Berns ewige Baustelle

von Raphael Wyss 28. Oktober 2025

Stadtplanung Der Raum um den Bahnhof soll umgestaltet werden – mal wieder. Über den Sommer hat die Mitwirkung zum neuen Richtplan stattgefunden. Eine zentrale Frage bleibt bis auf Weiteres ungeklärt.

Es war ein ambitioniertes Projekt, das die Schweizerischen Bundesbahnen und die Stadt Bern in der Nachkriegszeit angegangen sind: Nichts Geringeres als der «modernste Bahnhof Europas» sollte in der Schweizer Bundesstadt entstehen, ein Aushängeschild der Moderne und des mobilen Fortschritts. Lange hat man über das Vorhaben gestritten, nicht zuletzt auch über die richtige Platzierung.

Es entstand schliesslich ein Bau, der ein Kind seiner Zeit war: Städtebaulich kein grosser Wurf, sondern ein pragmatischer Kompromiss, auch den engen Platzverhältnissen geschuldet. Konsequent war vor allem die Unterordnung unter das Auto: Über den Gleisen entstand das riesige Bahnhof-Parking, die ÖV-Nutzenden wurden vom Bahnhofplatz in den Untergrund verbannt. Denn unter mobilem Fortschritt verstand man in dieser Zeit vor allem den Siegeszug des Automobils – offenbar auch in der Planung der Bahninfrastruktur.

Ein Kind seiner Zeit: Das 1974 eingeweihte Empfangsgebäude mit Blick zum Bollwerk in einer Aufnahme von 1991. (Foto: Somorjai Zsolt, Bildarchiv ETH Zürich, via Wikimedia Commons; Lizenz)

Es ist deshalb wenig verwunderlich, dass die «Errungenschaften» dieses Monumentalwerks Stück für Stück korrigiert wurden. Die Unmotorisierten sind heute auf dem Bahnhofplatz wieder grundsätzlich willkommen, und auch gestalterisch ist nicht mehr viel vom kühlen Charme des ursprünglichen Projekts vorhanden. Auch mit dem laufenden Projekt «Zukunft Bahnhof Bern» wird das ungeliebte Erbe weiter abgetragen. Am besten kommt dies in der Öffnung der südlichen Mauer der Perronhalle zum Ausdruck. Nach Jahrzehnten im Dunkeln dürfen sich die Bahnreisenden wieder über Tageslicht freuen.

Die Perronhalle des Berner Bahnhofs wird bald etwas heller. (Visualisierung: Zukunft Bahnhof Bern)

Aufwändige Testplanung als Basis für Richtplan

Die Stadt macht keinen Hehl daraus, dass sie den öffentlichen Raum auch von den restlichen Zeugen der damaligen Planungsphilosophie befreien möchte. In einer aufwändigen Testplanung liess sie von verschiedenen Planungsbüros Ideen erarbeiten, wie sich der «Stadtraum Bahnhof» aufwerten liesse.

In einem Synthesebericht wurden auf Basis der Vorschläge verschiedene Empfehlungen formuliert: So soll insbesondere der Strassenraum zwischen Hirschengraben und Bollwerk als Aufenthaltsraum und für den unmotorisierten Verkehr attraktiver werden. Die Bahnhofsplattform über den Gleisen will die Stadt begrünen und als Verbindung zwischen Länggasse und Altstadt stärken. Aus den Empfehlungen wurde schliesslich ein kommunaler Richtplan erarbeitet, der die weiteren Massnahmen vorgeben soll.

Die Fussverbindungen zwischen Altstadt und Länggasse sollen attraktiver werden: Der Weg von der Bahnhofplattform zur Aarbergergasse. (Foto: David Fürst)

Über den Sommer hat die Mitwirkung zu diesem Richtplan stattgefunden. Die Möglichkeit zur Stellungnahme wurde von zahlreichen städtischen Parteien und Organisationen rege genutzt. Ein Blick in die veröffentlichten Eingaben zeigt, dass viel Einigkeit in Bezug auf die grundsätzliche Stossrichtung der Massnahmen besteht.

Vom Grünen Bündnis bis zur SVP können fast alle den Plänen viel Positives abgewinnen. Das ist nicht selbstverständlich, wie ein Blick nach Zürich zeigt: Dort hatten vor einigen Wochen erste Pläne der Stadtregierung für ein verkehrsberuhigtes Bahnhofsumfeld zu kollektiver Schnappatmung bei Bürgerlichen und NZZ geführt.

Die Tramfrage bleibt offen

Für grossen Unmut sorgt in Bern jedoch ein anderer Aspekt: Nachdem der Bund Anfang Jahr ultimativ klargemacht hatte, dass er eine Tramachse durch Bundes- und Kochergasse nicht akzeptiert, wird eine langfristige Lösung für die Traminfrastruktur in der Innenstadt zur Quadratur des Kreises.

Eine ganze Reihe von Mitwirkenden macht klar, dass für sie eine zweite Tramachse via Bubenbergplatz und Bollwerk – offiziell die einzige Alternative zu Bundes- und Kochergasse – nicht vereinbar ist mit den städtebaulichen Zielen in diesem Bereich; zu sehr würden die Aufenthaltsqualität und der unmotorisierte Verkehr darunter leiden.

Die verbleibenden Varianten für die zweite Tramachse führen beide via Bollwerk. (Karte: Regionalkonferenz Bern-Mittelland)

Spannend ist, dass auch der Gemeinderat diesen Standpunkt im Grundsatz teilt. In der Mitwirkung zur zweiten Tramachse vor zwei Jahren hat er unmissverständlich festgehalten, dass er eine Linienführung unmittelbar vor dem Bahnhof ablehnt: «Insbesondere im schmalen und geometrisch anspruchsvollen Abschnitt Bubenbergplatz-Bahnhofplatz erachtet er vier Tramspuren als unverträglich für den Fussverkehr, das Stadtbild und die Aufenthaltsqualität.» Die Stadtregierung stützte sich dabei auch auf eine Stellungnahme der Stadtbildkommission.

Der Gemeinderat ging jedoch noch weiter: Für den Fall, dass sich keine «breit akzeptierte Lösung» finden lasse, solle die zukünftige ÖV-Erschliessung des Stadtzentrums grundsätzlich zur Disposition gestellt werden. Zentral sei dabei «eine engmaschige Abstimmung der ÖV-Erschliessung mit den Anforderungen an den öffentlichen städtischen Raum». Nur wenn eine Lösung sowohl den Bedürfnissen des Verkehrs wie auch des Stadtraums gerecht werde, sei sie erfolgsversprechend.

Keine Augenweide: Die Bahnhofseite des Bollwerks an einem nassen Herbsttag, (noch) ohne Tram. (Foto: David Fürst)

Im Richtplanentwurf scheint diese kontroverse Forderung wieder dem Pragmatismus gewichen zu sein. Zwar wird auch dort die grundsätzliche Skepsis von Gemeinderat und Stadtbildkommission gegenüber einer zweiten Tramachse vor dem Bahnhof festgehalten. Doch von einer grundsätzlichen Überprüfung der ÖV-Erschliessung der Innenstadt ist nichts mehr zu lesen. Stattdessen würden mit dem Richtplan sogar die planerischen Voraussetzungen für die umstrittene Linienführung geschaffen. Ein Widerspruch, den viele Mitwirkende nicht nachvollziehen können.

Die ÖV-Erschliessung im Zentrum soll breit diskutiert werden

Auf Nachfrage unterstreicht die Stadt, dass «die langfristige Sicherung der städtebaulich-gestalterischen Qualität des Stadtraums als hochwertiger Ankunfts-, Umstiegs- und Aufenthaltsraum» im Zentrum des Richtplans stehe. In Bezug auf die künftige ÖV-Erschliessung der Innenstadt (namentlich der Tramführung zwischen Hirschengraben und Bollwerk) sei dieser jedoch bewusst offen formuliert worden, um der laufenden Zweckmässigkeitsbeurteilung zur zweiten Tramachse durch die Regionalkonferenz nicht vorzugreifen.

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Gleichzeitig bestätigt der Gemeinderat jedoch, dass ihm «die breite Prüfung der ÖV-Erschliessung» immer noch ein Anliegen sei. Dieses Bekenntnis zu seiner früheren Forderung ist bemerkenswert, denn sie stellt den Sinn der laufenden Zweckmässigkeitsbeurteilung der Tramachsen zumindest in Frage. Die Erkenntnisse daraus wären dann lediglich als eine von vielen Grundlagen für die Festlegung der künftigen ÖV-Erschliessung der Berner Innenstadt zu verstehen. Geht es nach dem Gemeinderat, könnte diese offenbar grundlegend anders aussehen als heute, wenn man seine Mitwirkungseingabe von 2023 zum Massstab nimmt. Der Bahnhof und sein Umfeld dürften also auch in Zukunft Anlass zu Diskussionen geben, wie es schon seit jeher der Fall war.