Vier Vintage-Läden in zwei Jahren

von Manuel Gnos 25. Juni 2013

Kleider, Möbel und Pfannen aus zweiter Hand – lange stand dahinter die Idee, den Armen günstige Waren zu bieten. Nun aber ist Vintage im Trend: Neue Läden entstehen, die Preise steigen. Dahinter steckt die Suche nach Bleibendem.

Ein junger Mann mit einem Kleinkind auf dem Arm steht vor dem Gestell mit Kinderkleidern. Sein älterer Sohn durchstöbert weiter hinten die Kisten mit DVDs nach Kinderfilmen. Gleich nebenan drehen und wenden zwei Studentinnen jedes Messer, jede Gabel und jeden Löffel auf der Suche nach der Ausstattung für ihren ersten eigenen Haushalt. Ein Rentnerehepaar schlendert zwischen den Regalen hindurch, scheinbar ziellos aber durchaus lustvoll.

Man kennt solche Szenen aus den eigenen Besuchen in der vielen Brockenhäuser in diesem Land.

Weniger Ramsch in Brockenhäusern

Wer solche Brocki-Touren schon länger immer wieder unternimmt, dem ist aufgefallen, dass eine langsame, aber auffällige Veränderung vor sich geht: In vielen Brockenhäusern gibt es weniger Ramsch, die Waren sind teurer geworden und man trifft vermehrt Leute mit höherem Einkommen in den Läden, die eigentlich für die Armen erfunden worden sind. Gleichzeitig ist es seltener geworden, dass man ein wahres Schnäppchen macht.

Brockenhäuser gibt es in der Schweiz seit zirka 1895. Laut Wikipedia war das Bärner Brocki eines der ersten. Die Idee hatte damals der Verein für Arbeitsbeschaffung. Auch heute noch werden viele Brockenhäuser von karitativen Organisationen geführt. Die Bekanntesten darunter sind: die Heilsarmee, das Blaue Kreuz, die Emmaus-Organisation, die Frauenvereine und HIOB International.

Mit einem Brockenhaus lässt sich gleich in dreifacher Hinsicht helfen: Wer ein kleines Budget hat, kann günstig gespendete Waren einkaufen, es werden Arbeitsplätze sowie Beschäftigungsprogramme geschaffen und mit dem eingenommenen Geld können die eigenen Hilfsprojekte finanziert werden.

Vintage-Läden: Fast wie eine Kunstgalerie

Doch nicht nur in Brockenhäusern findet man Gebrauchtwaren. Am anderen Ende der Skala stehen die Antiquitätenhändler, wo teure, teils aufwändig restaurierte alte Möbel verkauft werden. Zwischen diesen Polen gab es lange Zeit kaum Läden. Seit aber die Brockenhäuser eine neue Klientel anziehen, haben einige die Zeichen der Zeit erkann und es wird alle paar Monate irgendwo ein kleiner Laden eröffnet mit ausgesuchten Möbeln und anderen Gegenständen aus den 20er- bis 70er-Jahren des letzten Jahrhunderts. Man nennt sie Vintage-Läden.

Auch in Bern gibt es inzwischen einige davon. Sie alle sind höchstens zwei Jahre alt und tragen hübsche Namen wie «Bellbird Vintage», «Patinamöbel», «Winkel» oder «Memphis Belle Vintage». Sie gleichen mehr einer Kunstgalerie als einem Ramschladen. Nur wenige ausgesuchte Stücke stehen in den meist kleinen Räumen, oft sind es Designklassiker, alle sind in bestem Zustand.

René Lanz ist schon länger im Geschäft. Vor mehr als zehn Jahren hat er den Laden «Schönes und Besonderes SUB» beim Wyleregg eröffnet. Lanz begrüsst die neue Konkurrenz: «In Bern hat es noch mehr Platz für Vintage-Shops.» Er gehe davon aus, dass in den nächsten Monaten und Jahren noch weitere Läden hinzukommen werden – und verweist dabei auf Zürich, wo der Vintage-Boom schon viel länger andauere und ausgeprägter sei. Alleine die Preisunterschiede zu Bern würden das schon zeigen.

Quereinsteiger verkaufen ihre Möbelsammlung

Der Brite Richard Preece ist ausgebildeter Grafiker, führt seit 2011 den «Bellbird Vintage» und ist seit ein paar Monaten an der Sickingerstrasse im Breitenrain beheimatet. Er sieht sich nicht als Vertreter eines Trends. Seinen Laden hat er eröffnet, weil er irgendwann zuhause keinen Platz mehr hatte für all die Möbel und Gegenstände, die er über die Jahre zusammengekauft hatte. Sie bilden nun den Grundstock seines Angebots, das laufend durch Möbelstücke und Einrichtungsgegenstände aus Räumungen, Einkaufstouren und Onlineauktionen zusammenkommt.

Ähnlich tönt es bei Maria van Harskamp vom kleinen Vintage-Laden «Winkel» direkt neben dem Bühlplatz: «Unsere Wohnung war irgendwann einfach zu klein, um all die schönen Stücke aus unserer Möbelsammlung unterbringen zu können.» Sie haben darauf beschlossen, einen Laden zu eröffnen, sobald sie ein geeignetes Lokal gefunden haben. «Wir hatten keine Erfahrung darin und wollten das einfach ausprobieren. Da war wenig Kalkül dahinter.» Unbewusst habe der Vintage-Trend aber auf jeden Fall eine Rolle gespielt beim Entscheid, ein eigenes Geschäft zu eröffnen. «Ohne diesen Trend hätten wir uns keinesfalls getraut, den Schritt zu machen», sagt sie.

Maria van Harskamp und ihre Mitstreiter betreiben den kleinen Laden, der auf 20 Quadratmeter untergebracht ist, im Moment nebenberuflich. «Es läuft aber gut», sagt Maria van Harskamp, «besser als wir es uns bei der Eröffnung im September 2012 erhofft hatten!» Schon nach wenigen Monaten decken die Einnahmen die Kosten.

Gutverdienende zwischen 25 und 60

Die Kundschaft von Läden wie dem «Winkel» unterscheidet sich merklich von der klassischen Brockenhausklientel. Maria van Harskamp: «Zu uns kommen in erster Linie Gutverdienende, die bereit sind, für einen Gegenstand, der ihnen etwas bedeutet, einen guten Preis zu bezahlen.» Die meisten Kunden seien zwischen 25 und 60 Jahren alt. Wer jünger ist, kann sich die Sachen in den Vintage-Läden meist nicht leisten oder hat noch gar keine eigene Wohnung. Auch Leute ab 60 kauften selten etwas in ihrem Laden, sagt Maria van Harskamp: «Die Vintage-Sachen sind ihnen zu nahe, weil sie mitten in dieser Art von Einrichtung aufgewachsen sind.»

Auffällig ist die Diversifizierung im Angebot der einzelnen Läden. So hat René Lanz, der Alteingesessene, kleinere Accessoires aus dem Sortiment genommen: «Ich habe gemerkt, dass es mir viel Arbeit macht, aber nicht viel bringt, Kunden zu haben, die wegen der günstigeren Sachen vorbeischauen.» Darum konzentriert er sich ganz bewusst auf Designklassiker bei Lampen und Möbeln. Im «Winkel» werden dagegen auch Aschenbecher, Zeitungsständer oder Sonnenbrillen verkauft. Und an den Wänden hängen aktuelle Werke von einem lokalen Künstler, der hier seine Bilder zum Kauf anbieten kann.

Ebenso macht es Richard Preece vom «Bellbird Vintage»: Neben der beeindruckenden Auslese an Möbeln, Uhren und Lampen kann man bei ihm aktuelle Wollprodukte aus seiner Heimat Wales kaufen. Und auch ein teils aus Holz gefertigtes Fahrrad gehört zu seinem Sortiment. Dagegen hat sich Carol Kessler in ihrem Laden «Memphis Belle Vintage» ganz offensichtlich auf die Ästhetik des Rock’n’Roll-Zeitalters konzentriert und erfreut die Kunden mit Hemden, Geschirr, Schuhen, Tischen, Röcken und Sideboards die Rockabilly-Herzen.

Mehr und grössere Läden

Doch wie wird es weitergehen? Wird der Boom anhalten? Davon gehen alle aus, mit denen wir gesprochen haben. Maria van Harskamp sagt: «In Bern wird der Trend noch stärker werden.» Für den «Winkel» stellt sie sich ein grösseres Lokal vor: «Am liebsten kombiniert mit einem Café, in dem man auch gleich die Möbel kaufen kann.»

René Lanz dagegen fühlt sich wohl in seinem Verkaufslokal. Er geht aber davon aus, dass nach «Patinamöbel», dem jüngsten Kind des Vintage-Trends, noch weitere Läden eröffnet werden. «Noch sind wir nicht am Ende dieser Entwicklung», sagt er. «Die Angebote werden sich noch weiter ausdifferenzieren und sich anpassen, wenn sich der Kundengeschmack ändert.»