boom wohl noch verstärken. «Diese Entwicklung ist sehr erfreulich», sagt die Kapitänin des FC Breitenrains, Lydia Dubach. «Aber bei den Vereinen ist auch eine gewisse Anspannung zu spüren. Sie wollen diesem Zuwachs gerecht werden können.»
Das Problem: In ganz Bern fehlt es an Trainingsplätzen, Garderoben und anderweitiger Infrastruktur. «In vielen Fussballgarderoben gibt es zum Beispiel zu wenig Damentoiletten oder Umkleideräume, damit gleichzeitig Mädchen- und Jungsteams trainieren können», erklärt Deborah Kagerbauer die Herausforderung. Die 28-Jährige ist als Projektleiterin für Sportanlagen beim Sportamt der Stadt Bern angestellt. Ausserdem spielt sie seit zehn Jahren als Fussballerin beim SC Holligen 94. Sie betont, dass sich die Stadt dem Problem sehr bewusst sei und bereits aktiv an der Optimierung arbeite.

Weniger Rasen, mehr Synthetik
Besondere Dringlichkeit besteht bei den Rasenfeldern. «In der Stadt Bern besteht bis 2030 ein zusätzlicher Bedarf an Rasensportplätzen von zwölf Naturrasenplätzen oder sechs Kunstrasenplätzen, was rund 12’000 Nutzungsstunden pro Jahr entspricht», schrieb der Gemeinderat in einer Medienmitteilung im November 2024. Den Grund dafür sieht er unter anderem auch im boomenden Mädchen- und Frauenfussball.
Die Stadt hat deshalb eine neue Rasenstrategie in Angriff genommen: Naturrasen soll in Kunstrasen umgewandelt werden – statt aktuell ein Drittel soll er in Zukunft 50 Prozent ausmachen. Sowohl der SC Holligen 94 wie auch der FC Breitenrain werden in der näheren Zukunft von diesem Umbau profitieren – Kunstrasen ist belastbarer und kann deshalb für mehr Trainings genutzt werden.
In der Stadt Bern besteht bis 2030 ein zusätzlicher Bedarf an Rasensportplätzen von zwölf Naturrasenplätzen oder sechs Kunstrasenplätzen.
Zudem sollen bestehende Naturrasenfelder saniert, Schulrasenfelder stärker genutzt und die Garderobeninfrastruktur verbessert werden. Zusätzlichen politischen Druck übt die Rasensport-Initiative der stadtbernischen Vereinigung für Sport (SVS) aus, die im Dezember 2024 eingereicht wurde. Sie fordert eine schnelle und lückenlose Umsetzung dieser neuen Rasenstrategie.

Die Leute neben dem Platz
Aber nicht nur die Infrastruktur fehlt, auch «neben dem Platz braucht es die richtigen Leute – also Trainer*innen, Schiedsrichter*innen und Funktionär*innen», betont Dubach, die seit 2024 auch für das Projekt WEURO Legacy 2025 beim Fussballverband Bern/Jura angestellt ist. Mit diesem nationalen Vermächtnisprojekt will der Schweizerische Fussballverband den Frauenfussball über die EM 2025 hinaus nachhaltig stärken und fördern. Eines der Ziele: zwischen 2024 und 2027 soll in allen Bereichen des Fussballs eine Verdoppelung an Frauen erreicht werden.
Während die Anzahl Spielerinnen jedes Jahr ansteigt, gibt es jedoch bis heute nur sehr wenige Frauen, die sich als Trainerin, Funktionärin oder Schiedsrichterin betätigen. «Aus Verbandssicht müssen wir deshalb vor allem auch diese drei Bereiche pushen», erklärt Dubach. So sind aktuell im ganzen Fussballverband Bern/Jura von 4‘221 Trainer*innen nur 8,6 Prozent Frauen. In der Stadt Bern gibt es 75 Trainerinnen – und rund 600 Trainer.
Es fehlt immer noch an Akzeptanz, Bekanntheit und Vorbildern von Schiedsrichterinnen.
Noch schlechter ist die Quote bei den Schiedsrichter*innen: Von 694 Schiedsrichtenden im Verband Bern/Jura sind nur 17 Frauen, das sind 2,4 Prozent. «Es fehlt immer noch an Akzeptanz, Bekanntheit und Vorbildern von Schiedsrichterinnen», sagt Lydia Dubach. Ein Ziel der Legacy ist deshalb die Rekrutierung und vermehrte Sichtbarkeit von Schiedsrichterinnen.
Auch Esther Staubli, langjährige Schiedsrichterin auf höchstem Niveau, betont, dass sich viele Frauen nicht trauen würden, einen Schiedsrichterinnenkurs zu machen. «Eine weitere Herausforderung besteht darin, die Schiedsrichterinnen in dieser Funktion zu behalten», erklärt sie, «viele steigen wieder aus, wenn sie schlechte Erfahrungen, zum Beispiel mit Eltern bei einem Juniorenmatch, machen.» Es wäre wichtig, diesen neuen Schiedsrichterinnen Ansprechpersonen zur Seite zu stellen, meint Staubli.

Man muss die Frauen direkt ansprechen
Auch zu Trainerinnen liessen sich bislang jährlich jeweils nur wenige Frauen ausbilden. Um die Hürde zu senken, bot der Fussballverband im Rahmen des Versuchs EmpowHER zusammen mit dem Innovationslabor lab 7×1 letzten Sommer erstmals einen Trainerinnenkurs nur für Frauen an. An diesem haben 36 Frauen teilgenommen – zum Vergleich: bisher hatte der Verband etwa sechs bis zehn Frauen pro Jahr ausgebildet. «Das hat gezeigt: Das Interesse ist da, es braucht einfach die richtigen Angebote und es braucht gezielt Werbung für die entsprechenden Zielgruppen», ist Lydia Dubach überzeugt.
Du kannst als Verein auch an diesen Zielen arbeiten, wenn du kein Frauenteam hast. Du kannst trotzdem Trainerinnen reinholen oder eine Frau in den Vorstand nehmen.
Auch Deborah Kagerbauer hat an diesem Kurs teilgenommen.«Mich hat das extrem angesprochen», sagt die 28-Jährige, «Ich dachte, falls ich mal nicht mehr aktiv Fussball spielen kann, könnte ich vielleicht weiterhin als Trainerin im Sport bleiben.»
Die Fussballerin, die seit 2015 beim SC Holligen 94 spielt, ist überzeugt, dass es neue Ansätze und ein aktives Engagement der Vereine brauche, um mehr Frauen in Entscheidungspositionen zu holen. So werbe der SC Holligen 94 mit Flyern im Quartier und gehe aktiv auf ehemalige Spielerinnen zu, um sie als Trainerinnen wieder ins Boot zu holen.
Auch der FC Breitenrain, bei dem Lydia Dubach spielt, hat gerade eben ein Werbevideo produziert, in dem verschiedene Trainer*innen aus dem Quartier zu Wort kommen und mit welchem sie neue Personen ansprechen wollen. «In meiner Erfahrung müssen die allermeisten Frauen direkt gefragt werden, wenn man sie als Trainerinnen gewinnen will», sagt Lydia Dubach.

Das Engagement der Vereine müsse sich aber nicht nur auf diejenigen beschränken, die Juniorinnen- und Frauenteams hätten, betont Dubach: «Du kannst als Verein auch an diesen Zielen arbeiten, wenn du kein Frauenteam hast. Du kannst trotzdem Trainerinnen reinholen, die bei den Junioren Trainings geben. Oder eine Frau in den Vorstand nehmen, um eine andere Perspektive zu vertreten. Das schliesst sich nicht aus.»
Ein Fest für den Frauenfussball
Ob als Spielerinnen, Schiedsrichterinnen, Trainerinnen oder Funktionärinnen – alle Interviewpartnerinnen erhoffen sich, dass durch die Europameisterschaft auch in Bern mehr Mädchen und Frauen zum Fussball finden und sich engagieren. Ein Schaufenster für den Frauenfussball soll die Europameisterschaft werden, wünscht sich Esther Staubli.
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Im Vergleich zur EM 2022 in England, sei die Präsenz in den Medien und in der Öffentlichkeit, zum Beispiel in Form der zahlreichen Public Viewings, enorm gewachsen, meint Kagerbauer, die sich bereits bei der letzten Frauen-EM in einem Kollektiv für mehr Sichtbarkeit engagiert hatte. Die Auswirkungen seien ebenfalls bereits spürbar, so Kagerbauer: «Schon jetzt sehe ich sehr viel mehr Mädchen, die Fussball spielen. Ich hoffe einfach, dass es sich hier nicht nur um ein Momentum handelt, sondern dass der Boom über die EM hinaus anhält.» Auch Dubach wünscht sich eine langfristige Wirkung ihrer Projekte, insbesondere «dass es ganz normal wird, Frauen im Vorstand oder an der Seitenlinie zu haben».
Vor allem aber, da sind sich die drei Frauen einig, hoffen sie, dass die Euphorie die ganze Gesellschaft erfasst – und die EM zu einem grossen Volksfest wird, das alle miteinander verbindet.