Heidi Kronenberg und Samuel Geiser – beide aus Bern – sind ein ganz normales Paar. Bis vor einigen Jahren war ihr Haushalt weder Hobby noch Forschungsobjekt. Hausarbeit fristete neben ihren beiden Journalisten-Jobs ein Nischendasein, wie vielerorts bei Berufstätigen. Kochen, Abwaschen, Staubsaugen, Einkaufen, Ghüder entsorgen … alles musste einfach erledigt werden. Mehr oder weniger begeistert, mit möglichst geringem Zeitaufwand.
Dann kam die Pensionierung. Und dann kam Corona.
Journalistenfrage: wie machen es die anderen
Der Lockdown zwang die Menschen in ihre vier Wände. Plötzlich waren die Journalistin und der Journalist mehrheitlich zuhause und sie fingen an, sich zu fragen: wie machen das eigentlich andere? z.B. Alleinerziehende? Alleinstehende? Singels und Menschen in einem Grosshaushalt? Wie organisieren sie sich? Welches sind ihre Probleme, welches ihre Erfolgsgeheimnisse. Und was hat sich im Haushalt geändert in den letzten Jahrzehnten?
Ein Buch über die Haushaltführung um 1900 (Stil: «Grittli wird Hausfrau»), zum Jux erstanden in einem Antiquariat, brachte die beiden auf die Idee, die Hausarbeit heute in all ihren Facetten zu erforschen. Und je mehr sie eintauchten in die Geschichte der Hausarbeit, je mehr verschiedene Haushalte sie besuchten, je mehr sie mit Spezialistinnen sprachen, umso mehr erkannten sie: Haushalten ist kein bisschen langweilig. Und vor allem: Hausarbeit mag unspektakulär sein, geliebt oder gehasst, aber eines ist überall gleich: der Haushalt erledigt sich nirgends von allein. Immer muss jemand die Arbeit übernehmen. Und fertig ist man (oder eben oft: frau…) nie. Allen arbeitabnehmenden Erfindungen zum Trotz.
Dutzende von Besuchen und Gesprächen später liegt es da, das Buch «Küchengespräche». Umfassend, übersichtlich, facettenreich, schön gestaltet, toll fotografiert. Der Rotpunktverlag hat es produziert, die Fotografin Yoshiko Kusano mit überraschenden Blicken in aufgeräumte und weniger aufgeräumte Wohnungen bereichert, und Samuel Geiser und Heidi Kronenberg haben mit viel Sinn für Details und journalistischem Gwunder gefragt, getextet, interviewt (oder im Fall von einigen Expertinnen: schreiben lassen).
Ein Blick hinter die Türen…
Und wer hätte das gedacht! Es ist ein Buch entstanden, das sich liest wie eine höchst vergnügliche Sammlung von Lebensentwürfen, eine niederschwellige Entdeckungsreise rund um ein Thema, das irgendwie jede und jeden betrifft.
Die zwölf Haushaltporträts zeigen ein buntes Bild, wie hierzulande Hausarbeit organisiert wird. Zu Wort kommen unter anderem klassische und aussergewöhnliche Hausfrauen und Hausmänner, Singels, Bauernhofbewohnerinnen, WG-Gespanne, Haushälterinnen in Grossfamilien. Als Leserin blicke ich in Kühlschränke und Schuhregale, schaue beim Spaghettiessen zu und staune über das ganz normalen Chaos mit kleinen Kindern. Und ich höre den Menschen zu. Sie erzählen ehrlich und ungeschönt, was klappt, wos harzt, wies gelingt, warums trotzdem manchmal Streit gibt und was die Lehren daraus sind.
… ganz viel ExpertInnenwissen…
Damit das Ganze nicht eine reine Peepshow in Wäschekörbe und Putzschränke ist (eine äusserst vergnügliche allerdings!), lassen die Autorin und der Autor Fachleute zu Wort kommen. Und da staunt man/frau gleich noch einmal. Zum Haushalt haben Soziologen, Historiker, Architekten, Ethikerinnen, Psycholanalytikerinnen, Philosophinnen, Ökonominnen, Raumplanerinnen sehr viel zu sagen. Zum Beispiel: ist nicht egal, wie wir unsere Städte planen; der Haushalt war nicht immer im heutigen Sinne ein separates Berufsfeld; und die Hausarbeit blieb in der Literatur bis in die Neuzeit aussen vor. (Klar: Madame Bovary hat nicht geputzt!)
… und eine politische Forderung
Das ist alles kurzweilig, aber auch sehr erhellend. Aber am meisten dürfte Lesende wohl doch staunen über etwas, was viele vielleicht insgeheim geahnt aber nicht so richtig gewusst hatten: Hausarbeit ist ein Wirtschaftsriese. 1,3 Milliarden Stunden wird in der Schweiz gewaschen und geputzt (von Frauen zweieinhalb mal so oft wie von Männern!). Mehr als drei Viertel der Sorge- und Versorgungsarbeit wird in der Schweiz unbezahlt erledigt. 2020 waren das 9,8 Milliarden Stunden. Es ist logisch, dass angesichts solcher Zahlen nicht wenige Fachleute fordern, Hausarbeit müsse finanziell abgegolten werden. Spannend ist hier: es gibt Argumente dafür und dagegen. Aber eines fordern alle Fachleute (und auch alle porträtierten HaushaltvorsteherInnen): Hausarbeit verdient Respekt und muss ihrem Wert entsprechend sichtbar sein. Dieses Buch bietet die nötigen Hintergrundinformationen. Und das Anschauungsmaterial.