Radikal lokale Ferien

von Olga Cajacob 23. November 2021

Im Jahr 2020 begeisterte Kilian Bühlmann seine Crew für die Idee einer klimafreundlichen Kreuzfahrt mit der «nMS-3012». Es ist der Name des imaginären Kreuzfahrtschiffes, das «non Motorisierte Schiff 3012». Doch die Reiseauflagen im Frühling/Sommer 2020 schafften es, das Auslaufen der «nMS-3012» um ein Jahr zu verzögern. Dadurch verlängerte sich jedoch auch die Vorfreude auf die lokalen Ferien mit Menschen aus dem Quartier, die sich auf das Kreuzfahrtabenteuer einlassen wollten, um ein Jahr. Im August 2021 ist die «nMS-3012» nun ausgelaufen. Das Reise-Journal im Journal B beschreibt für jeden Tag der Kreuzfahrt eine Station im Quartier. Der ganze Reisebericht findet sich in der aktuellen Ausgabe des Längassblatt.

Tag 1: Endlich!, Boarding am 9. August 2021 um 9 Uhr

Es ist wunderbar, ohne Kreuzfahrt-Scham, ohne Prophylaxe für mögliche Seekrankheiten, ohne Kleiderzwang, klimaneutral und mit guter Wetterprognose, in die Ferien zu starten. Auf uns warten fünf sonnige Ferientage im Quartier, die Fahrt und das Ankern in verschiedenen Häfen, das Bordleben und vielversprechende Landgänge.

Nach kurzen Anreisen treffen die Passagiere mit leichtem Reisegepäck ein. Die Crew begrüsst die Quartierkreuzfahrer*innen am Check-In bei der UniS, überreicht ihnen die Boardingpässe (in Form eines Namensschildes) und weist auf die Sicherheitsauflagen an Bord hin. Als imaginäre Bordkulisse, mit täglich wechselndem Standort, dient das improvisierte Panoramadeck der «nMS-3012» mit einladenden Liegestühlen.

Das erste Panoramadeck im Park des alten Frauenspitals lädt zum Verweilen ein. Die Crew serviert den Kaffee direkt an die Liegestühle und informiert über den ersten Landgang.

Exakte Wissenschaften

Exakt zum Zeitpunkt, als der Weltklimarat an seiner Pressekonferenz den 6. IPCC-Bericht vorstellt, sind wir zu Gast im Institut für exakte Wissenschaften. Professor Thomas Stocker, Mitautor des 5. Klimaberichtes, spricht über die Ursachen der Klimaerwärmung, über den Treibhauseffekt und über die globalen Auswirkungen. Für Professor Stocker, Mitglied der Abteilung Klima- und Umweltphysik, ist die Forschungsarbeit in der Arktis fundamental. Das Institut entwickelt spezielle Bohrer für Eisbohrkerne. Die Proben zeigen schwankende CO² -Konzentrationen aus über 800’000 Jahren. Sie sind in der Forschungsarbeit Brücken aus der Vergangenheit hin zum Jetzt und führen zu Lösungsansätzen für die Zukunft.

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Thomas Stocker im Institut für exakte Wissenschaften. (Foto: Kilian Bühlmann)

Tag 2: Orgeltöne

Kapitän/Architekt Bühlmann führt die Gruppe in der unmittelbaren Nachbarschaft der Pauluskirche zum Bau von Otto Rudolf Salvisberg und Otto Brechbühl (erstellt von 1928 bis 1931, an der Baltzerstrasse 1-5). Das der Bauhaus-Architektur verpflichtete Gebäude wirkt auch heute noch zeitlos und funktional. Im Innern der Pauluskirche empfangen uns die Klänge der Königin der Instrumente. Der Kantor und Organist Lee Stalder macht uns mit der Komplexität seiner Metzler-Orgel vertraut. Hör- und sichtbar können wir uns mit der Konstruktion, den Höhen und (Un-)Tiefen der Orgel auseinandersetzen, die Schwingungen und Vibrationen der tiefen Töne körperlich wahrnehmen und die Farbigkeit des Klangs in Hörbeispielen erleben.

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Blick in die Orgel. (Foto: Olga Cajacob)

Tag 3: Autark unterwegs

Wohnformen und formbares Wohnen. Mit diesen Themen beschäftigen wir uns am dritten Tag. Das autarke Wohnkonzept der Wohnwagengruppe, in unmittelbarer Nachbarschaft zum Burgerspittel, zeigt eine neue Auffassung zum Wohnen. Drei Bewohner*innen führen uns durch ihr mobiles Dorf. Das basisdemokratische Miteinander und das angestrebte autarke Leben prägen das Zusammenleben des Kollektivs. Die mobilen Häuser baut das Kollektiv selbst, Sonnenkollektoren liefern Strom, eigenes Gemüse wird angebaut und Holz für den Winter gehackt. Im Gemeinschaftshaus wird gegessen und diskutiert.

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Blick auf die Wohnwagengruppe. (Foto: Kilian Bühlmann)

Tag 4: Citygolfen

Der Landgang führt zum Citygolfen in die Nähe des Studersteins. Es ist gar nicht so einfach, die Discs Richtung Korb fliegen zu lassen. Anfänglich werden recht eigenwillige Flugbahnen beobachtet. Zwei Mitglieder des Clubs «Walkabout» helfen, die Flugrouten zu präzisieren.

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Citygolfen. (Foto: Kilian Bühlmann)

Tag 5: Forstzentrum

Nachts kreuzt die «nMS-3012» durch die hintere Länggasse und dockt in der Nähe des Glasbrunnens an. Die Szenerie mit den Liegestühlen, mitten im Bremgartenwald, strahlt Stille und Frieden aus.

Der «Bremer», eines der Naherholungsgebiete des Länggassquartiers, wird von den Anwohner*innen sehr geschätzt. Der Spagat zwischen der Freizeitnutzung und dem Pflege- und Bewirtschaftungsauftrag ist im Betriebsauftrag enthalten. Stefan Flückiger, der meisterliche Rhetoriker, Forstmeister und Betriebsleiter des Forstzentrums der Burgergemeinde Bern nimmt uns mit auf den Landgang in sein Arbeitsumfeld. Das Forstzentrum stützt sich für den Erhalt des Waldes auf den Erhalt der Bodenfruchtbarkeit, auf den Einbezug klimatauglicher Baumarten, auf kürzere Risikozeiträume durch risikogerechte Produktion und auf die Förderung der Vitalität der Bäume. Von fest angelegten Rückegassen aus bewirtschaftet der Forstbetrieb den Wald. Dank dieser wird der Waldboden weniger verdichtet.

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Stefan Flückiger, Forstmeister und Betriebsleiter des Forstzentrums der Burgergemeinde Bern. (Foto: Kilian Bühlmann)

Ausklang

Zum Debriefing der Quartierkreuzfahrt überrascht uns Fredi Vögeli mit einem legendären Risotto. Freude und Dankbarkeit prägen den Abschluss auf der «nMS-3012». Das Ferienprojekt im Quartier, mit Menschen aus dem Quartier, ist einmalig. Wir sind uns bewusst, wie gut es sich in der Länggasse leben lässt. Von den vielen Eindrücken der Kreuzfahrt werden wir noch lange zehren können.