Wer noch geöffnet hat, ist die Heiliggeistkirche. Sie ist seit 1999 eine «offene Kirche», eine Citykirche. Gereift ist das Projekt in den 1990er Jahren, der Zeit der Drogenszenen im Kocherpark und der Innenstadt, insbesondere auch auf den Eingangstreppen der Kirche. Man stand vor der Entscheidung, die Szene entweder zu verjagen oder sie anzunehmen und zu integrieren. Unter dem Motto «offen für alle» obsiegte die Besinnung auf den Auftrag zur Nächstenliebe, und so wurden damals die Kirchentüren geöffnet. Das sind sie jetzt auch in der Zeit der Pandemie – geöffnet für Menschen am Rand der Gesellschaft und für jene, die ein Gespräch suchen oder etwas Halt finden möchten. Selbstverständlich sind alle Publikumsveranstaltungen in der Kirche bis auf Weiteres abgesagt und die Cafeteria ist geschlossen. Zuzuhören und da zu sein sei aber notwendig, gerade jetzt, es sei schliesslich das eigentliche kirchliche Kerngeschäft, sagt Annelise Willen, Projektleiterin der «offenen kirche bern». Sie müssten natürlich die BAG-Richtlinien umsetzen, hätten beispielsweise Markierungsstreifen auf den Boden geklebt, um die Abstandsregeln einhalten zu können.
Effektiv sind es nicht sehr viele, die gegenwärtig die Kirche aufsuchen. Aber es sind fast ausnahmslos solche, die tatsächlich ein Anliegen haben. «Einige unserer Gäste sind obdachlos. Wir sind glücklicherweise gut vernetzt und leiten sie an die richtigen Institutionen weiter, wenn das möglich ist», so Willen. Problematisch sei, dass alle freiwillig Engagierten, die zu einer Risikogruppe gehören oder älter als 65 Jahre seien, jetzt zu Hause bleiben müssten. Dies betreffe auch viele Fachleuten für die Seelsorge, darunter Theologinnen und Psychologen. Und es brauche zusätzlich auch Freiwillige für den Präsenzdienst. Annelise Willen dazu: «Bis Ostern haben wir den Präsenzdienst weitgehend abdecken können, aber für die Zeit danach sind wir froh, wenn sich Leute noch melden.» Auf der Website www.offene-kirche.ch, unter der Rubrik «Offen für Seelsorge», sind Präsenzpläne aufgelistet, in welche man sich eintragen kann, sofern man eben nicht zur Risikogruppe zählt. Wer das tut, wird anschliessend kontaktiert.
Auch die Notschlafstellen mussten umorganisieren, um die BAG-Vorgaben einzuhalten, und nehmen deshalb pro Nacht weniger Leute auf. Die Stadt Bern bietet nun 29 zusätzliche Einzelzimmer für die Isolation bzw. Selbstisolation von obdachlosen Personen mit Covid-19 Symptomen an. «Im Moment sind die bestehenden Strukturen für obdachlose Personen ausreichend», meint Ralph Miltner, der beim Sozialamt die Obdachlosenhilfe koordiniert auf die Frage, ob private Hausbesitzer nicht leerstehende Wohnungen zu Zwischennutzungszwecken melden sollten: «Für Zwischennutzungen von Wohnungen haben wir aber trotzdem fast immer Bedarf. Meist für Personen, die aus einer Wohnung müssen und noch keine Anschlusslösung haben». Also, liebe Vermieterinnen und Vermieter, melden Sie leerstehende Wohnungen (beispielsweise solche, die saniert werden sollen, aber es noch einige Zeit dauert, bis der Umbau beginnt) ans Sozialamt oder direkt an Ralph Miltner (). Am liebsten per Mail mit einer kurzen Beschreibung des Objektes und der Mietbedingungen – Mietpreis – Dauer etc.
Geöffnet trotz Corona ist ebenfalls die kirchliche Passantenhilfe und Sozialberatung an der Gartenstrasse im Mattenhof. «Wir sind weiterhin für alle Menschen da, welche sich gerade jetzt in einer Notsituation befinden. Wir haben unser Angebot den jetzigen Möglichkeiten angepasst. Die Kurzberatungen finden am ‹Schalter› statt und wir halten uns an die geforderten Massnahmen des BAG», erklärt Betriebsleiterin Ursula Käufeler. Der improvisierte «Schalter» ist versehen mit einer Plexiglasscheibe und ausgerüstet mit Desinfektionsmittel. Die Passantenhilfe unterstützt die Hilfesuchenden neben dem Beratungsangebot je nach Bedarf mit Lebensmittelpaketen oder Gutscheinen für Nahrungsmittel, mit Hygieneartikeln sowie, wenn es die Situation verlangt, mit kleinen Bargeldbeträgen. Weiter setzt sie gerade in der gegenwärtigen Situation auf Gespräche am Telefon und Fernunterstützung.
Auch die Stiftung «Contact», u. a. mit seiner Anlaufstelle an der Hodlerstrasse, und die «heroingestützte Behandlung Koda» an der Belpstrasse funktionieren, unter massiv erschwerten Bedingungen. Sie sind jetzt mehr denn je auf ihr professionell ausgebildetes Personal sowie ein gutes Einvernehmen mit den Sicherheitsbehörden angewiesen.
Immerhin ein Dach über dem Kopf haben die Bewohnerinnen und Bewohner der diversen betreuten Wohnangebote für Suchtmittelabhängige und Menschen in Ausnahmesituationen. Doch auch für die Betreuungsteams dort ist die Situation sehr belastend. Sie müssen sich selbst und ihre Klientschaft vor einer Ansteckung schützen. «Die Leute sind jetzt viel häufiger und länger im Haus. Wir sind fast nur noch damit befasst, ihnen die Corona-Verhaltensregeln immer und immer wieder einzuschärfen und sie daran zu erinnern, dass sie zur Risikogruppe gehören», erklärt Uli Paldan, Betriebsleiterin des betreuten Wohnprojekts für Drogenabhängige «BWD Albatros» an der Weissensteinstrasse. Das Problem dabei ist wohl der Gewöhnungseffekt: dass nämlich diese Menschen auch ohne Covid-19-Pandemie schon seit jeher «Risikogruppe» sind und sich somit mit dem Risiko arrangiert zu haben glauben.