Die Siebzigerjahre waren gesellschaftspolitisch ein Intermezzo. Das Minirockjahrzehnt mit Beatles, Woodstock, Anti-Vietnamkriegsdemos und der ersten Mondlandung war Geschichte. Die 80er mit Punk, Tschernobyl und der Gründung der ersten Umweltparteien noch nicht angebrochen.
Wer dazwischen jung war (die heutigen Boomer!) erlebte Jahre zwischen Ölpreiskrise, Watergate und Antiatombewegung. Eine farbenfrohe, aber keine sorglose Zeit; eine Zeit da auf den Bühnen rebelliert, aber noch nicht die totale Hoffnungslosigkeit zelebriert wurde. Es war eher eine Art tröstliches Zusammenfinden, im Vertrauen, dass doch noch gut wird, was bedrohlich schien.
Es war die Zeit des kritischen Films (Apocalypse Now), des gesellschaftlichen Aufbruchs und – eben – des kritischen Politkabaretts. Hanns Dieter Hüsch war eine der Hauptfiguren dieser Sparte im deutschsprachigen Raum. Am 6. Mai 1925 im Rheinland geboren, starb er 2005 nach jahrzehntelanger Bühnenarbeit im Alter von 80 Jahren.

Hüsch in Bern
Zwischen 1973 und 1979 lebte Hüsch zusammen mit seiner Bühnenpartnerin Silvia Jost in Bern. Er war deshalb eine stadtbekannte Persönlichkeit, seine Programme wurden hier (meist auf der Bühne der legendären Rampe) immer vor vollen Rängen aufgeführt und danach in den Kleintheatern zwischen Romanshorn und Laupen gespielt. Der kleine Mann mit Bart, Glatze und Nickelbrille, der seine sprachmächtigen Texte stets auf seiner Electrola-Orgel begleitete, war auch oft zusammen mit Franz Hohler auf Tournee.
Das Publikum darf feststellen, dass Themen und Texte, obwohl teilweise über 50 Jahre alt, zeitlos geblieben sind. Oder besser: Leider nach wie vor hochaktuell sind.
Franz Hohler und Silvia Jost stehen nun also in der Produktion von Beat Hugi zusammen mit Andreas Berger und dem Musiker Erich Strebel (der Hüschs legendäre «unspielbare» Original-Orgel wieder zum Leben erweckt) auf der Bühne und rezitieren Zeitloses von Hüsch. Das Programm wird zusammengehalten durch Hohlers diskrete Moderation und sein Cellospiel. Der Schweizer Altmeister der Kleintheaterszene erzählt Anekdoten aus Hüschs Leben. Und berichtet von ihrer gemeinsamen Bühnenarbeit und von den Entstehungsgeschichten einzelner Texte.
Und das Publikum darf feststellen, dass Themen und Texte, obwohl teilweise über 50 Jahre alt, zeitlos geblieben sind. Oder besser: Leider nach wie vor hochaktuell sind. Zu gerne möchte er wissen, gesteht Hohler, was Hüsch zur heutigen Welt, der bedrohten Demokratie, der Wiederkehr des Krieges und der Furcht vor Migration gesagt hätte.

Hüsch hatte Jahrgang 1925. In Deutschland ein gefährlicher Jahrgang, wie Hohler (mit Jahrgang 1943) bemerkt: «Seine Altersgenossen wurden noch zur Wehrmacht eingezogen.» Hanns Dieter Hüsch entging dem Militär. Wegen seines etwas verkürzten Beins. Er konnte nach Notabitur und Ersatz in einem Spital ein Medizinstudium beginnen. Das erfüllte ihn allerdings nicht. In den Vorlesungen schrieb er Texte für das Studentenkabarett. So begann seine Laufbahn als poetischer Literaturclown.
Erschreckend Zeitloses
Es folgten Jahre als Solist. Er tourte mit seinen Texten und seiner Orgel durch die deutsche Sprachlandschaft. Seine Agenda sei immer randvoll gewesen, erzählt Hohler und verrät, worum er Hüsch noch heute bewundert: «Er konnte im Auto schreiben.» Auf dem Beifahrersitz bei 160 Stundenkilometer quer durch Deutschland habe er geschrieben. Texte, die nicht auf das grosse Lachen aus waren, «sondern auf das Lächeln, welches der Bruder des Nachdenkens ist.»
Hüsch-Texte sind oft einfach, aber nie banal, manchmal wortreich, aber nie geschwätzig.
Im Bühnenprogramm gibt es nun ein Wiederhören mit einigen seiner besten Texte. Darunter ist verstörend Aktuelles («Das Phänomen» zum Fremdenhass), und erschreckend Illusionsloses («Das Weltende»). Es sind Texte, nach denen man kaum lachen oder applaudieren mag. Aber dann ertönt wieder eine urkomische Alltagsbetrachtung über den Besuch mit seiner Frau im Kino («Frieda und der Wilde Westen»). Und fehlen darf natürlich auch sein Abendlied nicht, das so tröstlich ist, dass ein Zeitgenosse es einmal als das schönste Gute-Nacht-Lied in deutscher Sprache bezeichnet hat.
Schmetterling kommt nach Haus / Kleiner Bär kommt nach Haus
Känguruh kommt nach Haus / Die Lampen leuchten – der Tag ist aus
Kabeljau schwimmt nach Haus / Elefant läuft nach Haus
Ameise rast nach Haus / Die Lampen leuchten – der Tag ist aus
Fuchs und Gans kommen nach Haus / Katz und Maus kommen nach Haus
Mann und Frau kommen nach Haus / Die Lampen leuchten – der Tag ist aus
Alles schläft und alles wacht / Alles weint und alles lacht
alles schweigt und alles spricht / Alles weiß man leider nicht
alles schreit und alles lauscht / Alles träumt und alles tauscht
sich im Leben wieder aus / Es sitzt schon der Abend auf unserem Haus
Schmetterling fliegt nach Haus / Wildes Pferd springt nach Haus
altes Kind kommt nach Haus / Die Lampen leuchten – der Tag ist aus
Hüsch-Texte sind oft einfach, aber nie banal, manchmal wortreich, aber nie geschwätzig. Im Zeitalter von schnelllebigen Kurznachrichten kann das eine echte Herausforderung für das Theaterpublikum sein. Besonders für Hörgerättragende, die wohl bei diesem Programm naturgemäss zahlreich vertreten sind. Wer nicht genau aufpasst, verpasst bei den sorgfältig konstruierten Sätzen die eine oder andere Pointe. Zum Glück gibt es zum Programm «Ich möchte ein Clown sein» ein Begleitheft mit Hüsch-Texten zum sorgfältigen Nachlesen – und Nachwirken lassen.
