Das Verdikt war deutlich: Mit 67 zu 3 Stimmen stimmte der Stadtrat dem Investitionskredit für die Weiterentwicklung der Schulinformatik zu. Mit dem Geschäft will die Stadt ihre alternden Geräte ersetzen und «ein zeitgemässes Lernumfeld gewährleisten», wie es in der Abstimmungsbotschaft heisst. Am 9. Februar wird die Vorlage im Umfang von 21,8 Millionen Franken dem Stimmvolk vorgelegt.
Piratenpartei kritisiert den städtischen Ansatz
Eine eigentliche Debatte zum Kredit gab es bislang nicht. Bei den grossen Parteien ist die Vorlage praktisch unbestritten. Doch letzte Woche meldete sich die Piratenpartei mit einer ausführlichen Medienmitteilung zu Wort. Die Partei, die ihren politischen Schwerpunkt auf Digitalisierungs- und Datenschutzthemen legt, hat zur Vorlage die Nein-Parole beschlossen.
Im Zentrum der Kritik steht, dass die Stadt für die Schulinformatik auf die Standardprodukte der grossen Tech-Unternehmen setzt. «Die Stadt treibt uns damit weiter in bereits bestehende Abhängigkeiten», sagt Jorgo Ananiadis, Präsident der Piratenpartei. Neben finanziellen Verbindlichkeiten bringe dies insbesondere Probleme beim Datenschutz mit sich.
«Die in der Schulinformatik verwendeten Produkte bieten keine realistische Möglichkeit, die Datenausbeutung durch internationale Grosskonzerne zu kontrollieren oder zu verhindern.» Die Arbeit mit den kommerziellen Produkten der grossen Tech-Konzerne machten aufwändige Datenschutzkonzepte nötig, mit denen die Risiken doch nicht eliminiert werden könnten. Die Verantwortung für den Datenschutz werde damit auf die Schulen und das Lehrpersonal abgewälzt.

Für die Piratenpartei gehört die Auseinandersetzung mit Abhängigkeiten und Datenschutz im digitalen Bereich auch zur Vermittlung von Medienkompetenz, die im Unterricht eigentlich geschehen müsse. «In der Vorlage steht dazu nichts», so Ananiadis. «Stattdessen findet zunehmend eine Indoktrination für marktbeherrschende Produkte der US-Grosskonzerne statt.» Eine Strategie, wie sich die Stadt Bern aus den problematischen Abhängigkeiten lösen könne, sei nicht ersichtlich.
Kritik an Geräte-Ausstattung
Die Partei sieht aber auch praktische Probleme beim verfolgten Ansatz: «Ich frage mich, wer auf die Idee gekommen ist, dass iPads gut für den Unterricht seien», sagt Lionel Stürmer. Der 18-jährige Informatikstudent kandidierte für die Piraten bei den letztjährigen Gemeindewahlen und war als Schüler Direktbetroffener der städtischen Schulinformatik.
Mit zwölf Jahren hat er begonnen, Programmiertechniken zu unterrichten. Didaktisch sei es ein Fehlentscheid, auf Tablets zu setzen. «Ein einfacheres Gerät wie ein normales Notebook ist viel praktischer zum Lernen und näher am zukünftigen Arbeitsalltag.» Von seiner jüngeren Schwester wisse er, dass die Schul-Tablets häufig für Freizeitaktivitäten verwendet würden, etwa um Serien und Filme zu streamen – Nutzungen, die von den Schulen nicht vorgesehen wären und kaum förderlich für die digitale Medienkompetenz der Jugendlichen sind.
Die Erfahrungen mit base4kids2 haben gezeigt, dass der Schulbereich nicht der Ort für flächendeckende Experimente ist
Bezüglich Geräte-Ausstattung gibt es auch von anderen Parteien Kritik, wenn auch verhalten. Für Michael Ruefer, Stadtrat der Grünen Freien Liste, wurde die 1:1-Ausstattung mit Tablets ab der dritten Klasse zu wenig hinterfragt. «Ein Tablet pro Schüler*in ab der 3. Klasse ist zu viel», findet er. «Viele Tablets bleiben schon heute während des Unterrichts im Schrank.»
Die zuständige Gemeinderätin Ursina Anderegg verteidigt auf Nachfrage den Entscheid für die Geräte-Ausstattung. Diese sei in Zusammenarbeit mit Vertretungen aus den Schulen festgelegt worden. «Eine 1:1-Ausstattung ist angezeigt, da immer mehr digitale Lehrmittel mit vielfältigen Lehr- und Übungsmaterialien eingesetzt werden», so Anderegg. Zudem ermögliche sie eine individuellere Arbeitsweise, da jedes Kind über ein eigenes Gerät verfügt. Die Verwendung von iPads habe sich insbesondere auf den unteren Stufen bewährt. In der Oberstufe (ab der 7. Klasse) wolle man ab nächstem Jahr auf Notebooks wechseln.
Massive Probleme mit Open-Source-Software
In Bezug auf den Datenschutz bestätigt Anderegg, dass noch «offene Punkte» beim entsprechenden Konzept bestünden, die unter anderem auf die unterschiedliche Nutzung der Endgeräte im Vergleich zur restlichen Verwaltung zurückzuführen seien. Der Schutz der Daten der Anwender*innen sei jedoch «selbstverständlich gewährleistet».
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Dass die Stadt bei der Weiterentwicklung der Schulinformatik auf die gängigen Produkte der grossen Tech-Anbieter setzt, hat explizit auch mit den massiven Problemen bei der Einführung von «Base4Kids2» zu tun. Damals wagte die Stadt den Schritt weg von den grossen Anbietern hin zu Open-Source-Software. Es endete in einem Debakel. Neben zahlreichen weiteren Problemen seien insbesondere die IT-Kenntnisse der Lehrer*innen massiv überschätzt worden, wie dem Bericht der Untersuchungskommission des Stadtrats zu entnehmen ist. Die Stadt sah sich gezwungen, auf die Office-Plattform von Microsoft zu wechseln.

Vor diesem Hintergrund wollte die Stadt bei der Weiterentwicklung keine Experimente wagen, wie Andereggs Vorgängerin Franziska Teuscher bei der Vorstellung des Geschäfts im letzten Jahr erklärt hatte. Anderegg bestätigt auf Nachfrage, dass man gerade in der Bildung aufgrund des grossen Schadenpotentials künftig auf Nummer sicher gehen will: «Die Erfahrungen mit base4kids2 haben gezeigt, dass der Schulbereich nicht der Ort für flächendeckende Experimente ist.»
Städtisches Gesundheitsamt setzt wieder auf Briefpost
Für die Piratenpartei zeigen hingegen gerade solche Probleme die Notwendigkeit auf, sich im Unterricht nicht auf die gängigen IT-Produkte zu beschränken. «Kompetenzen zur Nutzung von verschiedenen Lösungen und Agilität müssen der Kern der Ausbildung unserer Kinder sein», ist Ananiadis überzeugt. Denn im späteren Bildungs- und Berufsalltag würden unterschiedlichste Geräte, Systeme und Applikationen verwendet.
Wenn das Fachwissen fehle, mit diesen umzugehen, würde das zu entsprechenden Problemen führen. Ananiadis unterstreicht dies mit einer konkreten Folge, die der Wechsel von der Open-Source-Software auf die Microsoft-Standardprogramme hatte: Diese erlauben es nicht, sensible Daten mit der nötigen Verschlüsselung zu übermitteln. Deshalb sah sich der schulärztliche Dienst gezwungen, für die Übermittlung medizinischer Unterlagen bis auf weiteres auf Briefpost zu wechseln.