Liebe, Normalität und queere Realitäten

von David Fürst 10. November 2025

Kinderbilderbuch In ihrem ersten Buch zeigt die Berner Illustratorin Sophie Hofmann das Leben eines Kindes und seiner queeren Grossmütter. Im Gespräch erzählt sie, was die Arbeit daran mit ihr gemacht hat und wie es kam, dass das Buch bei einem schwedischen Verlag publiziert wurde.

Ein Kind verbringt das Wochenende bei seinen beiden Grossmüttern in einem schönen Haus mit Garten. Alles ganz normal? Alles ganz normal. Eine der Grossmütter ist eine trans Frau – und für das Kind ist es nichts Ungewöhnliches, zwei Grossmütter zu haben. «Hemma hos mormor och mormor» (deutsch: Daheim bei Grossmutter und Grossmutter) ist das erste Kinderbuch der Berner Illustratorin Sophie Hofmann, erschienen im schwedischen Lilla Pirat Verlag. Die Illustrationen tragen die Leser*innen durch diese warme Bildwelt, in der es viel zu entdecken gibt und die vielleicht bei der einen oder anderen Person Kindheitserinnerungen weckt.

Worum geht es in deiner Geschichte?

Es geht um ein Kind, das ein Wochenende bei seinen Grossmüttern verbringt. Sie backen Kuchen, kochen, schauen alte Fotos an und finden einen verletzten Vogel, den sie gemeinsam pflegen. Ich wollte die Banalität solcher Kindheitswochenenden zeigen und habe mich an meine eigenen erinnert. So konnte ich die Figur der Grossmutter, die eine trans Frau ist, auf natürliche Weise einbeziehen. Das Transsein ist dabei ein Teil der Geschichte, aber nicht ihr zentrales Thema. Im Mittelpunkt stehen Liebe, Nähe und Vertrautheit.

Wie bist du zu dieser Geschichte gekommen? Oder ist sie zu dir gekommen?

Inspiriert ist die Geschichte von der Transition meines Vaters. 2021 habe ich mit den ersten Skizzen und dem Storyboard begonnen. Es war aber ein langer Prozess, die Geschichte des Bilderbuches hat sich immer wieder gewandelt und verändert. Dann hatte ich das Glück, beim Bolo Klub mitmachen zu können, einem Förderprogramm für Menschen, die ein Kinderbilderbuch veröffentlichen möchten. Ich habe mich dort mit meiner Geschichte beworben und durfte teilnehmen.

erste entwürfe - noch in schwarz weiss
Erste Entwürfe – noch in schwarz und weiss. (Foto: David Fürst)
Sophie Hofmann an ihrem Zeichnungstisch. (Foto: David Fürst).

Ein Jahr lang war ich Teil einer Gruppe, die sich gegenseitig unterstützt hat in der Entwicklung des Kinderbilderbuches. Dazu kam noch ein Mentorat mit Johanna Schaible aus Bern, die mich sehr unterstützt hat. Durch sie und die Gruppe habe ich den Mut entwickelt, meine Geschichte zu teilen.

Warum war es dir wichtig, eine Geschichte über ein Kind mit zwei Grossmüttern zu erzählen?

Die zwei Grossmütter sind sicher inspiriert von meinen Eltern. Ich fand es spannend, Queerness in älteren Generationen zu thematisieren und zu zeigen: Eine Transition, auch spät im Leben, kann viel aufrütteln, aber einander auch näherbringen. In diesem Fall ein Leben lang. Ich wollte keine klassische Eltern-Kind-Beziehung zeigen, sondern betonen, dass ein Kind von ganz unterschiedlichen Bezugspersonen umsorgt und begleitet werden kann. Die Geschichte wird aus der Perspektive des Kindes erzählt – das war mir wichtig. Vielleicht deshalb, damit Kinder sich mit seinesgleichen identifizieren können und die Sprache simpel bleibt. Ich fühlte mich persönlich auch wie das Kind, das beobachtet, was da gerade mit meinen Eltern passiert.

Ich finde, Kinderbilderbücher sind immer auch Bücher für Erwachsene.

Was macht die Perspektive des Kindes besonders?

Sie bringt eine Klarheit mit sich. Das Kind kennt seine Grossmütter nicht anders, es nimmt die Situation einfach an. Für Kinder kann es etwas ganz Banales sein, dass Menschen ihre Geschlechtsidentität wechseln. Es geht für das Kind in diesem Fall nicht um Kategorien, sondern darum, dass man sich gernhat. Ich wollte zeigen, dass das Zuhause, der Garten, dieser kleine Mikrokosmos ein sicherer Raum ist.

Wie bist du künstlerisch vorgegangen?

Ich habe mit Gouache und Farbstiften gearbeitet. Zuerst habe ich viele Skizzen gemacht, kleine Storyboards, schnelle Entwürfe, später dann Bild und Text kombiniert. Ich wollte, dass die Bilder nicht dasselbe erzählen wie der Text. Sie dürfen parallel laufen, so dass das Buch auch funktioniert, wenn man es nur anschaut. So können schon sehr kleine Kinder ab etwa drei Jahren etwas daraus mitnehmen.

An wen richtet sich dein Buch?

Es ist in erster Linie für Kinder gedacht, aber natürlich lesen auch Erwachsene mit. Ich finde, Kinderbilderbücher sind immer auch Bücher für Erwachsene.

Foto: David Fürst

 

sophie im proger-innenhof, wo momentan gebaut wird
Foto: David Fürst

Wie bist du zu einem schwedischen Verlag gekommen?

Am Ende des Bolo Klubs sind wir mit unseren Projekten nach Bologna an die grosse Kinderbuchmesse gereist, um dort Verlage kennenzulernen. Dort habe ich den schwedischen Verleger von Lilla Pirat getroffen. Ich habe das Buch nicht mehr an andere Verlage geschickt – es hat sich einfach richtig angefühlt.

Was sollen Kinder und Erwachsene aus der Geschichte mitnehmen?

Ich wünsche mir mehr Offenheit und Akzeptanz der Vielfältigkeit der Menschheit gegenüber. Und den Mut, sich und anderen Sorge zu tragen, auch wenn das etwas kitschig klingt. Doch nun liegt es eigentlich nicht mehr in meinen Händen, was Menschen aus dieser Geschichte mitnehmen.

Ich habe gemerkt, wie wichtig es ist, dass queere Themen als Selbstverständlichkeit in Geschichten einfliessen.

Welche Reaktionen hast du bisher erhalten?

Vor kurzem war ich mit meinem Verlag an einer Buchmesse in Schweden. Da kamen viele Rückmeldungen von Erwachsenen, die das Buch bereits mit ihren Kindern angeschaut haben. Ein Kind, dessen Elternteil trans ist, meinte: «Das ist ja wie bei meinem Vater.» Andere Kinder haben angefangen, Fragen zu stellen: «Fühlst du dich als Mädchen oder als Junge?» Das hat mich sehr berührt. Kinder haben binäre Rollenbilder oft schon früh verinnerlicht, aber vielleicht können Bücher wie dieses dazu beitragen, dass sie ins Nachdenken kommen.

Hat dich die Arbeit an der Geschichte selbst verändert?

Ja, sehr. Ich habe viel über Transrealitäten gelernt, viel gelesen und recherchiert. Und ich habe gemerkt, wie wichtig es ist, dass queere Themen als Selbstverständlichkeit in Geschichten einfliessen – nicht als etwas Besonderes, sondern als Teil des Lebens.

Und wie fühlt es sich jetzt an, da dein Buch publiziert ist?

Natürlich sehe ich viele Dinge, die ich heute anders machen würde. An einer Stelle habe ich zum Beispiel vergessen, Hände zu zeichnen (lacht). Aber das gehört wohl dazu.

die orginale lagert sophie in irem atelier. leider war der druck etwas dunkler als die originalen, was mir sophie mit etwas wehmut erzählt
Die orginale lagert Sophie Hofmann in ihrem Atelier. (Foto: David Fürst)
Foto: David Fürst