Der Regierungsrat als Medienkritiker

von Willi Egloff 27. Januar 2025

Polizeieinsatz 28 Seiten lang ist der Bericht, mit welchem der Regierungsrat seinen Ärger über Zeitungsberichte in «Bund» und «BZ» kundtut. Der Amtsschimmel wiehert anhaltend und laut.

Es war purer Zufall: Zehn Journalistinnen und Journalisten von «Bund» und «BZ» treffen sich hinter der Heiliggeistkirche und erleben live mit, wie eine Polizeistreife einen jungen Mann verhaftet. «Am Ende wird er wie ein Kartoffelsack in ein Fahrzeug geworfen. Wir hören, wie sein Kopf auf dem Kabinenboden aufschlägt», heisst es im Bericht vom 12. Juni 2021, der unter dem Titel «Verstörende Aktion der Berner Polizei» erscheint.

Mehr als zwei Jahre später reichen vier Mitglieder des Grossen Rates eine Motion mit dem Titel «Machtmissbrauch durch Medien-Konzern: Kantonsangestellte schützen» ein. Sie verlangen, dass der Regierungsrat alles unternehme, «um gegen Kantonsangestellte und ihre Familien medial widerfahrenes Unrecht zu klären und wieder gutzumachen». Der Regierungsrat unter Federführung des Sicherheitsdirektors Müller, der sich schon viel früher sehr negativ zu den Zeitungsberichten geäussert hatte, nimmt diesen Vorstoss dankend entgegen und empfiehlt seine Annahme.

In der Folge nimmt die Sicherheitsdirektion diverse Abklärungen vor. Sie studiert die diversen Reaktionen auf die beanstandeten Zeitungsberichte und sammelt journalistisches Material. Sie unterhält sich mehrfach mit den zuständigen Redaktionen und holt bei einem Zürcher Rechtsanwalt eine ausführliche Stellungnahme ein, welche sie als «Expertenbericht» bezeichnet. Gestützt auf diese Abklärungen der Sicherheitsdirektion veröffentlicht der Regierungsrat am 22. Januar einen umfangreichen Bericht. Er kommt darin zum Ergebnis, dass die Öffentlichkeit durch die Berichterstattung in die Irre geführt worden sei. Die Redaktionen von «Bund» und «BZ» bestreiten weiterhin vehement, dass dies der Fall sei.

Freizeitbeschäftigung des Sicherheitsdirektors?

«Der Regierungsrat hat keinerlei Aufsichtsfunktion gegenüber den Medien und es handelt sich auch nicht um ein Verwaltungsverfahren gestützt auf öffentliches Recht», heisst es im Bericht des Regierungsrates. Das war auch schon dem beigezogenen Rechtsanwalt aufgefallen. «Dass die Regierung mittels eines politischen Vorstosses der Legislative damit beauftragt wird, sich mit einer Medienberichterstattung auseinanderzusetzen, ist ungewöhnlich. Die Gewaltenteilung und die Medienfreiheit lassen es nicht zu, dass die Regierung den Medien inhaltliche Vorgaben erteilt oder diese gar kontrolliert. Über die Rechtmässigkeit medialer Inhalte entscheiden grundsätzlich allein die dafür zuständigen Gerichte», heisst es im Expertenbericht zutreffend.

Auch für journalistische Belange ist der Regierungsrat nicht zuständig. Dafür gibt es ein Selbstregulierungsorgan der Branche, den Schweizer Presserat, welcher die Berichterstattung auf Beschwerde hin auf die Einhaltung medienethischer Grundsätze überprüft. Allerdings hat sich dort niemand gegen die Berichterstattung in «Bund» und «BZ» beschwert, auch die Kantonspolizei und die Sicherheitsdirektion nicht. Und im Nachhinein ist das auch nicht mehr möglich. Die entsprechenden Beschwerdefristen sind schon vor Jahren ausgelaufen.

Der Regierungsrat liefert also einen Bericht zu Fragen ab, für deren Beurteilung er nach eigenem Bekunden gar nicht zuständig ist. Wie er selbst ausführt, wurde auch kein formelles Verfahren geführt. Es handelt sich also wohl um eine Freizeitaktivität des Sicherheitsdirektors. Dabei bleibt offen, auf welcher rechtlichen Grundlage und aufgrund welcher verfahrensrechtlichen Grundsätze die Sicherheitsdirektion ihre Abklärungen getroffen hat. Und es wäre interessant zu erfahren, welchem Budgetposten denn die ohne Zweifel erheblichen Kosten dieser Abklärungen belastet werden.

Voreingenommener Bericht

Dass die Sicherheitsdirektion keine geeignete Instanz für die Erstellung eines solchen Berichts war, zeigte sich schon bei der Beantwortung der Motion im Oktober 2023. Dort heisst es: «Zusammenfassend hält der Regierungsrat fest, dass seiner Ansicht nach die Journalistinnen und Journalisten durch das Zurückhalten von wesentlichen Informationen und durch das Zurückhalten von klärendem Bildmaterial die nötige berufliche Sorgfalt haben vermissen lassen. Die Erklärungen der Polizei wurden verkürzt dargestellt, differenzierte Fachmeinungen unterschlagen oder vereinfacht und es wurde immer dasselbe Bild aus derselben Perspektive verwendet anstelle anderer, die die Situation viel klarer zeigen».

Die Beurteilung der Angelegenheit durch den Sicherheitsdirektor war also schon vor Beginn der angeblichen Abklärungen völlig klar. Es war auch klar, dass er mehrfach Kontakt mit den beteiligten Polizeibeamten aufgenommen hatte, nicht aber mit dem eigentlichen Hauptbetroffenen, der verhafteten und bei der Verhaftung verletzten Person nämlich. Jede Fachperson, die sich in einem so frühen Stadium in der inhaltlichen Beurteilung einer Sache so einseitig festlegt, müsste in einem korrekten Verwaltungsverfahren als voreingenommen in den Ausstand treten. Für Herrn Müller gelten diese Regeln offenbar nicht.

Journal B unterstützen

Unabhängiger Journalismus kostet. Deshalb brauchen wir dich. Werde jetzt Mitglied oder spende.

Erstaunlich ist, dass selbst der von der Sicherheitsdirektion beigezogene Anwalt, der nicht gerade als medienfreundlich bekannt ist, zu einer sehr viel differenzierteren Ansicht kommt. So heisst es im Expertenbericht zusammenfassend: «Der Artikel enthält im Wesentlichen wahre und von hohem öffentlichen Interesse geprägte Tatsachenbehauptungen über die beschriebene Polizeikontrolle. Die hierzu abgegebene Stellungnahme der Polizei findet grosszügig Einzug in den Artikel». Auch in zivilrechtlicher Hinsicht kommt der Expertenbericht zu einem eindeutigen Ergebnis: Die an der Verhaftung beteiligten Polizisten waren «weder aufgrund des Artikelinhalts noch aufgrund des publizierten Bildes identifizierbar». Ihre Persönlichkeitsrechte konnten daher durch die Berichterstattung gar nicht verletzt worden sein.

Strafverfahren noch offen

Weil eine Beschwerde an den Schweizer Presserat nicht erhoben und auch keine gerichtlichen Schritte gegen die Zeitungen eingeleitet wurden, wird es eine Beurteilung der journalistischen Qualität der Berichterstattung durch eine zuständige Instanz nicht mehr geben. Einzig das Verhalten der Polizei ist noch Gegenstand gerichtlicher Erörterung: Der Polizist, welcher den Täter zu Boden drückte, wurde vom zuständigen Gericht freigesprochen, sein Kollege, welcher den Verhafteten «wie einen Kartoffelsack» in das Fahrzeug verfrachtete, wurde wegen Amtsmissbrauch verurteilt. Diese Verurteilung ist noch nicht rechtskräftig, da der Verurteilte gegen das Urteil Berufung eingelegt hat.

Und auch der Grosse Rat wird sich noch einmal mit der Sache befassen müssen, denn der Bericht des Regierungsrates ist ja an ihn gerichtet. Vielleicht hat dort jemand den Mut, den Bericht nicht einfach zur Kenntnis zu nehmen, sondern auch noch darauf hinzuweisen, dass die Medienfreiheit nicht zulässt, «dass die Regierung den Medien inhaltliche Vorgaben erteilt oder diese gar kontrolliert», wie es im Expertenbericht heisst. Und vielleicht will ja auch jemand wissen, wem eigentlich die Kosten des wiehernden Amtsschimmels belastet werden.