«Das Kopftuch hat einen stark kulturellen Hintergrund»

von Janine Schneider 17. November 2025

Religion und Schule Im Kanton Bern dürfen Lehrerinnen kein Kopftuch im Unterricht tragen. Was das für junge Studentinnen bedeuten kann, zeigt der Fall von Youmna Alzahra. Die Palästinenserin brach deshalb das Studium an der Pädagogischen Hochschule Bern ab.

Youmna Alzahras jüngste Vergangenheit klingt wie eine Integrationsgeschichte aus dem Lehrbuch. Die junge Frau ist gerade einmal elf Jahre alt, als der Krieg in Syrien ausbricht. 2017 kommt die damals Siebzehnjährige mit ihrer sechsköpfigen Familie in die Schweiz. Sie haben Glück, können als Teil eines UNO-Kontingents einreisen und müssen nicht die gefährliche Reise übers Mittelmeer oder die Balkanroute antreten.

Kaum in der Schweiz angekommen, holt Youmna Alzahra die Matura nach, geht ans Freie Gymnasium im Neufeld und lernt gleichzeitig Deutsch. Sie übersetzt für ihre Familie und beginnt sich die kompliziertesten Begriffe zu merken, wie «Zielleistungsvereinbarung» oder «Praktikumsbegleitperson». 2021 entschliesst sie sich zu einem Studium an der Pädagogischen Hochschule, um zuerst das Lehrdiplom, dann einen Master in Heilpädagogik zu absolvieren.

«Wenn ich eines Tages das Kopftuch ablege, dann möchte ich das für mich persönlich tun und nicht in einer solchen Zwangssituation» (Foto: David Fürst)

Aber dann, kurz vor ihrem zweiten Praktikum Ende des zweiten Semesters, das sie in der französischsprachigen Schweiz absolvieren will, erhält sie eine Mail von Daniel Steiner, Leiter des Instituts Primarstufe an der Pädagogischen Hochschule Bern. Darin informiert er sie, dass sie das Praktikum nur ohne Kopftuch absolvieren könne. Und das, obwohl die fürs Praktikum zuständige Lehrperson damit einverstanden war, dass Youmna Alzahra mit Kopftuch unterrichten kommt.

Aber die Pädagogische Hochschule Bern orientiert sich an den kantonalen Leitlinien. So schreibt Steiner im Mail: «Die PHBern orientiert sich betreffend das Tragen eines Kopftuchs grundsätzlich am Leitfaden der Bildungs- und Kulturdirektion des Kantons Bern Umgang mit kulturellen und religiösen Symbolen und Traditionen in Schule und Ausbildung. Gestützt darauf dürfen gemäss Auskunft der Bildungs- und Kulturdirektion des Kantons Bern Schülerinnen im Unterricht ein Kopftuch tragen, Lehrpersonen bzw. Studierende in einem Praktikum aber nicht.» Begründet werde dies damit, dass Lehrpersonen bzw. Studierende in einem Praktikum in der öffentlichen Volksschule keine religiös motivierte Bekleidung tragen dürften, Kinder aber schon.

Für Youmna Alzahra kommt diese Regelung 2022 überraschend

Diese Regelung des Kantons Bern geht auf ein Bundesgerichtsurteil aus dem Jahr 1997 zurück. Das Bundesgericht erklärte damals die Entlassung einer Genfer Lehrerin aufgrund ihres Kopftuchs für rechtsmässig. Es stützte sich dabei auf das Volksschulgesetz, das in Artikel 4.1 festhält: «Die öffentliche Volksschule ist konfessionell neutral.» Folglich dürften Lehrpersonen deshalb weder religiöse Ansichten in den Unterricht einfliessen lassen noch im Unterricht religiöse Symbole tragen.

Bis zu diesem Jahr führte dieser Artikel kaum zu Diskussionen oder gar Entlassungen. Dann jedoch erregte der Fall einer Lehrerin in Worb Aufsehen. Der Muslimin wurde nach zweieinhalb Jahren Anstellung aufgrund ihres Kopftuchs gekündigt. Ausserdem hat der Berner Regierungsrat ablehnend auf eine Interpellation der beiden SP-Grossrätinnen Samira Martini und Valentina Achermann reagiert. Diese hatten nachgefragt, ob Kleidervorschriften für Lehrerinnen noch zeitgemäss wären. Seither diskutiert die ganze Schweiz über Lehrerinnen mit Kopftuch im Klassenzimmer.

Was bedeutet konfessionelle Neutralität?

Für Youmna Alzahra kommt diese Regelung 2022 überraschend. Niemand hatte sie zuvor darüber in Kenntnis gesetzt, dass sie als Lehrerin kein Kopftuch tragen könne. Selbst hätte sie nie gedacht, dass es ein solches Verbot geben könnte: «Ich hatte den Eindruck, die Schweiz sei ein Land mit viel Freiheit.»

«Ich finde es problematisch, das Kopftuch nur mit der Religion zu verbinden, es hat auch einen starken kulturellen Hintergrund.» (Foto: David Fürst)

Tatsächlich ist es zu diesem Zeitpunkt sehr schwierig, etwas zu diesem Verbot zu finden. Auf Nachfrage schreibt die Medienstelle der PH Bern, dass sie die Studierenden im hauseigenen Intranet über diese Regelung und den Leitfaden der Bildungs- und Kulturdirektion des Kantons Bern Umgang mit kulturellen und religiösen Symbolen und Traditionen in Schule und Ausbildung informiere. «Anderseits thematisiert die PHBern den Umgang mit der eigenen Weltanschauung – auch in religiöser Hinsicht – in der Ausbildung der Studierenden wiederholt und vielfältig, wenn es um Rollenverständnis und Ethik als Lehrperson an den neutralen Berner Schulen geht.»

Der von der PH Bern zitierte Leitfaden bleibt selbst jedoch relativ vage. Darin steht lediglich: «Der Kanton Bern hat für Schulen keine Bekleidungs- oder ähnliche Vorschriften erlassen. Schülerinnen und Schüler dürfen deshalb z. B. Kippa, Kopftuch, Kruzifixe oder religiös motivierte Frisuren tragen. Das Bundesgericht hat in einem Fall einer Genfer Lehrerin entschieden, die Anstellungsbehörde dürfe dieser aus Gründen der konfessionellen Neutralität und des Religionsfriedens in der Schule verbieten, ein Kopftuch zu tragen.»

Selbst wenn eine Lehrperson keine religiösen Symbole trägt, bedeutet das nicht automatisch, dass sie vollkommen konfessionell neutral ist

Ob Youmna Alzahra diese Entscheidung aufgrund des Grundsatzes der konfessionellen Neutralität nachvollziehen kann? Die junge Frau erklärt im Gespräch, sie befürworte eine konfessionell neutrale Schule. «Aber selbst wenn eine Lehrperson keine religiösen Symbole trägt, bedeutet das nicht automatisch, dass sie vollkommen konfessionell neutral ist», sagt sie, «Neutralität zeigt sich vielmehr in der Art, wie sie mit unterschiedlichen Weltanschauungen umgeht und wie sie den Kindern Offenheit und Respekt vermittelt.»

Aus ihrer Erfahrung würden sich viele Kinder für ihr Kopftuch interessieren und Fragen stellen: «Dabei beantworte ich ihre Fragen sachlich und aus meiner Perspektive, ohne eine Religion oder Kultur zu bewerten. Mein Ziel ist, den Kindern Toleranz und ein natürliches Verständnis für Vielfalt zu vermitteln.» Diese Vielfalt gehöre zu unserer Gesellschaft, betont sie, und gerade in einem multikulturellen Land wie der Schweiz sollten die Kinder lernen, damit umzugehen und Unterschiede als selbstverständlich zu erleben.

Kein rein religiöses Symbol

Beim Kopftuch handele es sich zudem nicht um ein in erster Linie religiöses Symbol, betont Alzahra. «Ich finde es problematisch, das Kopftuch nur mit der Religion zu verbinden, es hat auch einen stark kulturellen Hintergrund», sagt sie. Auch der Bremgartner Schulleiter Fuat Köçer hatte dies im Gespräch mit dem Onlinemagazin Hauptstadt betont: Das Kopftuch einzig als religiöses Symbol zu betrachten, sei eine eurozentrische Sichtweise.

Interessanterweise steht dies auch im von der PH zitierten Leitfaden der Bildungsdirektion: «Das Tragen des islamischen Kopftuchs oder Schleiers ist jedoch nicht unhinterfragt mit dem politischen Islam gleichzusetzen. Beide Kleidungsstücke können auch modisches Accessoire sein oder ethnischen Traditionen entsprechen.»

«Meine Eltern sagten, ich solle machen, was ich möchte. Wenn ich das Kopftuch ablegen möchte, solle ich das tun. Sie unterstützten mich immer sehr.» (Foto: David Fürst)

Für Youmna ist das Kopftuch eben nicht nur mit Religion, sondern vor allem auch mit ihrer Kultur verbunden, es ist ein Stück Identität. Ihre Eltern, so erzählt sie, hätten ihr immer die Wahl gelassen, ob sie eines tragen will oder nicht. «Meine Mutter stammte aus einem ländlichen, eher konservativen Dorf. Sie hatte dort selbst schlechte Erfahrungen mit dem Kopftuchtragen gemacht und wollte auf keinen Fall, dass ihre Töchter dieselben Erfahrungen machen.» Als Youmna sechs Jahre alt ist, verkündet sie, ein Kopftuch tragen zu wollen. «Ich hatte das Gefühl, jetzt bin ich erwachsen», lacht Youmna, «mein Vater ging mit mir schöne Kopftücher kaufen. Meine Mutter war entsetzt.» Sie half ihr zwei Tage lang, das Kopftuch anzulegen. Dann sagte sie ihr: Mach selbst oder lass es bleiben. Ich stehe dazu nicht früher auf. Also gibt Youmna wieder auf.

«Mit zwölf fand ich dann wieder, es sei an der Zeit. In meiner Schule begannen viele, ein Kopftuch zu tragen.» Für die Mutter immer noch zu früh, und für Youmna schnell zu heiss. «Drei Sommerwochen hielt ich es durch, dann legte ich es wieder ab.» Erst mit 15 beginnt sie, das Kopftuch täglich zu tragen. Die Familie hatte zu diesem Zeitpunkt das Stadtzentrum von Damaskus verlassen und ins Heimatdorf ihrer Mutter flüchten müssen. «Die konservative Stimmung dort hatte sicher auch einen Einfluss auf meine Entscheidung. Trotzdem war es meine persönliche Wahl.»

Einen anderen Weg

Frühling 2022: Nach der Mail des Institutsleiters stand Youmna vor der Wahl, ob sie das Kopftuch ablegt und weiterstudiert oder einen anderen beruflichen Weg wählt. «Meine Eltern sagten, ich solle machen, was ich möchte. Wenn ich das Kopftuch ablegen möchte, solle ich das tun. Sie unterstützten mich immer sehr.» Sie entscheidet sich jedoch gegen die Lehrerinnenausbildung. «Wenn ich eines Tages das Kopftuch ablege, dann möchte ich das für mich persönlich tun und nicht in einer solchen Zwangssituation», erklärt sie heute.

Sie hätte auch in einem anderen Kanton studieren können, das wollte sie aber nicht – weder zuhause ausziehen noch weg von Bern gehen. «Bern ist der erste Ort seit Damaskus, an dem ich mich wieder zuhause fühle.»

«Dort werden alle so akzeptiert wie sie sind, ob mit oder ohne Kopftuch.» (Foto: David Fürst)

Aber Youmna wäre nicht Youmna, wenn sie nicht sofort einen neuen Plan ins Auge gefasst hätte. Sie studiert heute Soziale Arbeit – «was ich eigentlich schon früher wollte, mich aber nicht traute» – und arbeitet gleichzeitig bereits in einer Wohngruppe mit Jugendlichen und Kindern. Sie strahlt, wenn sie von ihrer Arbeit erzählt. «Dort werden alle so akzeptiert wie sie sind, ob mit oder ohne Kopftuch.»