Als kurz vor vier Uhr nachmittags ein Einsatzfahrzeug der Polizei nach dem anderen das Gaswerkareal verlässt, begleiten die Anwesenden die Polizist*innen mit Sprechchören. Sie haben zum Teil Stunden ausgeharrt, den Einsatz der Polizei beobachtet und den Menschen in der Anstadt ihre Solidarität ausgesprochen. Denn auch sie mussten ausharren.
Ungefähr um acht Uhr in der Früh hatte die Polizei die Wagen- und Hüttensiedlung umstellt. Das Gebiet war weiträumig abgesperrt. Polizeihunde, Drohnen und Spezialeinheiten standen im Einsatz.
Vor Ort erzählte man sich, die Polizei suche eine oder mehrere Personen, die sie auf dem Areal der Anstadt vermute.
Danach passierte lange nichts. Rund sechs Stunden später betrat die Polizei schliesslich das Areal, durchsuchte das Gelände und einzelne Wagen und hielt mehrere Personen an. Rund eineinhalb Stunden nachdem die Polizei das Gelände betreten hatte, war der Einsatz zu Ende.
Zurück blieben die verunsicherten Bewohner*innen der Anstadt und die Menschen, die sich den ganzen Tag über mit ihnen solidarisiert hatten und mit ebenso viele Fragen dastanden. Wen oder was hatte die Polizei genau gesucht? Wie viele Menschen hatte sie angehalten und mitgenommen? Wozu dieses riesige Aufgebot? Und was war da den Tag über eigentlich genau los?
Auslöser war ein gestohlener Tresor
Eine breitere Öffentlichkeit erfuhr am Donnerstagvormittag über eine Nachricht aus der Anstadt, die auf den sozialen Medien kursierte, vom laufenden Polizeieinsatz. «Seit 08.00 Uhr formiert sich immer mehr Polizei rund um die Anstadt. Mit Spürhunden und Drohnen. Sie sagen sie suchen eine Person und wollen wahrscheinlich das Gelände in kürze stürmen. Bitte kommt alle die Zeit haben vorbei», lautete der Aufruf.
Bald darauf fanden sich um die 30 Sympathisant*innen vor dem Eingang zur Anstadt ein. Im Verlauf des Vormittgas wurden es immer mehr. Auch die Polizei fuhr mit immer mehr Einsatzfahrzeugen und Einheiten auf. Vor Ort erzählte man sich, die Polizei suche eine oder mehrere Personen, die sie auf dem Areal der Anstadt vermute. Am Mittag informierte die Kantonspolizei erstmals via Social Media über den Einsatz. Im Zusammenhang mit dem Diebstahl eines Tresors suche die Polizei die Täterschaft, die mutmasslich auf das Areal der Anstadt geflüchtet sei, hiess es dort.
In einer Medienmitteilung gab die Polizei am Donnerstagabend dann etwas mehr Kontext. Am frühen Morgen ging bei der Polizei die Meldung ein, dass drei Personen beim Gaswerkareal versuchen würden, einen Tresor aufzubrechen. Nachdem eine Patrouille ausgerückt war, seien die Tatverdächtigen auf das Areal der Anstadt geflüchtet. Den geöffneten Tresor liessen sie dabei zurück. Wie die Polizei später herausfand, war der Tresor bei einem Einbruchdiebstahl in Gümligen entwendet worden.
Die Polizei suchte also nach drei Tatverdächtigen. Wie die Polizei am frühen Nachmittag bekannt gab, hatte sich einer der Tatverdächtigen in der Zwischenzeit gestellt. Die restlichen Verdächtigen vermutete die Polizei nach wie vor auf dem Areal der Anstadt.
Ich musste relativ lange warten, bis ich mit den Bewohner*innen der Anstadt sprechen konnte.
Als die Polizei das Gelände gestützt auf einen Betretungs- und Hausdurchsuchungsbefehl der Staatsanwaltschaft betrat, suchte sie nach den zwei verbleibenden Tatverdächtigen und dem Deliktsgut. Zur Tätersuche betrat sie teilweise Wohnwagen auf dem Gelände, schreibt die Medienstelle der Kantonspolizei auf Anfrage. Wie die Polizei in ihrer Medienmitteilung schreibt, konnte sie die beiden Tatverdächtigen auf dem Areal anhalten. Deliktsgut habe die Polizei in der Anstadt hingegen keines sichergestellt, schreibt die Medienstelle.
Die Polizei betrat Wagen ohne Beisein der Bewohner*innen
Silas Kuratle hat das Geschehen eng mitverfolgt. Der Rechtsanwalt ist nach einem Anruf aus der Anstadt sofort an die Sandrainstrasse gegangen, um zu vermitteln. Der Verein Anstadt hatte ihn mandatiert, um mit der Polizei zu verhandeln. «Ich musste relativ lange warten, bis ich rein durfte und mit den Bewohner*innen der Anstadt sowie mit der Polizei und dem Einsatzleiter sprechen konnte», erzählt Kuratle.
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Mit der Polizei konnte er schliesslich vereinbaren, dass die Polizei die Wohnwagen der Anstadtbewohner*innen nur mit den jeweiligen Bewohner*innen und Kuratle zusammen betreten darf. «Das hat teilweise geklappt, teilweise wurden Wagen auch ohne Beisein von Personen durchsucht», sagt der Anwalt. Die Polizei bestätigt das auf Anfrage: «Ja, teilweise haben wir bei der Tätersuche offene Wohnwagen betreten.»
Nicht einigen konnten sich Kuratle und die Polizei beim Umgang mit einer verängstigten Person in der Anstadt. Weil der Polizeieinsatz bei ihr Angst auslöste, wollte die Person das Areal verlassen können. Silas Kuratle versuchte das möglich zu machen, «doch die Polizei hat niemandem erlaubt, das Areal zu verlassen, bevor sie es betreten hat», erzählt er.
Sieben Menschen angehalten
Wie der Medienmitteilung der Polizei zu entnehmen ist, hat die Polizei auf dem Areal mehr Menschen als nur die Tatverdächtigen angehalten. Vier weitere seien zu Abklärungen auf die Wache gebracht worden. Diese vier Personen seien «zur Klärung des Sachverhaltes» auf die Polizeiwache gebracht worden, schreibt die Medienstelle auf Anfrage.
Eine dieser vier Personen befindet sich nun wegen weiteren Delikten in Haft, schreibt die Kantonspolizei weiter. Die drei weiteren wurden entlassen. Auch die drei Tatverdächtigen wurden mittlerweile wieder entlassen.
Offen bleibt die Frage nach dem Vermögenswert, um den es bei dem Einbruchdiebstahl geht. Die Höhe des Deliktsguts sei Gegenstand der laufenden Ermittlungen, schreibt die Polizei. Doch unabhängig davon, wie hoch die erbeutete Summe ist, stellt sich die Frage: Rechtfertigt ein Vermögensdelikt einen solch grossen Polizeieinsatz?
Die Medienstelle der Kantonspolizei schreibt dazu: «Aufgrund der Tatsache, dass es sich um ein weitläufiges Areal mit zahlreichen Wohneinheiten handelt und die Reaktion der Anwesenden bei einem Betreten des Areals nicht abschliessend eingeschätzt werden konnte, wurden entsprechend Einsatzkräfte aufgeboten.» Dennoch löst das Vorgehen der Polizei bei den Betroffenen der Anstadt, bei ihren Sympathisant*innen sowie bei Beobachter*innen Fragen auf. Dieser denkwürdige Donnerstag wird in Bern wohl noch einiges zu reden geben.
Ab 8 Uhr morgens war der Eingang zur Anstadt gesperrt. (Foto: David Fürst)
