Wahlen im Majorzverfahren sind oft uninteressant, weil schon im Voraus festzustehen scheint, wie sie ausgehen. Das war auch bei den Regierungsratswahlen von 2022 der Fall. Für die nächste Wahl, die im kommenden Frühling ansteht, gilt das Gegenteil: Sie dürfte spannend werden.
Gründe dafür gibt es verschiedene. Zum einen treten drei bisherige Ratsmitglieder nicht zur Wiederwahl an. Zum zweiten erheben die beiden politischen Blöcke, also die bürgerlichen Parteien einerseits und das rot-grüne Bündnis andererseits, je Anspruch auf einen zusätzlichen Sitz in der Regierung. Und zum dritten ist diesmal unklar, wie der Kampf um den Regierungsratssitz ausgeht, der gemäss Verfassung für den Berner Jura reserviert ist.
Sonderfall Jurasitz
Der für eine Vertretung des Berner Juras reservierte Sitz wird nach einem besonderen Wahlverfahren besetzt: Gewählt wird die Person, die das höhere geometrische Mittel der Stimmen aus dem Verwaltungskreis Berner Jura und der Stimmen aus dem restlichen Kanton erzielt. Konkret bedeutet das, dass die beiden Stimmenzahlen miteinander multipliziert werden und aus dem Ergebnis die Quadratwurzel gezogen wird. Sinn dieser kompliziert klingenden Berechnungsweise ist es, dass die Stimmen aus dem Berner Jura für die Besetzung dieses Sitzes ein etwas höheres Gewicht haben als die Stimmen aus den deutschsprachigen Kantonsteilen.
Bei den kommenden Wahlen stellt sich Schnegg aber ein Kandidat von deutlich anderem Kaliber entgegen: Hervé Gullotti.
Bei den letzten Regierungsratswahlen war das Rennen um diesen Jurasitz von Anfang an entschieden. Der SVP-Mann Pierre Alain Schnegg, der diesen Sitz seit 2016 innehatte, wurde gar nicht ernsthaft herausgefordert. Er erzielte denn auch sowohl im Berner Jura als auch im übrigen Kantonsgebiet deutlich mehr Stimmen als der einzige jurassische Gegenkandidat, Peter Gasser, vom damals nur noch in Moutier aktiven Parti Socialiste Autonome.
Bei den kommenden Wahlen stellt sich Schnegg aber ein Kandidat von deutlich anderem Kaliber entgegen: Hervé Gullotti, Gemeindepräsident von Tramelan und Präsident des Grossen Rates in den Jahren 2021/2022, ist eine politisch erfahrene, im Berner Jura bestens vernetzte und auch im übrigen Kantonsteil durchaus bekannte Persönlichkeit. Er kandidiert auf der Liste des rot-grünen Bündnisses.
Hinzu kommt, dass bei den kommenden Wahlen die Gemeinde Moutier nicht mehr zum Kanton Bern gehören wird. Ihre Stimmberechtigten machten bisher immerhin 12% des Wahlvolks des Berner Juras aus. Dass diese Stimmen jetzt wegfallen, kann für den Wahlausgang durchaus relevant sein; es hat nämlich zur Folge, dass dem Ergebnis im deutschsprachigen Kantonsteil für die Besetzung des Jurasitzes grösseres Gewicht zukommt als bisher.
Zwei gleich starke Blöcke
Um die restlichen sechs Sitze bewerben sich die Bisherigen Astrid Bärtschi (Mitte) und Philippe Müller (FdP) auf einer gemeinsamen Liste mit den neuen SVP-Kandidaten Daniel Bichsel und Raphael Lanz. Die bisherige SP-Vertreterin Evi Allemann kandidiert gemeinsam mit der Kandidatin der Grünen, Aline Trede, und ihrem SP-Kollegen Reto Müller. Auch hier hat der Ausgang des Rennens um den Jurasitz einen direkten Einfluss: Der Verlierer der dortigen Wahl wird automatisch zu einem Mitkonkurrenten um die verbleibenden sechs Sitze. Denn es ist ja durchaus möglich, dass beide Jura-Kandidaten gewählt werden: der Sieger auf den «Jurasitz», der Verlierer auf einen «normalen» Sitz.
Um gewählt zu werden, braucht es mindestens 100’000 Stimmen. Das kann keine der im Kanton Bern aktiven Parteien im Alleingang schaffen.
Die insgesamt neun Bewerber:innen auf diesen beiden gemeinsamen Listen werden auch noch Konkurrenz durch Kandidaturen aus anderen Parteien erhalten. So hat etwa die GLP die Kandidatur von Tobias Vögeli angekündigt. Ohne die Bildung eines parteiübergreifenden Blockes sind bei der anstehenden Majorzwahl aber alle derartigen Kandidaturen aussichtslos. Sie dienen allenfalls der Profilierung der betreffenden Personen und ihrer Parteien.
Denn um gewählt zu werden, braucht es mindestens 100’000 Stimmen. Das entspricht einem Anteil von jeweils rund 45% der Stimmberechtigten, die einen gültigen Wahlzettel eingelegt haben. Das kann keine der im Kanton Bern aktiven Parteien im Alleingang schaffen.
Bei den letzten Regierungsratswahlen erzielten die drei im Frühling wieder kandidierenden Personen zwischen 109’000 und 121’000 Stimmen. Sie lagen also nicht nur alle deutlich über dem absoluten Mehr, sondern auch sehr nahe beieinander. Da sich die parteipolitischen Konstellationen gegenüber der damaligen Wahl nicht wesentlich verändert haben, ist es sehr wahrscheinlich, dass die Ergebnisse der nächsten Wahl wieder ähnlich aussehen könnte.
Rivalitäten innerhalb der Blöcke?
Geändert hat sich die Ausgangslage aber insofern, als auf der bürgerlichen Liste im Gegensatz zu 2022 diesmal fünf Personen figurieren. Dass sie alle gewählt werden, ist angesichts früherer Erfahrungen mit einer solchen Listengestaltung wenig wahrscheinlich. Viel wahrscheinlicher ist, dass bürgerliche Wählerinnen und Wähler aus dem Angebot auswählen und vor allem die Personen wählen, die sie priorisieren wollen. Das hat dann zur Folge, dass die Wahlergebnisse der einzelnen Kandidierenden etwas tiefer liegen werden und dass die am schlechtesten platzierten Personen trotz Erreichen des absoluten Mehrs als überzählig aus der Wahl fallen.
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Genau dies ist 2022 passiert, als die rot-grünen Parteien versuchten, durch eine zusätzliche Kandidatur die Mehrheit im Regierungsrat zu erlangen, ohne sich ernsthaft um den Jurasitz zu bewerben. Ihr damaliger Kandidat, der frühere Bieler Stadtpräsident Erich Fehr, erzielte zwar das absolute Mehr, fiel aber als Achtplatzierter aus der Wahl. Das gleiche würde wohl auch 2026 eintreffen, wenn zwar alle Kandidatinnen und Kandidaten auf der grün-roten Liste das absolute Mehr erreichen, Hervé Gullotti aber das Rennen um den Jurasitz verliert. Es ist nicht ausgeschlossen, dass eine solche Perspektive trotz der demonstrierten Einigkeit zwischen Grünen und SP zu Rivalitäten innerhalb des Blockes führen kann.
Als wesentlich kleinere Parteien müssen Mitte und FdP davon ausgehen, dass ihre bisherigen Mitglieder des Regierungsrates, Astrid Bärtschi und Philippe Müller, weniger Stimmen erzielen werden als die drei SVP-Männer.
Das gilt aber in noch viel grösserem Masse auch für die bürgerliche Liste. Die wenig begeisterten Reaktionen der FDP und der Mittepartei auf die Ankündigung der SVP, für die kommende Wahl drei Kandidaten aufzustellen, ist Ausdruck solcher Rivalität. Als wesentlich kleinere Parteien müssen Mitte und FdP davon ausgehen, dass ihre bisherigen Mitglieder des Regierungsrates, Astrid Bärtschi und Philippe Müller, weniger Stimmen erzielen werden als die drei SVP-Männer. Zwar ist anzunehmen, dass sie beide auch bei den kommenden Wahlen das absolute Mehr erreichen werden. Dass sie auf einem der ersten sieben Plätze landen, wie es für die Wiederwahl notwendig wäre, ist aber alles andere als sicher. Die Nervosität im bürgerlichen Lager ist daher durchaus begründet.
Alle vier Jahre wählen die Stimmberechtigten im Kanton Bern die Mitglieder des Regierungsrats. (Foto: David Fürst)
