Vorm Empfang der Alterssiedlung hat er sich
auf einen Stuhl gesetzt und wartet; erhebt sich,
als die Tür sich automatisch öffnet und er mich
im Gegenlicht erkennt. Mit ihm erhebt sich auch
das strenge Alter, das seine Hüften ungelenkig
macht und seinen Rücken schräg nach vorne bricht.
Jedoch: Er lacht, sagt «Sälü», breitet seine müden
Arme aus als Zeichen seiner Gastfreundschaft
im fremden Haus und bittet mich zu folgen in den
kleinen Speisesaal, in dem die Pensionäre essen.
Wir setzen uns, wir reden, essen nebenbei und
ich erwähne Spitteler und Widmann, Jugendfreunde
und Studenten der Theologie, schon bald verkracht
mit Kirche und mit Dogma, doch in beiden steckt
die tiefe Sehnsucht nach dem Religiösen als Erlebnis.
Widmann wird zum Pantheisten, Spitteler, der Atheist
und Epiker, erhöht die Verserhabenheit zur Kunstreligion.
Woher jedoch, frag ich, bei beiden dieser Bruch
mit dem tradierten Christentum? War’s Basel? War’s
ihr Lehrer Jakob Burckhardt? War’s Professor Nietzsche,
den ja beide lasen, später öffentlich auch kritisierten?
Overbeck!, sagt da bestimmt der Alte über seiner
Suppe: Vergiss den Theologen nicht, der auch in Basel
lehrte und den Glauben ob der Kirchentradition
verlor, danach die Christlichkeit der herrschenden
Theologie in Frage stellte… Und war’s nicht er,
der sich von Basel nach Turin bemühte, als Freund
Nietzsche dort im Untergehen einen Droschkengaul
umklammerte? Er war ein intressanter Mann,
vielleicht für Spitteler und Widmann auch.
Und später geht’s um seine Zeit in Basel,
und wie im Seminar des Protestanten Barth
sich mehr als einmal Balthasar auch einfand,
um als Katholik zu disputieren, den Studenten
zum Gewinn. Und wie dann Balthasar, vom Papst
zum Kardinal ernannt, Jahrzehnte später tot
zusammenbricht, auch das in Basel und bevor
er dazu kommt, nach Rom zu fahren.
Dann reden wir von «Sax», vom neuesten Roman
des älterwerdenden Poeta doctus dieses Lands,
und dass die Kritiken nicht eben gnädig…
«Ach, der A.», seufzt zwinkernd da der Alte
und erzählt, wie einst an einer Tagung Hanni,
seine Frau, dem oft Verzagten einen Abend lang
die Klagen abgehört und so ein gutes Werk getan.
Und als wir beide lächeln, sitzen plötzlich
wir zu dritt, auch Hanni lächelt, deren Asche
im Schosshalden-Friedhof unterm grossen Stein
gebettet ist und wartet. – Zwei, schon zwei,
ich greife nach dem Portemonnaie und er, empört,
ich sei sein Gast. Wir gehn danach in seinem Schritt
zur Ausgangstür und während er noch winkt,
eil ich zur Busstation, zurück in meinen Alltag.
(September 2010)