Gold und Schwarz

von Christoph Reichenau 27. Oktober 2021

Das Schicksal spinnt, von der Gesellschaft gesteuert, die Fäden, in die die Menschen sich verwickeln, bis das schlimmstmögliche Ende eintritt. «Rose Bernd» im Stadttheater beginnt im Goldglanz und endet  tiefschwarz. Gerhart Hauptmanns Trauerspiel von 1903 in Roger Vontobels Inszenierung weckt Hoffnung auf weiteres relevantes, von Musik mitgeprägtes Theater.

Die Geschichte könnte heute spielen. Und überall. Wie Männer mit Männern und Frauen, den Ehefrauen und anderen Frauen umgehen, war vor hundert Jahren nicht wesentlich anders als in unseren Tagen. Wie sich Frauen gegenüber Frauen und Männern verhalten, unterscheidet sich auch nicht grundsätzlich von damals. Damals als Gerhart Hauptmann, späterer Literaturnobelpreisträger, 1903 sein schlesisches Drama «Rose Bernd» in Berlin zur Uraufführung brachte, die durchfiel.

Die junge Rose will mehr vom Leben. Sie sucht Liebe, will die Beziehung mit einem verheirateten Mann beenden, aber den ihr vom autoritären und frommen Vater zugedachten Mann nicht heiraten; ein dritter Mann stellt ihr nach. Die Verhältnisse sind kompliziert, geprägt von Gewalt in manchen Schattierungen, offen und unterschwellig. Rose hat einen festen Kompass im Leben, aber die Kräfte, die an ihr ziehen, sind zu stark und machen sie zum Opfer, das zuletzt das eben geborene Kind erwürgt.

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In dieser dörflichen Gesellschaft kann niemand sein, wie sie oder er ist und will. Es gibt Erwartungen, Normen, Triebe. Glück ist nicht vorgesehen. Raum für Träume gibt es nicht. Die Menschen sind Figuren eines Automaten, bewegen sich fremdgesteuert in vorgegebenen Bahnen. Roses Vergewaltiger, dessen Verfolgung sie zum Tier macht, wie sie sagt, wirkt selber animalisch. Am Schluss verlieren alle, doch Rose bezahlt den höchsten Preis. Ihr roter Rock wird schwarz.

Hauptmanns Tragödie wird auf einfachster Bühne, einer abfallenden Fläche, als Kammerstück gegeben (verantwortlich Claudia Rohner). Zu Beginn ist der Boden übersät von Goldkonfettis, die herabregnen und die Blösse der Körper bedecken. Der goldene Staub wirbelt durch die Luft: Verheissung, die in absplitternde Träume umschlägt und kontrastiert mit der sich herabsenkenden Düsternis.

Yohanna Schwertfeger ist Rose, in allen Situationen grossartig: Nachdenklich, exzessiv, verwundet, verwirrt, kaputt. Lebenshunger, Ausgelassenheit, Trauer und Verzweiflung – man nimmt es ihr ab. Christoph Flamm, Roses Liebe spielt Heiko Raulin wandlungsfähig als abgebrühter und doch halbwegs anständiger Liebhaber, der von Null auf hundert zum Sänger und Entertainer wird, der mit dem ganzen Ensemble eine kleine Tanzchoreographie hinlegt.

Was auf der Szene geschieht,«kommentiert», untermalt, ergänzt die Band Traktorkestar mit Balkan-Sound, mal bodenständig, mal rockig-fetzig, feintönig, poetisch, mit ein paar Tönen immer präsent, ein antiker Chor, eine Stimme aus dem Off.

Nicht verschwiegen sei, dass im Zuschauerraum nicht alles aus der Bühne Gesprochene immer verständlich war. Ob es am schlesischen Dialekt lag, an der Artikulation oder der Akkustik? Auch wenn man dem Geschehen dennoch problemlos folgen konnte, hätte man gerade beim intimen Dialog zwischen Rose und Frau Flamm (Susanne-Marie Wrage) gerne jedes Wort gehört.

Ein verheissungsvoller Start des Schauspiels. Direktor Roger Vontobel hat die Inszenierung vor sechs Jahren für Bochum vorbereitet. Gutes Handwerk, packendes Spiel, aktuelles Thema in einem 120 Jahre alten Stück, das in Bern letztmals 2003 von David Mouchtar-Samorai auf die Bühne gebracht worden ist. Es ist längst nicht ausgespielt, denn die Geschichte zeigt keine spektakuläre Ausnahmesituation, sondern die himmeltraurige gesellschaftliche Normalität. Wenn die Themen- und Stückwahl für das „neue Schauspiel» von Bühnen Bern programmatisch ist, gern weiter so.

Sehr schade, blieben zahlreiche Plätze leer, nicht zum ersten Mal. Die tolle Aufführung verdient gerade in der Kombination von tiefem Ernst und mitreissenden Musik- und Tanzszenen Aufmerksamkeit und Zuspruch. Und «Bühnen Bern», wie das Vierspartenhaus neu heisst, braucht die Eintritte – als Anerkennung und als Einnahmen. Also hingehen und darüber reden!