Noch im Februar 2022 hatte sich der Gemeinderat der Stadt Bern offiziell für die Neugestaltung des Autobahnanschlusses im Wankdorf ausgesprochen. Er erhob im Rahmen des Plangemehmigungsverfahrens zwar Einsprache gegen das Bauvorhaben, stellte aber nur marginale Forderungen. Diese betrafen den Erhalt der Allee an der Bolligenstrasse, den Ersatz einer Hecke, welche gerodet werden müsste, und die Verbreiterung der geplanten Brücke für den Langsamverkehr. Ausserdem verlangte die Stadt eine Reihe von Auflagen für die Bauausführung. Im Übrigen forderte sie aber die Fortsetzung des Plangenehmigungsverfahrens.
Alle drei neu gewählten Mitglieder hatten sich im Vorfeld der Wahl gegen das Wankdorfprojekt ausgesprochen.
Als Reaktion auf diese Haltung lancierten der Verein Spurwechsel und seine Mitgliedorganisationen eine städtische Initiative mit dem unmissverständlichen Titel «Verkehrsmonster Wankdorf stoppen! Kein Mehrverkehr durch Nationalstrassenprojekte». Sie wurde im Januar 2024 mit mehr als 6‘800 Unterschriften eingereicht und will den Gemeinderat unter anderem verpflichten, «sich mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln» – so der Initiativtext – dafür einzusetzen, dass auf das Aus- und Umbauprojekt im Wankdorf verzichtet werde.
Stimmungswechsel im Gemeinderat
Spätestens am Wochenende vom 23./24. November 2024 wurde aber klar, dass die Stellungnahme des Gemeinderates nicht dem Willen der städtischen Bevölkerung entsprach. An diesem Wochenende wurde nämlich der Gemeinderat der Stadt Bern neu zusammengesetzt. Alle drei neu gewählten Mitglieder, Ursina Anderegg vom Grünen Bündnis, Melanie Mettler von der GLP und Matthias Aebischer von der SP, hatten sich im Vorfeld der Wahl gegen das Wankdorfprojekt in der geplanten Form ausgesprochen. Es war daher klar, dass sich im neuen Gemeinderat keine Mehrheit mehr für das Bauvorhaben finden würde.
Am gleichen Wochenende waren aber auch die Pläne des Bundes zum Ausbau von sechs Autobahn-Abschnitten zur Abstimmung gekommen. Unter anderem sollte die Autobahn im Grauholz auf acht Spuren erweitert werden. In der Abstimmung sprach sich eine klare Mehrheit der Bevölkerung gegen diesen weiteren Autobahnbau aus. In der Stadt Bern betrug die Nein-Mehrheit fast drei Viertel (74.74%).
Der Gemeinderat hat entschieden, die Erteilung der Plangenehmigung mittels Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht anzufechten.
Obwohl der Anschluss Wankdorf nicht Gegenstand dieser Abstimmung gewesen war, konnte kein Zweifel daran bestehen, dass die Berner Stimmberechtigten keine weiteren Grossinvestitionen in den Ausbau von Strassen wünschen. Auch war klar, dass das Wankdorf-Projekt in Erwartung des Ausbaus der anschliessenden A1-Abschnitte geplant worden war und nach dessen Ablehnung deutlich überdimensioniert war. Angesichts dieser Entwicklungen war es nur noch eine Frage der Zeit, wann der Gemeinderat sich auch offiziell gegen eine Weiterführung des Projekts aissprechen würde.
Die Stadt erhebt Beschwerde gegen die Plangenehmigung
Am 2. Mai 2025 hat das UVEK, das Departement von Bundesrat Rösti, die Pläne für die Umgestaltung des Autobahnanschlusses Wankdorf genehmigt. Da es sich dabei formell um ein Nationalstrassenprojekt handelt, sind nicht die kantonalen Behörden für diese Bewilligung zuständig, sondern der Bund. Zuständig für die Bauausführung wäre das Bundesamt für Strassen ASTRA.
Wie heute zu vernehmen war, hat der Gemeinderat entschieden, die Erteilung der Plangenehmigung mittels Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht anzufechten. Das muss insofern überraschen, als der gleiche Gemeinderat sich im erstinstanzlichen Verfahren noch für das Porjekt ausgesprochen hat und sich daher juristisch in einer nicht einfachen Ausgangslage befindet. Es ist aber insofern konsequent, als sich der neue Gemeinderat auf die klare Willensäusserung der städtischen Bevölkerng in der Abstimmung über den Ausbau der Autobahnen berufen kann. Auch kann er geltend machen, dass sich durch das Abstimmungsresultat vom November 2024 die Rahmenbedingungen verändert haben, weil die Kapazitäten auf der Grauholz-Autobahn entgegen der früheren Annahme nicht erweitert werden.
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Die Stadt Bern wird wohl nicht alleine vor dem Bundesverwaltungsgericht gegen das Bauvorhaben antreten müssen. Es ist zu erwarten, dass sich mindestens auch der Verkehrs-Club der Schweiz und die Vereinigung Pro Velo gegen die Erteilung der Plangenehmigung wehren werden. Die vom Bund geplante Umgestaltung des Anschlusses Wankdorf dürfte daher noch längere Auseinandersetzungen vor sich haben.
Das Verkehrsmonster wird gestoppt
Wie heute weiter bekannt wurde, hat der Gemeinderat auch entschieden, die Verkehrsmonster-Initiative anzunehmen. Damit kommt es gar nicht mehr zu einer Abstimmung über die Initiative, denn mit der Annahme durch den Gemeinderat wird diese zu geltendem Recht. Der Gemeinderat verpflichtet sich also von sich aus, sich mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln gegen jegliche Kapazitätsausbauten der Autobahnen in der Region Bern einzusetzen, wie es die Initiative verlangte.
Dass Stimmbevölkerung und Gemeinderat dabei in Zukunft am gleichen Strick ziehen, dürfte der Gegnerschaft des Bauvorhabens Auftrieb verleihen. Der Entscheid des Gemeinderates, die Initiative ohne Abstimmung anzunehmen, zeigt, dass er nicht einfach aus Opportunismus die Front wechselt, sondern sich langfristig auf eine andere Verkehrspolitik festlegen will.