Anfang 2024 kündigte SP-Gemeinderätin Marieke Kruit an, sie wolle sich ebenfalls um das Stadtpräsidium bewerben. Sie forderte damit den bisherigen Stadtpräsidenten, den GFL-Grünen Alec von Graffenried, heraus. Kurz darauf warfen auch GLP-Nationalrätin Melanie Mettler und der SVP-Stadtrat Janosch Weyermann den Hut in den Ring.
Seit das RGM-Bündnis die Mehrheit in der Berner Stadtregierung innehat (1992), stellt es auch jeweils mit einem SP-Mann den Stadtpräsidenten. Bis 2004 war dies Klaus Baumgartner, nachher Alexander Tschäppät. Als aber 2016 die SP-Gemeinderätin Ursula Wyss im Begriff war, die Nachfolge von Alexander Tschäppät als Stadtpräsidentin zu übernehmen, griff Alec von Graffenried an und schlug Ursula Wyss im zweiten Wahlgang deutlich mit 58 Prozent Stimmenanteil. 2020 wurde Alec von Graffenried quasi oppositionslos als Stadtpräsident bestätigt. Bei den jüngsten Wahlen nun schlug die SP zurück.
Marieke Kruit wird erste Stadtpräsidentin Berns
Marieke Kruit machte bereits im ersten Wahlgang fast alles klar: Sie holte 46,5 Prozent der Stimmen, Alec von Graffenried 26 Prozent. Quasi nur die Rolle von Statist:innen spielten, wie schon bei früheren Wahlen, die Bürgerlichen und Rechten. Angesichts der Deutlichkeit des Ergebnisses zog Alec von Graffenried seine Kandidatur zurück, ebenso wie Melanie Mettler und Janosch Weyermann – und Marieke Kruit war gewählt, als erste Berner Stadtpräsidentin.
Trotz der Divergenzen bei den Wahlen ums Stadtpräsidium traten die RGM-Parteien, wie gewohnt, mit einer vierköpfigen Wahlliste an. Neben den beiden Bisherigen, Alec von Graffenried und Marieke Kruit, kandidierten neu die GB-Grüne Ursina Anderegg (anstelle von Franziska Teuscher) und der SP-Mann Matthias Aebischer (anstelle von Michael Aebersold).
RGM hält ihre vier Gemeinderatsmandate
Nachdem die bürgerlichen und rechten Parteien von der GLP bis zur SVP in den vergangenen Jahrzehnten meistens getrennt zu den Gemeinderatswahlen angetreten waren, immer chancenlos, kandidierten sie diesmal auf einer gemeinsamen Wahlliste mit dem Namen «meh Farb für Bärn» (GLP, Mitte, FDP, EVP, SVP). Dabei sorgte die Verbindung mit der SVP bei Teilen der GLP für Unruhe. Dank der Verbindung aber konnte sich die Liste gute Chancen auf ein zweites Mandat ausrechnen.
Bei den Gemeinderatswahlen 2024 steigerte sich die RGM-Liste gegenüber den letzten Wahlen um 3,2 Prozentpunkte auf 66,9 Prozent Stimmen, was einen erneuten Höchststand für RGM darstellt. Demgegenüber schnitt die «meh Farb»-Liste mit 33,1 Prozent um 1,4 Prozentpunkte schlechter ab als die bürgerliche und die Mitte-Liste von 2020 (zusammengezählt: 34,5 Prozent). Damit scheiterte die «meh Farb»-Liste bei ihrem Vorhaben, das zweite Mandat zu holen. Vertiefte Analysen dürften zeigen, ob das Wahlbündnis mit klingendem Slogan und guten Köpfen, aber ohne inhaltliche Plattform doch etwas wenig war, um die Wählenden von sich zu überzeugen.
Alec von Graffenried erhielt relativ gesehen am meisten Panaschierstimmen von der «meh Farb»-Liste (1’162) und Ursina Anderegg am wenigsten (223).
Ein Blick auf die Mandatsverteilung zeigt, dass RGM 4,01 Mandate zu Gute hatte und die «meh Farb»-Liste 1,99. RGM holte somit erstmals vier Vollmandate, während die «meh Farb»-Liste ihr zweites Mandat sehr knapp verpasste. Gut 700 Stimmen oder 140 Wahllisten fehlten ihr.
Dank der Wahl von Melanie Mettler in den Gemeinderat haben die Frauen dort wieder – nach 1992 und 2008 – die Mehrheit inne.
Ursina Anderegg mit den meisten RGM-Stimmen
Zwischen den beiden Wahllisten wurde nur wenig panaschiert: Die Stimmen, welche die RGM-Liste erhalten hat, stammten zu 91 Prozent von RGM-Wahllisten; nur zwei Prozent der RGM-Stimmen kamen von der «meh Farb»-Liste.
Mit Blick auf die Kandidierenden auf der RGM-Liste konkretisiert sich dies wie folgt: Alec von Graffenried erhielt relativ gesehen am meisten Panaschierstimmen von der «meh Farb»-Liste (1’162) und Ursina Anderegg am wenigsten (223). Bezogen auf die rund 138’000 Stimmen für RGM sind diese Differenzen ein Klacks. Den Ausschlag für die Reihenfolge der gewählten RGM-Kandidierenden gaben die RGM-Wählenden selber: Diese wählten (und kumulierten) Ursina Anderegg am meisten (28’886 Stimmen), ihr folgte eng auf den Fersen Marieke Kruit mit 28’615 RGM-Stimmen (weil sie bei den «Listen ohne Listenbezeichnung» am meisten punktete, holte sie ergebnismässig den Spitzenplatz von RGM). Etwas weniger RGM-Stimmen erhielten Matthias Aebischer (26’312) und Alec von Graffenried (24’572).
Melanie Mettler auf RGM-Listen stark panaschiert
Etwas zahlreicher waren die Stimmen, welche von RGM-Wählenden an die «meh Farb»-Liste gingen, selbst wenn die unterschiedliche Stärke der Wahllisten in Betracht gezogen werden. Dies hängt vor allem mit der GLP-Nationalrätin Melanie Mettler zusammen, welche mit Abstand die meisten Panaschierstimmen von RGM (3’637) erhielt. Deutlich weniger gut im Kurs waren bei den RGM-Wählenden Béatrice Wertli, Mitte (949 RGM-Panaschierstimmen), Bettina Jans-Troxler, EVP (563), Florence Pärli, FDP (558) und Janosch Weyermann, SVP (138).
Linksrutsch bestätigt
Dass das Ergebnis der Gemeinderatswahlen nicht nur ein Effekt von Parteienbündnissen war, sondern eine erneut etwas nach links gerutschte Parteienlandschaft widerspiegelt, zeigen die Wahlen in den Stadtrat. Die rotgrünen Parteien (RGM und kleine Linke) steigerten sich um ein Mandat und holten zusammen 49 der achtzig Mandate, was das beste Ergebnis seit vielen Jahrzehnten darstellt. Im Vergleich zu 1992 ist es eine Steigerung um zwölf Mandate. Zählen wir noch die mit der Linken verbundene Liste «Tier im Fokus» dazu, hat das rotgrüne Lager nun fünfzig Mandate inne.
Nach einem Mandatsverlust erreichte die SVP mit sechs Mandaten und einer Parteistärke von 7,9 Prozent das schlechteste Ergebnis seit über fünfzig Jahren
Die grosse Abräumerin bei den jüngsten Wahlen waren SP/JUSO. Sie steigerten sich gegenüber 2020 um vier auf 27 Mandate. Das ist für SP/JUSO das beste Ergebnis seit 2000. Die SP ist klar die stärkste Partei der Stadt; sie wurde von fast jeder dritten Person gewählt. Gut abgeschnitten hat auch das GB mit ihrer Jungpartei JA!: Trotz leichter Stimmenverluste konnten GB/JA ihre 13 Mandate halten und stellen weiterhin die zweitstärkste Partei dar.
Schwächer geworden auf der linken Seite sind die AL und die GFL (-je 1 Mandat). Die sechs Mandate der GFL (Parteistärke: 7,6 Prozent) sind ihr schlechtestes Ergebnis seit 2004.
GLP und SVP verlieren
Auf bürgerlich-rechter Seite gab es nur eine Gewinnerin: Die Mitte (ehem. CVP und BDP). Sie steigerte sich auf fünf Mandate (+1). FDP/jf konnten ihre Mandatszahl und ihren Stimmenanteil halten, wobei der Verlust des einzigen Mandates der Jungfreisinnigen durch einen Mandatsgewinn der FDP kompensiert werden konnte. Gemeinderatskandidatin Florence Pärli, welche als Jungfreisinnige für den Stadtrat kandidierte, scheidet aber damit aus dem Stadtrat aus.
Nach einem Mandatsverlust erreichte die SVP mit sechs Mandaten und einer Parteistärke von 7,9 Prozent das schlechteste Ergebnis seit über fünfzig Jahren. Grösste Verliererin war die GLP; sie vermochte die beiden Verluste während der Legislatur (zu SP und zu GFL) nicht zu kompensieren und hat noch sechs Mandate. Stimmenmässig verlor sie 2,4 Prozentpunkte (auf 10,7 Prozent). Ob die schlechte Mobilisierung der GLP mit dem Wahlbündnis mit der SVP zu tun hat, müsste noch vertieft untersucht werden.
Immer noch klare Frauenmehrheit
Nach der phänomenalen Steigerung der Frauenrepräsentation bei den Stadtratswahlen von 2020 auf siebzig Prozent sank der Frauenanteil 2024 auf gut sechzig Prozent. Gegenüber dem Stand der Frauenrepräsentation Ende der Legislatur sind diese sechzig Prozent gleichwohl noch eine kleine Steigerung.
Auf den Wahllisten der Grünen und der Linken werden überdurchschnittlich viele Frauen gewählt. Je mehr rechts sich eine Partei positioniert, umso geringer ist der Frauenanteil.
Wie in anderen kommunalen, kantonalen und eidgenössischen Parlamenten zeigt sich auch bei den jüngsten Stadtratswahlen dasselbe parteipolitisches Verteilungsmuster der Frauen und Männer: Auf den Wahllisten der Grünen und der Linken werden überdurchschnittlich viele Frauen gewählt. Je mehr rechts sich eine Partei positioniert, umso geringer ist der Frauenanteil.
Bei den jüngsten Stadtberner Parlamentswahlen wurden beim Grünen Bündnis und der JA! – erneut – ausschliesslich Frauen gewählt. Bei der SP, bei der auch eine nonbinäre Person gewählt wurde, machten die 14 gewählten Frauen mehr als die Hälfte der Gewählten aus. Prozentual deutlich in der Mehrheit waren die gewählten Frauen bei der GFL und der GLP, sowie bei der Mitte (zwischen 66 Prozent und 80 Prozent). Gesunken ist der Frauenanteil dagegen bei der FDP (von 88Prozent auf 38 Prozent). Die SVP lässt sich weiterhin ausschliesslich durch Männer vertreten.