Frauenfussball ist mehr als Sport. Er ist Bühne für gesellschaftliche Auseinandersetzungen über Macht, Sichtbarkeit und Gleichberechtigung. Genau darum ging es vergangenen Mittwoch beim Café Riva in Bern – eine Stunde vor dem Eröffnungsspiel der Women’s Euro 2025 zwischen Norwegen und der Schweiz.
Auf dem Vorplatz des Café Rivas riecht es nach Veggie-Wurst, ein grosser Bildschirm im Holzrahmen steht bereit, dutzende Menschen sitzen auf Stühlen und am Boden, während der Egelsee durch die Bäume hindurchschimmert. Doch bevor der Ball rollt, gehört die Aufmerksamkeit der kleinen Bühne unter dem Bildschirm: Die Podiumsdiskussion «Wer darf mitspielen? Frauen, Macht & Sichtbarkeit im Fussball», organisiert von Amnesty International, Operation Libero und Volt, ist eröffnet.

Viele Clubs hinken hinterher
Den Auftakt macht Lisa Salza, Verantwortliche für Sport und Menschenrechte bei Amnesty International Schweiz: «Wir sprechen hier von einem Lohngraben, fehlendem Mutterschutz, sexualisierter Gewalt. Und ganz allgemein von einer genderspezifischen Diskriminierung, die nach wie vor im Schweizer Fussball existiert.»
Es ist nicht kompliziert: Man muss einfach nur wollen. Doch solange die Entscheidungsträger männlich und privilegiert bleiben, passiert wenig.
Auf dem Podium spricht auch Saskia Bürki, Torhüterin beim FC Rapperswil-Jona. Die 23-Jährige ist seit über zehn Jahren im Leistungssport aktiv und kennt die Realität von fünf bis sechs Trainings pro Woche neben Studium und Beruf. Und das ohne Lohn zum Leben zu erhalten: «Ab 500 Franken im Monat gilt man in der Schweiz als Fussballerin als Profi.» Es gebe Fortschritte, etwa Ligasponsoren, eigene Social-Media-Kanäle, Liveübertragungen (wenn auch unkommentiert). Doch das reiche nicht, sagt Bürki: «Die Professionalisierung bringt auch Herausforderungen: Wenn man plötzlich am Nachmittag trainiert, aber daneben arbeiten muss. Viele Vereine sind noch nicht im Gleichschritt – bei Infrastruktur, Trainingszeiten und Prioritäten.»

Dr. Patricia Widmer, Gründerin und Co-Präsidentin von «Fussball kann mehr» – einer Initiative für mehr Diversität im Fussball – stimmt Bürki zu und fordert ein Umdenken. Sie plädiert dafür, den Frauenfussball nicht einfach als verzögerte Kopie des Männerfussballs zu denken: «Ich wünsche mir, dass sich der Frauenfussball eigenständig entwickelt – wie im Schweizer Handball, wo es eigene Strukturen für Mädchen und Frauen gibt.» Sie kritisiert, dass viele Clubs noch nicht einmal Geld für Trikots der Frauen hätten, obwohl Mittel grundsätzlich vorhanden wären: «Es ist nicht kompliziert: Man muss einfach nur wollen. Doch solange die Entscheidungsträger männlich und privilegiert bleiben, passiert wenig.»
Sexismus ist im Fussball besonders sichtbar
Agota Lavoyer, Expertin für sexualisierte Gewalt und Autorin (Jede_ Frau), unterstreicht diese Aussagen: «Wir sind patriarchal geprägt – das spiegelt sich auch auf dem Rasen wider. Das liegt auch daran, dass der Fussball traditionell männlich konnotiert ist. Frauen waren lange ausgeschlossen.» Männerfussball sei zudem ein Ort, wo traditionelle Männlichkeit zum Teil hemmungslos ausgelebt und toleriert wird und damit gehen Sexismus und sexualisierte Gewalt einher. Dies zeigt auch Fall der Schweizer Fussballerin Leandra Flury, die sich öffentlich gegen sexistische Beleidigungen wehrte und zeigt, wie viel Frauen zu verlieren haben, wenn sie sich wehren – und wie wenig oft bei den Männern auf dem Spiel steht. «Sexismus ist überall – aber im Fussball ist er besonders sichtbar.»


Die Diskussion auf dem Podium dauert nur 50 Minuten. Gleich danach startet das Spiel Schweiz gegen Norwegen. Zu wenig Zeit, um die Komplexität der Themen voll auszuleuchten. Vieles bleibt nur angerissen. Doch während des Matches hört man zwischen den Menschen im Riva immer wieder Gespräche über die angesprochenen Themen. Der Abend zeigt, wie gross das Bedürfnis nach Austausch ist. Und auch die ausverkauften Stadien der EM machen deutlich: Das Interesse am Frauenfussball ist da, nicht nur auf dem Platz, sondern auch gesellschaftlich. Die Frage «Wer darf mitspielen?» ist keine sportliche, sondern eine politische. Und sie bleibt aktueller denn je.
Text: Lucy Schön Fotos: David Fürst