Gute Nachrichten, unbegreifliche Skepsis

von Basrie Sakiri-Murati 8. Mai 2023

Personenfreizügigkeit Trotz grosser Sehnsucht nach ihrer Familie hat unsere Kolumnistin sie bisher noch kaum hierher eingeladen. Vielleicht ändert sich das jetzt. Eine Hoffnung und ein Appell.

Die Kosovo-Albaner*innen sind das einzige Volk aus dem Balkan, dass seit 1991 nicht visumsfrei in den EU-Raum und die Schweiz einreisen durfte. Viele Menschen konnten in diesen Jahren weder Freude noch Trauer mit ihren Verwandten teilen. Denn bisher war es so: Kosovo-Albaner*innen, die in der Schweiz Angehörige besuchen wollten, mussten unzählige Unterlagen zusammenstellen, einen Antrag bei der Schweizer Botschaft in Pristina stellen und eine Anmeldungsgebühr bezahlen. All diese administrativen Schritte sind mühsam und mit Kosten verbunden. Die Familienangehörigen, die hier leben, müssen ebenfalls einen Berg von Papieren, für das Gesuch eines Visums, bei den zuständigen Behörden einreichen und sie müssen für den Aufenthalt wie auch für die Rückkehr des Besuchs garantieren.

Ich hätte meine lieben Eltern sehr gerne vorübergehend zu mir geholt, damit sie den furchtbaren Krieg nicht hätten durchmachen müssen.

1995, als ich meine Mutter zur Geburt unseres Sohnes einlud, fühlte ich mich schikaniert. Ich bemühte mich, die Unterlagen vollumfänglich einzureichen, schloss eine Krankenversicherung für meine Mutter ab und doch wurde das Gesuch abgelehnt. Es hiess: «Ihr Verdienst kann die Kosten des Besuches nicht decken». Dies, weil ich als junge Mutter nicht voll arbeitete. Zum Glück konnte damals mein Bruder einspringen, der ebenfalls in der Schweiz lebt. Sonst hätte ich meine Mutter nie mehr sehen können.

Als dann 1998 der Krieg ausbrach, konnten Kosovar*innen keine Gesuche mehr einreichen. Ich hätte meine lieben Eltern sehr gerne vorübergehend zu mir geholt, damit sie den furchtbaren Krieg nicht hätten durchmachen müssen. Erst als der Krieg zu Ende war, war dies wieder möglich. Für uns zu spät, meine Eltern überlebten den Krieg nicht.

Laut einer Recherche vom vergangenen Jahr, zahlten Kosovar*innen durchschnittlich pro Kopf 165 Euro für einen Antrag eines Schengen-Visums. Das ist mehr als die Hälfte eines durchschnittlichen Monatslohns im Kosovo. Zusammengezählt machen die Antragskosten von Kosovo-Albanern pro Jahr mehrere zehn Millionen Euro aus.

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Nun hat die EU also entschieden, dass Kosovar*innen als Touristen ab dem 1. Januar 2024 ohne Visum, für drei Monate, in den Schengenraum einreisen dürfen. Welche Erleichterung! Es bedeutet, dass sich Kosovar*innen wie alle EU-Mitglieder künftig frei bewegen können. Besuche werden möglich, wenn auch weiterhin nur für Menschen mit Einkommen. Wer keine finanziellen Mittel hat, wird nicht einmal innerhalb des Balkans reisen können. Die Schweiz aber wird von den Besuchen aus dem Kosovo sogar profitieren. Auch wenn nicht Scharen von kaufkräftigen Touristen zu erwarten sind: die Verwandten in der Schweiz werden die Besucher*innen aus der Heimat verwöhnen wollen. Sie werden ihnen ihre neue Heimat zeigen, sie einladen, sie beschenken.

Und doch: wenn ich mit Schweizer*innen spreche, spüre ich, wie viele fürchten, dass nun Massen von Kosovo-Albaner*innen einreisen werden auf der Suche nach (Schwarz-)Arbeit und einer dauernden Bleibe. Warum diese Angst? Die Schweiz ist ein Rechtsstaat, die Menschen sind gut ausgebildet, Schwarzarbeit wird bekämpft und bestraft. Der Kosovo ist eines der ärmsten Länder des Balkans, aber die Menschen lieben ihre Familien und die grosse Mehrheit respektiert die Gesetze – in der Schweiz und in der EU. Deshalb, liebe Schweizer*innen: etwas mehr Vertrauen in den Staat. Und – bitte! –  etwas mehr Gastfreundschaft und Solidarität mit Menschen, welche endlich auch die Freizügigkeit geniessen wollen. Es ist in der Schweiz und in der EU ein grundlegendes Recht.