Mit den Gletschern trauern

von Noah Pilloud 17. September 2025

Filmfestival Das Filme für die Erde Festival bringt die Klimakrise in die Cinématte. Darunter auch den Film «Requiem in Weiss». Regisseur Harry Putz erklärt, dass Gletscher lautlos sterben – und wie Trauer zum Handeln anregen kann.

Der Untertitel Ihres Filmes lautet «Das würdelose Sterben unserer Gletscher». Ist der Film ein Versuch, den Gletschern ein Stück der Würde zurückzugeben?

Gletscher haben an sich ja keine Würde. Aber dass die Gletscher dermassen rapide schmelzen, das geschieht in erster Linie so schnell, weil wir als Menschen so wirtschaften, wie wir wirtschaften. Das ist in meiner Meinung nach in höchstem Masse würdelos, weil wir ja wissen, was wir unserem Planeten damit antun. Und ich glaube, die Würde können wir wieder zurückgewinnen, indem wir verstehen und danach handeln.

Es liegt eine Gefahr darin, Naturphänomene zu personifizieren. Zugleich nehmen viele, die sich intensiver mit Gletschern befasst haben, diese als Wesen wahr. Haben Sie das beim Filmen auch so erlebt?

Der Film war ein ziemliches Low-Budget-Projekt, darum musste ich das Programm schnell durchziehen. Während des Drehs war alles sehr eng getaktet. Ich habe es manchmal verpasst, die Orte wirklich zu spüren. Das ist mir aber dann im Schnitt gelungen, als ich dann die Zeit fand, die Aufnahmen auf mich wirken zu lassen. Die Gletscher fühlen sich an wie zeitlose Wesen, aber dennoch sind sie in der Zeit sehr veränderlich.

Ich denke, die Trauer über den Verlust hat stark zugenommen, weil die Gewissheit immer grösser wird, dass die Gletscher verschwinden werden.

Zu Beginn des Films sagen Sie, die Gletscher sterben lautlos. Wie geht dieser lautlose Tod vonstatten?

Sie regen sich nicht auf und klagen nicht an. Sie reagieren auf Umwelteinflüsse und machen das, was Gletscher tun: Sie passen sich der Temperatur an. Wenn es halt wärmer ist, dann ziehen sie sich zurück, weil sie sich so nicht wohlfühlen, wenn man ihnen ein Gefühl zuschreiben will.

Dass man Gletschern eine Persönlichkeit zuschreibt, kommt auch bei den sogenannten Gletscherbegräbnissen zum Ausdruck. Eine solche besuchen Sie im Film.

Ich habe mich dafür entschieden, sie einzufangen, weil es Religion und Wissenschaft auf grossartige Weise zusammenbringt. Ich merkte, dass ich Aufnahmen dieses Gletscherbegräbnisses als Rahmenhandlung in den ganzen Film einbauen will. Deswegen auch der Titel. Ein Requiem ist ja eine Totenmesse.

Die Trauer im Film kann wohl am besten mit dem Begriff der Solastalgie gefasst werden. Sie meint das Verlustgefühl, das sich einstellt, wenn man die Zerstörung oder Veränderung des eigenen Lebensraums miterlebt. Sind Sie diesem Gefühl bei den Dreharbeiten oft begegnet?

Ja. Gefühle sind etwas, das den Menschen näher ist als Wissen. Ich denke, diese Trauer über den Verlust hat stark zugenommen, weil die Gewissheit immer grösser wird, dass die Gletscher verschwinden werden. Gerade bei Menschen, bei denen das Bild der Gletscher als ewiges Eis noch stark verwurzelt ist.

Aus der Forschung zu Solastalgie ist bekannt, dass Menschen sie stärker fühlen, die direkt von diesen Ökosystemen abhängen – etwa durch Landwirtschaft. Nun könnte man argumentieren, dass die Bergregionen auch durch den Tourismus an den Gletscherlandschaften hängen. Haben Sie festgestellt, dass die Menschen dort mehr trauern?

Die Menschen, die sich in Tourismusregionen bewegen, haben dieses Gefühl oft nicht. Für mich war es ein absoluter Horror, am Rhonegletscher diese Plastikberge zu sehen. Es gibt keine Eishöhlen mehr in der Gletscherzunge, da sind lediglich noch abgedeckte Reste unter Planen, wo noch Eis übrig ist. Der Mensch hat eine selektive Wahrnehmung. Deswegen habe ich den Tourismus und vor allem die Gletscherskigebiete so stark im Film thematisiert. Wenn Leute ein Gletscherskigebiet nur vom Winter kennen, ist alles weiss. Ich wollte zeigen, welche Dauerbaustellen das sind, damit sie selbst entscheiden können, ob sie diese Art des Tourismus unterstützen wollen.

Der Filmemacher Harry Putz besuchte unter anderem den Aletschgletscher. (Foto: Freiluftdoku)

Der Film zeigt, wie die Abhängigkeit vom Tourismus in eine Zwickmühle führt: Die Klimakrise bedroht die Lebensgrundlage des Tourismus, aber Tourismus, der lukrativ sein soll, bedroht die Landschaften umso stärker.

Ich bin selbst in einer Tourismusregion aufgewachsen. Ich sehe, dass der Tourismus eine wirtschaftliche Entwicklung überhaupt erst möglich gemacht hat. Doch das ist meiner Meinung nach mittlerweile ausser Rand und Band gelaufen. Es braucht kluge Köpfe und ein Umdenken. Wir müssen uns überlegen, wie wir resilienter und unabhängiger vom Tourismus werden können.

Ist Ihr Film Trauerbewältigung oder Aufruf zum Handeln?

Für mich ist es definitiv wichtiger, dass die Leute diesen Film als Appell verstehen. Ein Aufruf an die Menschen, die Klimakrise ernst zu nehmen, das Wirtschaften des Menschen auf der Erde zu hinterfragen und zu sehen, dass wir nur in kreislauffähigen Systemen eine Zukunft als Gesellschaft haben.

Dieser Text entstand in Kooperation mit der Berner Kulturagenda. www.bka.ch