Die zweite Tramachse steht auf der Kippe

von Raphael Wyss 25. Januar 2025

Die Abklärungen für die zweite Tramachse durch die Berner Innenstadt gehen in die entscheidende Phase. Bund und Nationalbank werden sich in den nächsten Wochen zu einem detaillierteren Projekt durch die «Bundesmeile» äussern. Ihre Stellungnahme könnte entscheidend für die Zukunft des gesamten städtischen ÖV-Systems sein.

Die Rückmeldung des Bundes war unmissverständlich: «Die Option einer Tramachse vor dem Bundeshaus sei ein für alle Mal zu verwerfen», wurde die Haltung des Bundesamts für Bauten und Logistik (BBL) im Mitwirkungsbericht zusammengefasst, den die Regionalkonferenz Bern-Mittelland (RKBM) letzten Frühling veröffentlicht hat. Die Gründe für die klare Ablehnung bleiben weiterhin unklar, weil die Stellungnahme des BBL bis auf weiteres unter Verschluss bleibt (Journal B berichtete).

Nun zeigt sich: Die kritische Haltung des Bundes könnte das Ende für das Unterfangen zweite Tramachse bedeuten. Denn für die Stadt kommen die anderen beiden Varianten nicht in Frage. Die Regionalkonferenz sieht sich als zuständige Planungsbehörde mit einer heiklen Situation konfrontiert.

Zusatzrunde mit dem Bund

Derzeit ist die RKBM mit dem weiteren Evaluationsprozess beschäftigt. Zum einen prüft sie bei den drei Varianten (siehe Karten) die «technische Machbarkeit an den kritischen Stellen» nochmals im Detail. Zudem hat sie den Dialog mit dem Bund gesucht. Die beiden Massnahmen sind Teil eines Zwischenschritts, auf den sich die Behördendelegation nach Abschluss der Mitwirkung letztes Jahr geeinigt hat. Das Gremium, bestehend aus Vertreter*innen von Kanton, Regionalkonferenz, Stadt und Bernmobil, hat die strategische Führung im Prozess und fällt die relevanten Beschlüsse.

Diese drei Varianten für die Zweite Tramachse sind noch im Rennen – zumindest offiziell: Variante 1 (Belpstrasse – Bollwerk – Speichergasse – Nägeligasse), Variante 2 (Belpstrasse – Bollwerk – Lorrainebrücke – Viktoriarain), Variante 3 (Bundesgasse – Kochergasse) (Kartenmaterial: RKBM, Zusammenstellung: Journal B)

Gegenstand der Abklärungen mit dem Bund ist die Variante 3 durch Bundes- und Kochergasse (sogenannte «Bundesmeile»), die das zuständige Bundesamt für Bauten und Logistik (BBL) in seiner ersten Stellungnahme noch strikt abgelehnt hat. Die kategorische Opposition war für die Behördendelegation offenbar nicht ohne weiteres nachvollziehbar. Im Gespräch mit dem BBL hat man sich jedenfalls auf eine Zusatzrunde verständigt, wie Gesamtprojektleiter Timo Krebs von der RKBM bestätigt: Der Bund wird zu einer detaillierteren Variante 3 im ersten Quartal 2025 umfassend Stellung beziehen. Auch die Nationalbank werde sich in dem Rahmen zum Projekt äussern.

Für die Stadt kommt nur Variante 3 in Frage

Die Stellungnahme ist vor allem deshalb von grossem Interesse, weil sich die Stadt ihrerseits klar und deutlich gegen die Varianten 1 und 2 ausgesprochen hat. Der Hauptgrund: Mit diesen Linienführungen würde sich laut Gemeinderat die Verkehrsbelastung rund um den Bahnhof noch weiter erhöhen. «Insbesondere im schmalen und geometrisch anspruchsvollen Abschnitt Bubenbergplatz-Bahnhofplatz erachtet er vier Tramspuren als unverträglich für den Fussverkehr, das Stadtbild und die Aufenthaltsqualität», schrieb die Stadt in ihrer Mitwirkungseingabe. Tatsächlich wäre eine zusätzliche Tramachse über die beiden Plätze nicht vereinbar mit dem Zukunftsbild, das aus der aufwändigen Testplanung Stadtraum Bahnhof Bern hervorgegangen ist.

Daneben sieht die Stadt bei den beiden Varianten «weitere gravierende Nachteile», etwa die engen Kurvenradien bei Variante 1 oder Probleme mit der Allee auf dem Viktoriarain bei Variante 2. Einzig Variante 3 durch die Bundes- und Kochergasse erachtet der Gemeinderat als «vertretbar, wenn auch mit erheblichen Vorbehalten». Diese Haltung gelte unverändert, bestätigt Jurgen Mesman von der städtischen Verkehrsplanung auf Nachfrage.

Dass auf städtischem Boden eine Tramachse realisiert wird, die für die Stadt als Eigentümerin der betreffenden Strassen nicht in Frage kommt, ist praktisch ausgeschlossen. Zu zentral ist ihre Position für den ganzen Planungs- und Realisierungsprozess. Bleibt also noch Variante 3 durch Bundes- und Kochergasse, die der Bund bisher unmissverständlich abgelehnt hat. Bei den Recherchen für diesen Artikel zeigte sich jedoch, dass auch die Haltung des Bundes sehr viel Gewicht hat – so viel, dass der gesamte Planungsprozess abgebrochen werden könnte, wenn auch die Bundesbehörden auf ihrer Position beharren.

Wenn der Bund nicht will, wird es schwierig

Dass die Haltung des Bundes so zentral ist, hat primär mit den besonderen Sicherheitsbedürfnissen des Bundeshauses zu tun. «Bei Planungs- und Bauvorhaben im direkten Umfeld zum Bundeshaus müssen die Interessen des Bundes berücksichtigt werden», hält Thomas Iten auf Nachfrage fest. Der Gemeindepräsident von Ostermundigen präsidiert auch die Kommission Verkehr der RKBM und ist in dieser Funktion Mitglied und Auskunftsperson der Behördendelegation. Ein Gesetz, das die Verpflichtungen der Stadt Bern gegenüber dem Bund verbindlich festhalten würde, gibt es jedoch nicht. Ein solches wurde zwar um die Jahrtausendwende angedacht, schliesslich aber nicht umgesetzt. Rechtlich gesehen sind die Bundesbehörden in dieser Sache lediglich Anrainer, wenn auch mit besonderen Bedürfnissen. Eine offizielle Funktion hat der Bund indes als Bewilligungsbehörde, wie Iten anmerkt. Der Bau von Tramgleisen benötige die Genehmigung des Bundesamtes für Verkehr (BAV) im Rahmen des Plangenehmigungsverfahrens.

Für die Projektgenehmigung ist das BAV zwar zur Sachlichkeit verpflichtet. Trotzdem zeigt sich: Bleiben die Bundesbehörden bei ihrer ablehnenden Haltung, ist eine Realisierung von Variante 3 sehr schwierig – was angesichts der städtischen Ablehnung der Varianten 1 und 2 das Ende für die Zweite Tramachse bedeuten könnte. Thomas Iten bestätigt denn auch, dass die Sistierung des Evaluationsprozesses nach Auswertung des Zwischenschritts eine Option ist. Man sei jedoch zuversichtlich, dass eine «gemeinsam getragene Lösung» gefunden werden könne.

Neue Stellungnahme ist entscheidend

Ob dieser Optimismus berechtigt ist, wird sich in den nächsten Wochen und Monaten zeigen. Klar ist, dass der Bund von der Aussicht auf ein Tram in seinem Vorgarten bisher überhaupt nicht begeistert war: Das BBL bezeichnete eine Tramlinie vor dem Bundeshaus in seiner Stellungnahme als «von vornherein nicht bewilligungsfähig» (Paraphrasierung im Mitwirkungsbericht). Dass die RKBM dies anders beurteilt, zeigt schon nur die Tatsache, dass Variante 3 als mögliche Option geprüft wurde und weiter im Rennen ist.

Heute führen zwei Buslinien vor dem Bundeshaus durch. Eine Tramachse sei hier jedoch nicht bewilligungsfähig, schrieb der Bund in seiner ersten Stellungnahme. (Foto: David Fürst)

Diese Diskrepanz wirft wiederum die Frage auf, auf welcher Grundlage die Bedenken des Bundes basieren. Da die ursprüngliche Stellungnahme des BBL bis auf weiteres unter Verschluss bleibt, ist dies der Öffentlichkeit nicht bekannt. Der Bund steht jedenfalls unter Druck, seine Bedenken in der neuen Stellungnahme genau zu begründen – besonders, wenn er bei seiner grundsätzlich ablehnenden Position bleibt. Die Regionalkonferenz wollte sich auf Nachfrage nicht dazu äussern, ob sie Variante 3 auch dann verwerfen würde, wenn eine allfällige kategorische Ablehnung des Bundes für sie nicht nachvollziehbar ist. Vor Eingang der Stellungnahme und dem Entscheid der Behördendelegation könne diese Frage nicht beantwortet werden, lässt Iten verlauten.

Sicher scheint jedenfalls, dass eine plötzliche Sistierung des wichtigen Projekts kritische Fragen nach sich ziehen würde. So waren die Mitwirkungsteilnehmenden mit überwältigender Mehrheit der Meinung, dass eine zweite Tramachse in der Berner Innenstadt dringend nötig sei.

Bei einer Sistierung stellen sich grundsätzliche Fragen

Wie es nach einer allfälligen Sistierung des Planungsprozesses weitergehen würde, ist völlig offen. Die Stadt Bern stellte jedoch bereits im Mitwirkungsverfahren grundsätzliche Herausforderungen des ÖVs in der Innenstadt fest, mit denen man sich auseinandersetzen müsse – unabhängig von der Realisierung einer zweiten Tramachse. Auf Nachfrage wollte sie nicht sagen, welche konkreten Schritte aus ihrer Sicht im Falle einer Sistierung nötig wären. Zu «hypothetischen Fragen» äussere sich die Stadt nicht, lässt Mesman verlauten.

In welche Richtung es gehen könnte, zeigt jedoch ihre Mitwirkungseingabe: Darin stellt sie praktisch das gesamte heutige ÖV-System zwischen Hirschengraben und Zytglogge zur Disposition. Es wirkte wie eine Einladung zu einer Grundsatzdiskussion, zu der sich die Behördendelegation gemäss Fazit des Mitwirkungsberichts aber (noch) nicht einlassen wollte. Im Falle einer Sistierung der Planungen an der zweiten Tramachse könnte sie jedoch die einzige Alternative sein.