Was haben Oper und Drag miteinander zu tun? Sehr viel, findet Lisa Louv Läng. Wir sitzen auf dem Boden in Längs Unterrichtsraum und sprechen über die Aufführung einer Arie aus der Zauberflöte als Dragshow vom Duo lis à lis, bestehend aus Lis Marti und Lisa Louv Läng.
Juni ist Pride Month. Auch in Bern wird in diesem Monat die Vielfalt der queeren Community gefeiert und gegen die weiterhin bestehende Diskriminierung protestiert. Journal B nimmt das zum Anlass, um in einer kleinen Portrait-Serie einige queere Angebote und Kollektive in der Bundesstadt vorzustellen.
Lisa Louv Läng ist Gesangslehrperson, Sänger*in und Chorleiter*in. In Ausbildung und Beruf begleitete they immer wieder das Gefühl, es zwar extrem gerne zu tun, aber gleichzeitig gewisse Teile von sich nicht zu zeigen, als würden zwei Leben parallel laufen: das der klassischen Musik und das private, in dem sich Läng mit feministischen und queeren Themen beschäftigte. Läng haderte deswegen immer wieder mit der Klassik: Weil viele Werke extrem sexistisch und rassistisch sind und die Welt der Klassik keinen Raum für Menschen bietet, die nicht dem binären Geschlechterbild entsprechen oder nicht aus der richtigen Klasse kommen. Es ist da ganz selbstverständlich, dass Chöre aufgeteilt sind in zwei Geschlechter mit je zwei Stimmlagen. Oder dass zum Besuch eines Konzertes dazugehört zu wissen, wann geklatscht wird und wann nicht.

Mit dem binären Verständnis von Geschlecht spielen
Doch Läng hat nicht aufgegeben. Sondern begonnen, sich selbst Räume aufzubauen, sich die Freiheit zu nehmen, Dinge anders zu machen, sich anzueignen, zu verändern. Mit dem Duo «lis à lis» beispielsweise, mit der Kombi von Oper und Drag. «Es geht bei beidem um das überzeichnete Spiel mit Rollen und Charakteren.» In der Oper gibt es zwar ein sehr binäres Verständnis von Geschlecht, doch damit wird auch gespielt: Frauen singen in sogenannten Hosenrollen Männer, Countertenöre übernehmen Frauenrollen – früher wurden Menschen dafür sogar kastriert. «Deshalb ist das in der Oper schon drin, das Verkleiden als anderes Geschlecht», sagt Läng.
Am diesjährigen Christopher Street Day in Bern, der antikapitalistischen Pride, haben Läng und Marti eine Arie von Tamino aus der Zauberflöte als Drag Show inszeniert. Läng singt den eigentlich hohen Tenorpart in thems tiefer Lage, dazu kommen Elektrosounds von Marti. «Es ist auch recht trashig, was wir daraus gemacht haben», sagt Läng und lacht laut. Ein Lachen, in dem mitschwingt: Wir sind jetzt einfach so frech. Wir machen etwas trashiges aus der heiligen Zauberflöte. Die Zauberflöte als eine der berühmtesten Opern schlechthin hat Läng interessiert, weil sie them zwar gefällt, aber die rassistischen und sexistischen Inhalte nicht so stehen lassen kann. «Beim ersten Programm mit lis à lis habe ich die Texte verändert, und sie mir dadurch zu ‹meinem› gemacht. Jetzt in diesem Stück kommentieren wir den Inhalt durch die Aufmachung.»
Sich die Freiheit zu nehmen, berühmte klassische Werke zu verändern, stösst nicht selten auf Gegenwind.
Das erste Programm von lis à lis basierte auf dem Liederzyklus «Frauenliebe und -leben» von Robert Schumann. In der Version von lis à lis heisst er «Frauen, Leben & Liebe», was schon eine Umdrehung der Prioritäten beinhaltet. Zuerst das Leben, dann die Liebe. Die Texte hat Läng angepasst, weil das Bild von Liebe, das über allem steht und die Frau zum Besitz des Mannes macht, für Läng nicht haltbar ist.
Sich die Freiheit zu nehmen, berühmte klassische Werke zu verändern, stösst nicht selten auf Gegenwind: «In gewissen Kontexten fühle ich mich als wäre es zu wenig Veränderung, als müsste ich mich rechtfertigen: Warum führe ich das überhaupt auf? Und in anderen Kontexten heisst es dann: ‹Was, du längsch das aa?›» Es gab Orte, an denen lis à lis nicht aufführen durfte, weil man Kernrepertoire nicht «verhunzen» darf. «Die Frechheit zu haben, etwas Neues zu machen, etwas anderes, als das was vorgegeben ist, berührt Menschen emotional.»
Nischen für queere Personen schaffen
Jemand hat Läng mal aufgebracht gefragt, ob they mit dem Werk «Frauen Leben & Liebe» nicht die ganze Epoche der Romantik kaputtmachen würde. Dabei geht es Läng ja gerade darum, diese Lieder für sich zu bewahren, weil Läng sie gerne mag: «Ich mache daraus etwas Neues, so dass ich das überhaupt aufführen kann und andere das hören können, die mir gleichgesinnt sind.» Denn gewaltvolle Inhalte unkommentiert zu übernehmen, geht für Läng nicht: «Wenn beispielsweise zum hundertsten Mal eine Vergewaltigung auf der Opernbühne inszeniert wird, ohne dies auch nur im Geringsten einzuordnen, denke ich: Dort sollten wir nicht mehr sein.»
Die Frechheit zu haben, etwas Neues zu machen, etwas anderes, als das was vorgegeben ist, berührt Menschen emotional.
Lisa Louv Läng schafft sich Nischen, in denen they als queere Person Platz hat, und lädt andere dazu ein. Ein wichtiges Projekt ist der Queere Chor Bern, den Läng im Sommer 2024 gründete. Läng dachte schon lange darüber nach, war aber nicht sicher, ob es wirklich ein Bedürfnis gibt. Nach mehreren Nachfragen von Bekannten startete they schliesslich eine Umfrage und teilte sie auf den sozialen Medien. Über neunzig Personen nahmen Teil und viele bekundeten einen Wunsch nach einem queeren Chor, der auch für Menschen mit Neurodivergenz zugänglicher ist. Läng versucht deshalb, viele Bedürfnisse mitzudenken. Zum Beispiel ein ruhiger Ort zum Pausenmachen, falls sich jemand zurückziehen möchte. «Sich Sorge zu tragen und versuchen, möglichst viele Leute mitzunehmen» ist für Läng ein wichtiger Teil der queeren Community. They bestimmt auch nicht alleine über die Stücke und Texte werden mitunter gemeinsam umgeschrieben, wenn sie nicht passen.

Der Wille zur Veränderung ist der Antrieb
In die drei Stimmen kann sich jede Person selbst einteilen. Da geht es nicht nur darum, wie hoch oder tief eine Stimme ist, sondern auch, in welcher Stimme man gerne singen möchte. Die Stimmen können auch oktaviert gesungen werden, etwa eine Oktave höher oder tiefer. «Das ist natürlich eine Herausforderung beim Arrangieren», sagt Läng, «weil das anders klingt. Aber es ist für mich viel wichtiger, den Menschen nicht zu sagen: ja du hast jetzt halt irgendwann mal einen Stimmbruch gehabt, deswegen kannst du nicht in der ersten Stimme singen.»
Stimme hat viel mit Gender zu tun, weil Menschen ihr Gender stark auch mit der Stimme performen. «Die Stimme ist deswegen ein grosses Thema bei vielen trans Personen», sagt Läng und führt aus: Das Äusserliche kann man anpassen: mit Kleidern, Hormonen oder auch medizinischen Eingriffen kann man sich so zeigen, dass man sich richtig wohlfühlt und man so wahrgenommen wird wie man möchte, aber dann kann es immer noch sein, dass einem die Stimme einen Strich durch die Rechnung macht.»
In die drei Stimmen kann sich jede Person selbst einteilen. Da geht es nicht nur darum, wie hoch oder tief eine Stimme ist, sondern auch, in welcher Stimme man gerne singen möchte.
Deshalb ist der queere Chor wichtig. Weil es da Platz hat, im Erwachsenenalter einen Stimmbruch zu haben und erst herauszufinden, wie diese neue Stimme funktioniert. Oder eben die Stimmlage selbst auszuwählen. Weil Läng das Thema sehr am Herzen liegt, hat they auch Weiterbildungen in Gender Affirming Voice Coaching gemacht. «Es geht darum die eigene Stimme so anzupassen, damit sie zum Geschlecht passt.» Dazu gehört auch die Art Sprechen, die ansozialisiert ist, und deswegen von trans Personen oft verändert werden möchte – weil es in der eigenen oder auch fremden Wahrnehmung nicht zum eigenen Geschlecht passt, und auch eine Gefahr darstellen kann, weil es das «Passing», also das Durchgehen als cis Person, unterbindet und damit Transfeindlichkeit aussetzt.
Läng unterrichtet nach dem Ansatz von Gender Affirming Voice Coaching, aber auch regulär an der Musikschule in Thun. Der Wille, Gesang zu unterrichten, hat Läng durch das Studium getragen, mit dem they immer wieder «mega gehadert» hat. Woher die Energie für all diese Projekte? Und für das Leben daneben, das Läng auch sehr am Herzen liegt? «Alle Leute sagen immer: du machsch so viu! Und ich denke dann jeweils, aha, ach deswegen ist es manchmal anstrengend. Und gleichzeitig bin ich aber froh, mir wäre sonst wohl langweilig.» Der Wille zur Veränderung treibt Läng an. Deswegen ist they trotz allem noch in der klassischen Musik unterwegs: «Ich möchte Kunst politisch nutzen. Hier habe ich mein Sprachrohr.»
Die nächste Aufführung des Queer Chor Bern findet am 20. Juni am Säbeli Bum auf dem Viererfeld statt. Weitere Infos hier