BKA: Sie sind international in der Kunstwelt vernetzt. Ihren kuratorischen Einstand in Bern gaben Sie mit den Gletscheraufzeichnungen des Künstlers George Steinmann und dem Performanceprojekt von Olivia Abächerli. Zwei lokale Kunstschaffende. Muss man das Berner Publikum mit Vertrautem anlocken?
iLiana Fokaniaki: Ich habe die letzten 15 Jahre die radikalsten Kunst- und Forschungsorte in Athen und ganz Europa mitbegründet und bespielt. Ich hätte auch mit international gefragten Künstler*innen starten können, mit denen mich lange Kollaborationen und Freundschaften verbinden. Aber ich wollte zuerst die Stadt, das Haus und das Publikum kennenlernen. Meine kuratorische Arbeit basiert auf dem Prinzip der Ökologie – Dinge sollen aus dem Ort herauswachsen und sich nachhaltig entwickeln. In der Kunsthalle arbeite ich mit dem Konzept der Permakultur.
Was meinen Sie damit?
Permakultur ist ein Prinzip des Wachstums, das minimal interveniert und auf Koexistenz setzt, das vom Eigenen ausgeht und über Zonen hinweg bis in die Wildnis expandiert. Diese Zonen inspirieren unser Programm. Dinge sollen aus dem Haus herauswachsen. Die Solo-Shows von Steinmann und Abächerli wurden mit Absicht immer wieder verlängert. So konnten Besucher*innen mehrmals kommen und sehen, wie sich die Ausstellung wie ein Garten entwickelte. Steinmann setzt sich mit Klimawandel auseinander und Zukünften der Schweiz und ihrer Identität. Abächerli verhandelt in ihren Kartografien die nationale Identität. Sie reflektiert ihre Position als queere, weisse Künstlerin. Für mich gute Ausgangspositionen, um meine kuratorische Permakultur zu kultivieren.
Politik, Gender, Ökologie sind Ihnen wichtig. In Athen gründeten Sie mitten in der ökonomischen Krise der 2010er-Jahre den aktivistischen Kunstraum «State of Concept». Haben Sie keine Bedenken, mit Ihrer Radikalität aufzulaufen? Immerhin schmiss der grosse Harald Szeemann hin, weil man ihm eine Beuys-Ausstellung untersagte. Bern fand er zu konservativ.
Ich habe keine Angst vor der viel beschworenen Berner Behäbigkeit. Ehrlich gesagt habe ich die auch noch nicht so angetroffen. Ich erlebe die Kunstszene als offen, jung und progressiv. Das Publikum hat Lust auf Kunst, die existenziell ist.
Sie sind jetzt 9 Monate hier. Gefällt Ihnen das Leben in Bern?
Ich habe mich in die Altstadt und ihre Architektur verliebt und geniesse die Ruhe und Nähe zur Natur. Das passt zur momentanen Phase meines Lebens als Mutter. Und natürlich das Wasser. Als Griechin mag ich es, in der Nähe davon zu leben und zu arbeiten. Die Aare soll und wird in den nächsten Jahren übrigens auch ein Kunsthalle-Thema sein. Das Haus liegt ja direkt über dem Fluss. Und Wasser als Element ist existenziell. Und wird prekär, nicht nur im globalen Süden.
Ich stamme aus Athen und muss immer lachen, wenn Politik und Menschsein getrennt betrachtet werden. Im Griechischen wird der Mensch als Zoon politikon, als politisches Tier, definiert: Politik ist alles, was das Leben betrifft.
Seit den 1970er-Jahren galt auch in der Kunst das Diktum, dass selbst das scheinbar Unpolitische politisch ist. Was sagen Sie zum Wiederaufkommen der Vorstellung, dass Kunst nicht politisch sein soll?
Ich stamme aus Athen und muss immer lachen, wenn Politik und Menschsein getrennt betrachtet werden. Im Griechischen wird der Mensch als Zoon politikon , als politisches Tier, definiert: Politik ist alles, was das Leben betrifft. Kunst bringt uns dazu, uns als Citizens zu begreifen. Aktivismus ist das aber nicht. Gehen Sie in ein Flüchtlingslager oder in eine Suppenküche, wenn Sie aktivistisch sein wollen. Oder lassen Sie sich wählen. Kunst, die aber kritisch ist, ist jene, die überdauert. Denken Sie an Tinguely oder Meret Oppenheim.
Kaum haben Sie in Bern begonnen, wurde die Kunsthalle umgebaut. Erstmals seit 1918 übrigens. Aus Sicherheitsgründen erhält das Haus einen zusätzlichen Eingang im Untergeschoss. Sie sprechen von einem Prozess der Fermentation. Was gärt?
Ich verstehe den Umbau als grösseren Prozess des Wachsens. Die Kunsthalle wird zugänglicher für Menschen mit Rollstuhl. Parallel arbeiten wir im backstage am Kunstbetrieb selbst. Hier nehme ich die Arbeit meiner Vorgängerin Kabelo Malatsie auf, die sich mit flachen Hierarchien und Transparenz im Haus auseinandersetzte. Alle Verträge mit Künstler*innen und Mitarbeiter*innen wurden neu aufgesetzt – fairer und nach den Vorgaben des Berufsverbands. Und Ökologie ist wichtig, ebenso Zugänglichkeit, was das Begleitprogramm und Ausstellungstexte betrifft – wir bieten neu Audioguides und Erklärungen in einfacher Sprache. Wir befinden uns im Vorgang der Verpuppung.
Ende April entschlüpft die Kunsthalle ihrer Verpuppung. Dies mit der öffentlichen Installation «Chrysalis» des ghanaischen Künstlers Ibrahim Mahama, der erstmals in der Schweiz ausstellt. Werden wir die Kunsthalle wiedererkennen?
Ja und nein. Mahama nimmt die Idee der Verpuppung auf. Es wird etwas Neues entstehen, visuell wird aber auch Vertrautes anklingen – als Referenz an die grosse Vergangenheit der Kunsthalle, vor deren Tradition ich mich verneigen und in die mich einreihen möchte. Christo und Jeanne-Claude haben mit der Kunsthalle erstmals ein Gebäude verhüllt. Mehr verrate ich nicht.
Mit zwei grossen Solo-Ausstellungen eröffnet das Haus dann im Juni. Sie zeigen die abstrakten Skulpturen des afroamerikanischen Künstlers Melvin Edwards und die performative Kunst der namibischen Performancekünstlerin Tuli Mekondjo. Welche Richtung schlagen Sie damit ein?
Generell setze ich auf nicht-europäische Künstler*innen. Ich glaube, das Berner Publikum ist hungrig auf Kunst, die sie so noch nicht gesehen hat. Melvin Edwards und Tuli Mekondjo entstammen unterschiedlichen Generationen und Welten, beschäftigen sich aber beide auf ihre Art mit Rassismus, kolonialer Geschichte, der Verflechtung von Nationalem und Internationalem. Kakao spielt eine Rolle. Fairness, Feminismus, Nachhaltigkeit, Wiedergutmachung und Care sind wichtig. Das alles ist Teil unserer Permakultur. Ich bin gespannt, was in den sechs Jahren wächst.
Eröffnung: Mi., 30.4., 18 Uhr, www.kunsthalle-bern.ch
Dieser Artikel ist zuerst in der Berner Kulturagenda erschienen.