Fabio hört: Anru – Hächu

von Fabio Lang 25. November 2025

Fabio Hört Der Schritt aus der Crew heraus, ohne sich von ihr emanzipieren zu müssen: Mit «Hächu» findet Anru seinen eigenen Weg und erklärt seinem Umfeld gleichzeitig seine Liebe.

Mit «Hächu» veröffentlicht Anru eine EP, die davon erzählt, was Nähe in einem Kollektiv bedeuten kann – und wie sich Eigenständigkeit trotzdem behauptet. Der Berner Musiker, bekannt aus der Vokuhila Mafia, zeigt auf sechs Songs, wie eng Freundschaft, Herkunft und künstlerische Haltung miteinander verwoben sind.

Der Titel «Hächu» ist ein Ausdruck aus dem Berndeutschen. «Hächu» ist ein veralteter Begriff für den Freund, den Geliebten. «Das ist mein Hach», bedeutet so viel wie: «Das ist mein Geliebter/meine Geliebte und/oder Freund.»

Zwischen Kollektiv und Selbst

Bekannt wurde Anru als Teil der Vokuhila Mafia, einem Kollektiv um Jule X und Astro Burger, das den Berner Rap in den letzten Jahren weit über die Stadt hinaus getragen hat. Doch während die Crew-Grösse wächst, bleibt die Frage nach der eigenen Position.

Immer wieder hört Anru den Vorwurf, ohne Jule X wäre er nicht da, wo er heute ist. Früher habe ihn das beschäftigt. «Heute sehe ich: Es war ein riesiges Sprungbrett», sagt er. «Jule X hat mir die Freiheit gegeben, Musik zu machen, wie ich wollte.» Diese Freiheit sei aber auch eine Last gewesen. «Ich dachte, ich müsse den nächsten Hit schreiben. Das hat mich blockiert.»

Foto: David Fürst
Foto: David Fürst

 

Heute sieht er es entspannter: «Jule X hat Türen geöffnet, aber es braucht uns alle drei. Und er ist nicht einer, der sagt: Ich habe dich hergebracht. Er sagt: Mach dein Ding.»

«Hächu» ist damit kein Bruch mit dem Kollektiv, sondern eine Neujustierung. Ein Versuch, innerhalb des Wir ein Ich zu formulieren.

Musik als Selbstverortung

Die EP bewegt sich zwischen Selbstreflexion und kollektiver Energie. In «Maria» und «Meer» beschreibt Anru autobiografische Momente, ruhig und unaufgeregt. «Wenn ich allein auf dem Balkon schreibe, ist das, als würde ich Tagebuch führen», sagt er. «Das kommt näher an mich ran als vieles andere.»

Ich finde es schön, wenn man sein Quartier, seine Stadt repräsentiert.

Mit «Dacia» öffnet sich die EP. Entstanden mit den Kollegen von Nullvier, klingt der Song heller, weiter, weniger introspektiv. Der Abschluss «Geisse Freestyle» entstand fast zufällig – alte Bars, ein neuer Beat, eine Stimmung, die passt. «Es entschleunigt. Ein perfektes Outro.»

Auch die Gastbeiträge sind keine Feature-Trophäen, sondern Freundschaften auf Augenhöhe: Jule X, Astro Burger, Kater Karlo und Nullvier. «Mit Kater Karlo wollte ich schon lange etwas machen. Er ist schon viel länger dabei als ich – das war überfällig.»

Alltag statt Personenkult

Seit den Erfolgen mit der Vokuhila Mafia spielt Anru auf den grossen Festivalbühnen. Trotzdem bleibt der Ton geerdet. «Es ist ein Hoch und ein Tief», sagt er. «Zuerst Riesen-Dopamin, dann gar nichts. Ich bin froh, wenn ich einfach mal nichts los habe.»

Foto: David Fürst
Foto: David Fürst

Musik, Studium und Arbeit bilden für ihn ein Gleichgewicht. «Ich bin nicht Justin Bieber», sagt er. «Ich bin immer noch der Anru, der ich immer war, der einkaufen geht.»

Viele von Anrus Texten verorten sich in Bern – zwischen Länggasse, Café Viktor und dem Sattler. «Das sind Orte mit Erinnerungen, meistens schöne», sagt er. Nach der ersten Gurten-Show ging die Crew im Viktor frühstücken, und die Euphorie blieb hängen.
Diese Ortsgebundenheit zieht sich durch sein Schreiben. «Ich finde es schön, wenn man sein Quartier, seine Stadt repräsentiert», meint er. «In Zürich wissen sie vielleicht nicht, wo das Monbijou ist – aber das gehört dazu.»

Eigenständigkeit durch Verbundenheit

Am Ende ist «Hächu» eine leise, aber klare Positionierung. Kein Abschied von der Crew, sondern eine Erinnerung daran, warum sie funktioniert: Weil aus Nähe keine Abhängigkeit wird.

Anru schreibt aus der Mitte seines Umfelds – nicht gegen, sondern mit ihm. «Hächu» ist ein Stück Berner Realität: Freundschaft, Musik und Selbstfindung als gleichwertige Teile einer Haltung.

Foto: David Fürst