Auf dem Berner Strassenstrich habe sich in den letzten 20 Jahren viel verändert, einiges sei einfacher geworden, anderes komplexer, sagt Julia Nievergelt, Leiterin von «La Strada», der mobilen Anlaufstelle für suchtmittelgefährdete Sexarbeiter*innen in Bern.
Seit 20 Jahren ist der «La Strada»-Bus unterwegs, drei Mal wöchentlich fährt er zur Strichzone bei der Taubenstrasse und öffnet die Tür für Anliegen und Fragen aller Art. «La Strada» gibt Präventions-Material und Spritzen ab, bietet den Sexarbeiterinnen einen Ort zum Ausruhen, Essen und Trinken und ein offenes Ohr bei gesundheitlichen oder finanziellen Anliegen.
Die Problematik der Beschaffungsprostitution war in Bern immens.
Als das Angebot von «La Strada» lanciert wurde, gab es in Bern noch eine offene Drogenszene. Diverse Infektionskrankheiten wie HIV oder Hepatitis waren stark verbreitet, während gleichzeitig wenig Wissen über die Verbreitung und mögliche Therapien vorhanden war. Auch die Problematik der Beschaffungsprostitution war immens.
Lebenssituationen sind viel komplexer
Durch die Etablierung zahlreicher Angebote hätten die gesundheitlichen Risiken und der Beschaffungsdruck abgenommen. Auch sei der Strassenstrich kleiner geworden, wohl unter anderem aufgrund der Möglichkeiten von Internet und Mobiltelefon habe sich die Sexarbeit vermehrt in Privaträume verlagert.
Die Mitarbeitenden haben durch die sinkende Nachfrage heute mehr Zeit, sich den individuellen Bedürfnissen der Klientinnen zu widmen.
Als eine der grössten Herausforderungen erachtet Julia Nievergelt demnach aktuell, das über die Jahre aufgebaute Vertrauen zu den Sexarbeiterinnen aufrecht erhalten zu können, um sie auch weiterhin mit dem Angebot der Schadens-Minderung erreichen zu können. Gleichzeitig aber hätten die Mitarbeitenden durch die sinkende Nachfrage heute mehr Zeit, sich den individuellen Bedürfnissen der Klientinnen zu widmen, was aufgrund der erhöhten Komplexität der Lebenssituationen vieler Sexarbeiterinnen sehr wichtig sei, so Nievergelt. Zu beobachten seien zum Beispiel vermehrt finanzielle Probleme aufgrund des Rückgangs der Kundschaft, oder das Sichtbarwerden von physischen und psychischen Beschwerden aufgrund des fortschreitenden Alters der Sexarbeiterinnen.