Alltag - Kolumne

Wir Alten sind beliebte Labormäuse

von Peter Steiger 7. Oktober 2025

Alt.Mann.Bern. Forschende schätzen ältere Menschen als Labortierchen für ihre Studien, findet unser Kolumnist. Er wundert sich, warum man nicht die Alten fragt, wenn man was über die Alten wissen will.

Prolog. Die letzten Jahre verbrachte Frau Klara Steiger in einem Heim. In einem guten Heim. Nie bemängelte Frau Steiger was. Als ihr Sohn den Jahresbericht des Heims las, staunte er über die vielen statistischen Angaben: Pflegestufe, Auslastung, ärztliche Interventionen, Pfarrerinnenbesuche, Medikamentierung. Bloss etwas fand er nicht: Angaben zu den Vorlieben, Wünschen und Vorstellungen der Patientinnen und Patienten. 

Als Studienobjekte sind wir Seniorinnen und Senioren begehrt. Aber wissen die Forschenden denn auch wirklich, was uns bewegt? Die Fachleute schätzen uns als Labortierchen, als Betroffene hingegen wollen sie uns lieber raushalten.

Einer Institution, welche Arbeitsplätze für Ältere fördern will, würden ein paar tatsächlich Ältere gut anstehen

Niemand fragt die Mäuse, Meerschweinchen oder Rhesusäffchen, ob sie mit ihren Untersuchungen einverstanden sind. Kaum jemand fragt die Seniorinnen und Senioren, über was und wie sie befragt werden wollen. Das ist gewiss ein absurder Vergleich. Aber er weist darauf hin, dass wir Alten zwar als Studienobjekte beliebt, doch kaum an den Untersuchungen beteiligt sind.

Das Projekt der Uni Zürich «Jedes Alter zählt» will die Altersdiskriminierung an möglichst vielen Fronten bekämpfen. Das ist ein würdiges Ziel. Stutzig macht, dass im siebenköpfigen Team nur eine einzige Person im AHV-Alter ist. Klar: An einer Uni stehen die qualifizierten Mitarbeitenden eher in der Lebensmitte als im Seniorenalter. Aber einer Institution, welche Arbeitsplätze für Ältere fördern will, würden ein paar tatsächlich Ältere gut anstehen – selbst wenns nur Quoten- oder Alibi-Senior*innen wären.

Warum einfach, wenns kompliziert auch geht. Schauen wir uns einen realen Text aus einem Studienprojekt an und versuchen wir drauszukommen: Wenn Sie an Ihre persönliche Lebensspanne denken: In welchem Ausmass erscheint Ihnen der verbleibende temporale Horizont: erweitert oder limitiert? Was soll das? Die einfache Frage nach der Zukunft hätte es doch auch getan.

Studienverantwortliche lieben die jungen Alten

Publizieren auf Teufel komm raus. Den Forschenden ist es für ihre Karriere und Reputation  wichtig, dass sie fleissig publizieren können oder wenigstens häufig zitiert werden. Wenn die Wissenschafter*innen die Älteren wirklich befragen würden, bräuchte das viel mehr kostbare Zeit. Sie bevorzugen deshalb bestehende Unterlagen. Dass die Ergebnisse auch mal Schlagseite haben, ist halt hinzunehmen.

Gleich und gleich gibt weniger zu tun. Bei einem Forschungsprojekt erleichtern möglichst gleichförmige Gruppen die Arbeit und ergeben hübsch stringente Resultate. Pflegefälle, Demente oder Teilnehmer*innen mit mehreren Krankheiten stören die Ergebnisse. Deshalb schliesst man solche Menschen gerne aus – und fälscht damit die Resultate.

Studienverantwortliche lieben die jungen Alten. Die noch nicht 70-Jährigen sind mental und körperlich fitter und damit besser für Studien geeignet. Sie kapieren die Fragen schneller – und verdrängen damit ungewollt die älteren Seniorinnen und Senioren.

Ditaji Kambundji kann gut über Hürden springen. Besser als wir. Vor vielen Studien stehen Hürden, die man wie die Leichtathletin erst mal kraftraubend überwinden muss

Wems schlecht geht, will Hilfe und keine Fragebögen. Forschende wollen Kranke und Leidende nicht mit Fragen zu ihren Lebensumständen löchern. Deshalb werden Ältere eher als Untersuchungsobjekte denn als aktive Mitgestaltende gesehen.

Wir Jüngeren wissen, was für euch gut ist. Nämlich Sitzbänkli, Mahlzeitendienst und gross beschriftete Tramhaltestationen. Seid ihr verehrte eben aus dem Ei entschlüpfte Sozialarbeiterinnen ganz sicher, dass der Seniorenabend im Kirchgemeindehaus der Monatshöhepunkt ist? Es gibt ein schönes Fremdwort für das: Paternalismus. Ausgedeutscht: Altersbeauftragte im Helikoptermodus.

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Ditaji Kambundji kann gut über Hürden springen. Besser als wir. Vor vielen Studien stehen Hürden, die man wie die Leichtathletin erst mal kraftraubend überwinden muss. Die Projekte werden über Kliniken ausgeschrieben oder sind nur online zugänglich. Senioren, die mit dem Compi nicht auf du und du sind, haben es schwer, da einzusteigen.

Epilog. Immerhin bewegt sich was. Verschiedene Schweizer Institutionen beteiligen bereits Seniorinnen und Senioren an Projekten. Als Beispiel: Das Institut für Altersforschung an der Fachhochschule Ost St. Gallen. Ältere Menschen arbeiten gemeinsam mit Forschenden an verschiedenen Themen wie technische Assistenzsysteme oder Wohnvisionen. Sie sind aktiv in allen Phasen von der Themenwahl bis zur Auswertung beteiligt.