Mittwochnachmittag, eine Woche vor Beginn der Fussballeuropameisterschaft der Frauen. Trotz der Hitze – 32 Grad im Schatten – ist auf dem Spitz viel los. Auf dem Kunstrasenfeld im Heimstadion des FC Breitenrains trainieren drei Teams gleichzeitig. Auf den Tribünen warten vereinzelt Eltern, zwei Kinder aus dem Quartier schiessen auf eines der Tore.
In einer Ecke dribbeln die F14 Juniorinnen, alles Mädchen zwischen elf und dreizehn Jahren, über ein abgestecktes Feld. Lydia Dubach beobachtet das Geschehen vom Rand. Die 32-jährige Kapitänin des FC Breitenrains leitet einmal die Woche ein Juniorinnentraining. «Geht dorthin, wo es freien Raum hat! Bleibt nicht am selben Platz!», ruft Dubach den Mädchen zu.
Im Grümpelturnier am Ball geblieben
Noch vor 20 Jahren waren solche Nachwuchsteams, in denen nur Mädchen spielen, eine Seltenheit. «Ich hatte mit sechs Jahren mein erstes Fussballtraining in einem Solothurner Fussballklub», erinnert sich die heute 28-jährige Deborah Kagerbauer. «Ich war damals aber das einzige Mädchen unter lauter Jungs – und es machte mir überhaupt keinen Spass. Nach zwei Wochen habe ich meinem Vater gesagt, dass ich nicht mehr im Klub Fussball spielen möchte, sondern nur noch im Garten.» Jahrelang habe sie nur noch auf dem Pausenhof oder mit Freund*innen Fussball gespielt. Heute spielt Kagerbauer seit zehn Jahren beim SC Holligen 94.

Auch für Esther Staubli, 45 Jahre alt, begann die Leidenschaft für den runden Ball nicht in einem Klub: «Als ich jung war, gab es nur ganz wenige Möglichkeiten, als Mädchen in einem Klub zu spielen. Wir haben einfach immer an Grümpelturnieren Fussball gespielt.» Später spielte Staubli beim FC Rot-Schwarz Thun in der höchsten Schweizer Liga.
Danach entschied sie sich, die Ausbildung zur Schiedsrichterin zu absolvieren. Sie leitete Spiele auf höchstem Niveau – sowohl im Frauen- als auch im Männerfussball: Welt- und Europameisterschaften, Champions League, Super League. Und sie ist eine Pionierin: Am 16. November 2023 leitete sie als erste Schweizer Schiedsrichterin überhaupt ein EM-Qualifikationsspiel der Männer.
Eine langsame Entwicklung in Bern
In der Bundesstadt boten lange Zeit nur der FC Bern und der FC Bethlehem ein Frauen- und Mädchenfussballteam an. Die erste Frauenfussballequipe wurde in der Stadt Bern 1970 unter dem FC Bern gegründet, einige Jahre später folgte das erste Juniorinnenteam. Zu dieser Zeit mussten Frauenteams noch einem Herrenverein unterstellt sein. Viele fussball-interessierte Frauen hatten Mühe, einen Verein zu finden. (Mehr zur Geschichte des Frauenfussballs in der Schweiz)
Viele Mädchen würden gar nicht anfangen zu spielen, wenn sie nicht unter Mädchen spielen könnten.
Der FC Bethlehem folgte 1984 mit einem eigenen Frauenteam. Gut zehn Jahre später gründeten sie ihr erstes Juniorinnenteam. Bei diesen beiden Teams blieb es für lange Zeit. Ausserhalb der Stadtgrenzen gründete der FC Ostermundigen 1996 ein Frauenteam, 2006 wurden in Worb die Femina Kickers gegründet, die sich ganz dem Mädchen- und Frauenfussball verschrieben und keine Männer aufnahmen.
Diese nicht nur für Bern exemplarische Entwicklung zeigt: Die Beliebtheit des Mädchen- und Frauenfussballs schritt voran, aber nur sehr langsam. Ein Teil der heute aktiven Berner Fussballerinnen ist deshalb, wie Kagerbauer, erst spät in den Klubfussball eingestiegen oder hat, wie die Profifussballerin Lia Wälti, lange in reinen Jungsteams gespielt.
«Bis heute ist es so, dass Mädchen, die weit kommen möchten, allenfalls bis in den Spitzenfussball, möglichst lange in den besten Teams der Jungs spielen sollten», erklärt Lydia Dubach vom FC Breitenrain. Gleichzeitig seien reine Mädchenteams aber sehr wichtig für den Breitensport: «Viele Mädchen würden gar nicht anfangen zu spielen, wenn sie nicht unter Mädchen spielen könnten.»

Starker Anstieg
In den letzten zehn, vor allem aber in den vergangenen fünf Jahren ist es in Bern zu einem regelrechten Boom des Mädchen- und Frauenfussballs gekommen: 2010 stellt der FC Weissenstein ein Frauenteam auf, 2022 folgt die erste Juniorinnenequipe. Der SC Holligen 94 gründet in der Saison 2012/2013 das erste Frauenteam, 2020/2021 folgen die Juniorinnen. Das Frauenteam des FC Wylers bestreitet 2020 das erste Meisterschaftsspiel. Beim FC Breitenrain werden die ersten Juniorinnenteams 2020 gegründet, seit 2022 haben sie auch ein aktives Frauenteam.
Im ganzen Fussballverband Bern/Jura ist es in den letzten 20 Jahren zu einer Verdoppelung des Spielerinnenanteils gekommen. Waren 2005 noch nur 6 Prozent aller Spieler*innen Frauen und Mädchen, sind es heute 12,4 Prozent. In der letzten Saison spielten in der Stadt Bern rund 1‘000 Frauen und Mädchen in Fussballklubs des Verbands.
Spielerinnen verdienen auch auf hohem Niveau im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen immer noch signifikant weniger Geld.
Im Vergleich zum Männerfussball sind dies immer noch wenig: In den Klubs, die über Mädchen- und Frauenteams verfügen, machen Mädchen und Frauen heute durchschnittlich rund 20 Prozent der Spielenden aus. Ganz vorne mit dabei sind die Young Boys, der SC Holligen 94 und der FC Bethlehem. Aber von den 22 in der Stadt Bern ansässigen Klubs haben gut ein Dutzend keine eigenen Mädchen- oder Frauenteams. Berechnet man auch diese Klubs mit ein, verringert sich der Anteil der Frauen und Mädchen an den Spielenden nochmals um die Hälfte.

Trotzdem betont Esther Staubli im Gespräch mit Journal B: «Die Entwicklung in den letzten Jahren war enorm. Heute gibt es mehr Vereine, mehr und jüngere Nachwuchsteams, mehr Wettbewerbsturniere. Und als junge Frau hast du auch die Möglichkeit, in grossen Klubs zu spielen.» Alle Interviewpartnerinnen betonen, wie sehr sich die Zukunftsaussichten verändert hätten: Zwar verdienen Spielerinnen auch auf hohem Niveau im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen immer noch signifikant weniger Geld und nur wenige können davon leben.
Nichtsdestotrotz ist der Wunsch, eines Tages vielleicht Profifussballerin zu werden, für viele Mädchen näher gerückt, meint Dubach: «Für uns war das überhaupt nicht realistisch. Wir haben auch keine Profifussballerin gekannt – abgesehen von der Brasilianerin Marta, die ein Weltstar war. Und jetzt geht ein Mädchen hier im Quartier am Wochenende YB Frauen schauen oder kann ihre Vorbilder an der EM diesen Sommer spielen sehen.»
Welche Herausforderungen der Boom des Mädchen- und Frauenfussballs mit sich bringt, liest du in Teil 2 unseres Berichts.