Lieber Alex, wie wichtig war in Deiner Familie Kultur?
Wir waren kulturell gesehen eine Durchschnittsfamilie. Vater spielte Klavier, da er nicht übte, tönte es von Weihnacht zu Weihnacht schlechter. Meine Brüder erhielten früh Trommelschlegel und schlugen begeistert auf alles, was tönte. Man ging von Zeit zu Zeit in ein Museum und regelmässig ins Weihnachtsmärchen am Stadttheater. Das kulturelle Angebot damals war sehr begrenzt, für Kinder und Jugendliche gab es wenig, ausser Filmclubs. Wir waren bei der Büchergilde Gutenberg abonniert, erhielten regelmässig Bücher; so ergab sich eine Bibliothek, die man nicht selber ausgewählt hatte.
Welche Art von Kultur hast Du am liebsten? Wohin gehst Du freiwillig und nicht aus Amtspflicht?
Ich teile nicht ein. Als junger Mann hörte ich Pop, Rock, Jazz, dann wuchs das Interesse auch für klassische Musik. Zeitgenössischer Tanz begeistert mich, nicht Ballett auf Spitzen im Tutu, sondern was früher als Danse Noël und an den Tanztagen in der Dampfzentrale gezeigt wurde, wo ich auch einführte und moderierte. Für mich hat Kultur auch mit Zeit zu tun. Viele Veranstaltungen sind zu lang. Manche meinen, sie hätten für ihren Eintritt zwei Stunden Darbietung zu gut. Ich lasse mich lieber 40 Minuten faszinieren als 80 Minuten langweilen.
Gehört für Dich Sport zur Kultur?
Ich tue mich schwer mit der Definition von Kultur. Zur Kultur im engeren Sinn der Künste gehört der Sport sicher nicht. Zu Kultur im weiteren Sinn des Erkennens, der Emotionen und des Genusses zähle ich den Sport dazu – wie Essen und Trinken und alle Erlebnisformen.
«Der Zeichenlehrer Schwarz prügelte uns immer wieder in die Kunsthalle, die damals Harald Szeemann leitete.»
Alexander Tschäppät
Hast Du ein Instrument gespielt oder in einem Chor gesungen? Wie war es in der Schule?
Ich spielte eine Zeitlang Bassgitarre, auch in einer Band, nicht sehr erfolgreich. In meiner Zeit waren am Gymnasium musische Fächer unbedeutend. Eine Musikkultur wie heute – mit Chor, Orchester, Bands – gab es nicht. Ausnahmen waren die beiden Zeichenlehrer: Wyss und Schwarz. Schwarz prügelte uns immer wieder in die Kunsthalle, die damals Harald Szeemann leitete. Wir begriffen nicht, dass wir Weltgeschichte in zeitgenössischer Kunst erlebten. Auch Konflikte, die sie auslöste, etwa, indem sie einmal Bauern dazu provozierte, Mist vor den Eingang der Kunsthalle hinzukarren. Wir wurden zur ersten Konfrontation mit etwas gezwungen, das wird nicht einfach verstanden, über das wir – auch nachher – nachdenken mussten. Bei Anker musste ich damals nicht nachdenken: Das war klar, das ist ein Mädchen in ärmlichen Verhältnissen. Punkt. In der Kunsthalle war das anders; wir machten uns Gedanken. Im Nachhinein reut es mich, nicht mehr aufgesogen zu haben.
Wie hoch oben auf Deiner Traktandenliste als Stadtpräsident standen und stehen Kulturpolitik und Kulturförderung?
Weit oben. Kultur ist Vieles. Neben dem Geistigen und Sinnlichen ist sie ein Wirtschaftsfaktor und ein touristischer Wert. Kultur ist wichtig für manche Bereiche der Stadt. Ein Stadtpräsident muss gute Rahmenbedingungen für das kulturelle Schaffen zur Verfügung stellen, er muss sich aber nicht in die Inhalte einmischen, nicht selber aktiv sein. Bern hat ein riesiges Angebot an vielfältigen kulturellen Anlässen, vielleicht ein Überangebot. Es gibt sicher 200 Veranstaltungen in der Woche, viele von hoher Qualität.
Wir leisten uns in der weiteren Region, im Umkreis von 30 Kilometern zwei professionelle Symphonieorchester und zwei grössere Theater einschliesslich Oper. Vielleicht sollten wir mehr auf Qualität achten, weniger auf Quantität. Aber eine Zusammenlegung etwa des Berner und des Bieler Orchesters war nie ein konkretes kulturpolitisches Thema. Das kann der Berner Stadtpräsident nicht anpacken: Er würde dann als der Arrogante dastehen, der anderen etwas zu nehmen scheint. Davor hüte ich mich. Aber die Frage bleibt.
«Vielleicht sollten wir mehr auf Qualität achten, weniger auf Quantität.»
Alexander Tschäppät
Einmal habe ich mich inhaltlich fast zu weit zum Fenster hinausgelehnt: Ich war und bin der Überzeugung, das Ballett von KonzertTheaterBern sei zu klein für viele Choreographien. Wir müssten es in Frage stellen, wenn wir uns ein deutlich grösseres nicht leisten können. Nachdem ein Zusammenschluss mit dem Tanzensemble Luzerner Theater gescheitert war, trat ich deshalb für ein schweizerisches Ballett ein anstelle einer Berner Lösung, wie sie heute besteht. Vergeblich.
Hast Du einmal Förderanträge abgelehnt oder zurückgewiesen?
Nein. Bei einzelnen Anträgen habe ich nachgefragt zu den Gründen oder zur Höhe des Beitrags, aber dann zugestimmt. Der «höchste Förderer» bin ich nur pro forma. Ich habe immer akzeptiert, dass die Förderkommissionen, auch wenn sie «nur» Antrag stellen, die Fachkompetenz verkörpern, den Überblick haben, die Szene kennen und Qualität beurteilen müssen. Da wäre es falsch, eine eigene Einschätzung vorzunehmen. Ich sehe ja nicht alles; zu mir kommen nur die Anträge auf Unterstützung, nicht die Ablehnungen. – Was ich gelegentlich gemacht habe: Ich fragte, ob nicht dieser oder jener Kulturschaffende Unterstützung verdienen würde.
Welches waren die wichtigsten kulturpolitischen Ereignisse in Deiner Amtszeit?
Wir haben nach einer schwierigen und mühsamen Vorgeschichte das Stadttheater saniert zu einem Preis, der sich sehen lässt. Es wird am 26. November, dem Vorabend der städtischen Wahlen, neu eröffnet.
Die Beiträge der Regionsgemeinden an Kultureinrichtungen in Stadt und Region sind nach zähem Anfang in den späten 1990er Jahren selbstverständlich geworden.
Ebenfalls positiv ist die Entwicklung des PROGR. Wenn ich denke, dass dort jetzt ein Gesundheitszentrum wäre …