Mit einer neuen Verbindung für den Fuss- und Veloverkehr zwischen den Stadteilen Breitenrain-Lorraine und Länggasse-Felsenau will die Stadt Bern eine Lücke im städtischen und regionalen Routennetz schliessen. Verkehrsdirektorin Ursula Wyss zeigt sich im Interview überzeugt vom Potenzial dieses Bauwerks.
Ursula, Du unterstreichst immer wieder die Bedeutung einer Velo- und Fussgängerbrücke zwischen den Stadtteilen Breitenrain-Lorraine und Länggasse-Felsenau. Ist die geplante Brücke wirklich so wichtig für unsere Stadt?
Ursula Wyss:
Ja. Das Fuss- und Velowegnetz weist nördlich des Stadtzentrums eine markante Lücke auf: Es fehlt eine direkte Verbindung auf gleichem Höhenniveau zwischen dem Breitsch und der Länggasse über die Aare. Die bestehenden Verbindungen führen über die Lorrainebrücke via Schützenmatte und Henkerbrünnli oder über das Stauwehr Felsenau. Beide Verbindungen sind entweder wegen der hohen Verkehrsbelastungen oder wegen der Umwege und der Höhendifferenzen unattraktiv. Kommt die Brücke zustande, werden wir künftig direkt, sicher und attraktiv vom Breitenrain in die Uni, ins Viererfeld, zum Inselspital oder ins Naherholungsgebiet in der Enge fahren können. Ein Gewinn ist die Brücke sicher auch für den Tourismus. Weil auch die umliegenden Gemeinden profitieren, ist das Projekt Teil des Aggloprogramms von Bund und Kanton.
Vor allem in der Lorraine hört man viele Stimmen, die sagen, man würde besser zuerst die gefährliche Situation für Velofahrende auf der Lorrainebrücke verbessern und die Velorouten ausbauen, als dieses neue Brückenprojekt zu verfolgen.
Genau das tun wir: Das Brückenprojekt wird nicht bereits in 2 bis 3 Jahren realisiert. Sofern uns keine Einsprachen blockieren, werden wir hingegen bereits im laufenden Jahr die erste Velohauptroute Wankdorf in Betrieb nehmen, die via Lorrainebrücke ins Stadtzentrum führt. Auf der Lorrainebrücke selber sind für 2018 weitere deutliche Verbesserungen für den Veloverkehr geplant. Wir wollen dort die Velospuren markant verbreitern, eine Autospur abbauen und die Lichtsignalanlagen für Velofahrende anpassen. Gegen einen solchen Spurabbau hat sich ja selbst der TCS nicht ausgesprochen. Damit können wir auf dieser wichtigen Achse schon bald mehr Sicherheit und Komfort für die Velofahrerinnen und Velofahrer anbieten. Die neue Brücke passt bestens in das geplante Veloroutennetz und man sollte deshalb auch nicht das eine gegen das andere ausspielen. Es braucht sowohl die Brücke wie auch die Verbesserungen auf der Wankdorf-Route, wenn wir vorwärts kommen wollen.
Was wir nicht vergessen dürfen: Auf der Achse Wankdorf-Lorrainebrücke haben wir heute ein sehr starkes Verkehrsaufkommen. Über die Lorrainebrücke fahren täglich rund 20’000 Autos und fast 5000 Velos, an Spitzentagen sind es gar mehr als 7000. Dazu kommt der ÖV mit der stark belasteten Linie 20. Eine Entlastung dieser Achse und eine Alternativroute für gewisse Zielorte machen sicher Sinn. Dies gilt hier umso mehr, als gerade für den Veloverkehr Abkürzungen besonders wichtig sind. Wollen wir in der Stadt den Anteil am Veloverkehr steigern, ist die neue Brücke ein wichtiges Element.
Kritische Stimmen finden, es handle sich um ein Prestigeprojekt von RGM und du wollest Dir damit ein Denkmal setzen. Was sagst Du dazu?
Der Vorwurf, man verfolge Prestigeprojekte, kommt immer, sobald man etwas mehr als eine reine Sanierung plant. Würde man das ernst nehmen, würde man keine grösseren Projekte mehr anpacken und wir hätten in Bern den absoluten Stillstand. Zudem könnte zu einer Hauptstadt durchaus auch ein architektonisches Leuchtturmprojekt passen. Fakt ist weiter, dass die Brücke bereits seit 2004 im kantonalen Richtplan Veloverkehr als Schlüsselprojekt aufgeführt wird. Es ist also nicht nur meine persönliche Einschätzung, dass es ein grosses Potenzial für eine attraktive Verbindung der beiden Stadtteile gibt. Ausserdem haben wir einen Auftrag des Stadtrats: Dieser hat im Mai 2013 entschieden, dass die Stadt vom Kanton die Federführung für die Planung des Brückenprojekts übernehmen soll. Diesen Auftrag haben wir übernommen und sind seither daran, die entsprechenden Schritte vorzubereiten.
Derzeit dominieren vor allem die kritischen Stimmen zu diesem Brückenprojekt. Wieso?
Viele finden die Idee einer Fuss- und Velobrücke grundsätzlich gut. Aber wir bewegen uns im eng besiedelten Raum. Die einen stören sich an der Linienführung, weil sie befürchten, selbst zu wenig zu profitieren. Die anderen ärgern sich über einen möglichen Schattenwurf oder andere Beeinträchtigungen. Ausserdem müssen Landschaftsbild und städtebauliche Verträglichkeit berücksichtigt werden. Viele können sich ein solches Projekt auch nicht wirklich vorstellen, solange es noch keine konkreten Projekte und Bilder dazu gibt. Dafür habe ich viel Verständnis. Unsere Aufgabe ist es, eine solche Brücke dort zu planen, wo sie den grössten Mehrwert schafft und am meisten Nutzerinnen und Nutzer anzieht. Darüber hinaus gilt es aber auch darauf zu achten, dass das betroffene Quartier die Brücke als Aufwertung erlebt und gut eingebunden wird.
Befürchtest Du nicht, dass das Brückenprojekt scheitern könnte?
Ich verstehe meine Aufgabe nicht darin, mich vor heiklen Geschäften zu drücken. Wenn ich einen Auftrag des Stadtrats habe, versuche ich ihn umzusetzen, auch wenn er herausfordernd ist. Ich bin überzeugt, dass wir am Schluss ein gutes Projekt auf dem Tisch haben werden, über das die Bevölkerung in einer Abstimmung entscheiden kann, ob sie es umsetzen will oder nicht.
In der Medienberichterstattung waren Behauptungen von Betroffenen zu vernehmen, sie seien nie von der Stadt kontaktiert worden, etwa der Schweizerische Feuerwehrverband. Wie kommen solche Vorwürfe zustande?
Ich mag nicht darüber spekulieren, wie und warum diese Vorwürfe zustande gekommen sind. Ich kann nur betonen, dass mir ein möglichst einvernehmliches Vorgehen wichtig ist: Sobald im Februar 2015 klar war, welche Varianten im Zentrum stehen und weiter verfolgt werden, tauschten wir uns mit den Betroffenen sowohl schriftlich als auch in Treffen mehrmals über das weitere Vorgehen aus. Die Aussagen des Feuerwehrverbands waren falsch und der Verband hat sich inzwischen schriftlich bei uns entschuldigt.
Wieso wurde die vorgesehene Variante jetzt schon festgelegt – und nicht für den Wettbewerb offen gelassen? Ist dieses Vorgehen üblich?
Wir haben uns nach einer sorgfältigen Evaluation und einem breiten Partizipationsprozess für eine Variante entschieden, welche die neue Brücke von der Polygonbrücke zur Inneren Enge führt. Dazu haben wir einen Perimeter definiert, in dessen Rahmen es durchaus Spielräume gibt. Eine etwas nördlicher gelegene Variante, welche eine Zeit lang auch noch zur Diskussion stand, hätte eine komplexere Linienführung zur Folge gehabt und wäre weniger nutzerfreundlich gewesen. Kommt dazu, dass man für diese Variante ein Haus abreissen müsste. Gegen den Willen der Betroffenen Häuser abreissen, will ich aber nicht, solange es keine zwingenden Gründe dafür gibt – und die liegen hier eindeutig nicht vor. Aus einer Gesamtsicht schneidet die nun gewählte Variante besser ab und ich bin überzeugt, dass der Wettbewerb attraktive Projekte hervorbringen wird.
Waren bei der Variantenevaluation die falschen Leute dabei?
Das denke ich nicht. Wir waren seit Beginn der Planungsarbeiten sehr darum bemüht, möglichst breit einzubeziehen. Zudem haben wir uns von externen Fachleuten beraten lassen. Was sich jetzt zeigt, sind typische Auswüchse des Sankt-Florian-Prinzips: Wer eine Liegenschaft besitzt, die von einem Schattenwurf betroffen ist, verlangt nun eine andere Variante – losgelöst davon, ob dort ein Haus abgerissen werden müsste oder nicht.
Ein Problem sind ja die möglichen Enteignungen. Ist das nicht ein No-Go bei einem solchen Projekt, das nicht mit einer Eisenbahn-Neustrecke vergleichbar ist?
Wie gesagt: Ich bin gegen Varianten, die uns zwingen würden, gegen den Willen der Eigentümerschaft bestehenden Wohnraum abzureissen. Dass es in gewissen Fällen zu Schattenwurf kommen wird, ist jedoch nicht zu verhindern. Dort, wo spürbare Wertverminderungen eintreten, wird die Stadt diese im Rahmen des Üblichen selbstverständlich entschädigen. Andererseits frage ich mich, wieso eigentlich alle nur von Wertverminderungen sprechen. Wer künftig in der Nähe der Brücke wohnt, hat eine viel bessere Verkehrsverbindung in den anderen Stadtteil. Zudem wird es eine städtebaulich attraktive Brücke. Ich kann mir daher gut vorstellen, dass es im weiteren Umfeld der Brücke letztlich auch zu Wertsteigerungen kommen wird.
Wie sieht das weitere Vorgehen aus?
Nach der Planungsphase folgt nun die erste Projektierungsphase: Im Rahmen eines Wettbewerbs soll ein konkretes Brückenprojekt erarbeitet werden. Beurteilt werden die Wettbewerbsarbeiten von einer Jury, in der externe Fachpersonen, Vertreterinnen und Vertreter der Stadtverwaltung sowie Delegierte der Quartierorganisationen Einsitz nehmen. Für die Durchführung des Wettbewerbs und die ersten Arbeiten am Vorprojekt beantragt der Gemeinderat dem Stadtrat, den 2014 gesprochenen Planungskredit von 560’000 Franken auf 1,95 Millionen Franken zu erhöhen. An den Kosten beteiligen sich anteilsmässig auch Bund und Kanton. Das Geschäft kommt demnächst in die vorberatende Kommission und voraussichtlich noch vor den Sommerferien in den Stadtrat.
Die Öffentlichkeit wird weiterhin regelmässig über die Fortschritte des Projekts informiert; weitere Partizipationsveranstaltungen sind geplant. Vorgesehen ist, dem Stadtrat noch 2017 eine Kreditvorlage für die Erarbeitung des Bauprojekts zu unterbreiten. Voraussichtlich 2020 können die Stadtberner Stimmberechtigten über den Realisierungskredit abstimmen. Sofern das Projekt nicht durch Beschwerden verzögert wird, könnte der Baustart Ende 2022 oder im Verlauf von 2023 erfolgen.