«Grüne Hunde»

von Raff Fluri 16. Juni 2021

Der Frauenstreik 2019 war eine der grössten Mobilisierungen der letzten Jahrzehnte. Vergangenen Montag, 14. Juni jährte sich der Grossanlass zum zweiten Mal. Zur Erinnerung, aber auch zur Auffrischung der Anliegen wurde wiederum gestreikt und mit verschiedenen Aktivitäten auf die Missstände aufmerksam gemacht. Die Berner Videokünstlerin Sarah Hugentobler realisierte 2019 einen Kurzfilm anlässlich des Frauenstreiks. Zwei Jahre danach unterhalten wir uns mit ihr über die Herstellung des Films und darüber, was vom Frauenstreik geblieben ist.

Sarah Hugentobler experimentierte bereits in ihren früheren Kurzfilmen und Musikvideos damit, unterschiedliche Charakteren selber darzustellen. Innerhalb eines Films unterscheiden sich ihre Figuren äusserlich kaum. Hingegen sind Mimik und Stimme die Hauptunterscheidungsmerkmale. Während sie in Musikvideos derselben Stimme mehrere Figuren gibt, sprechen in «Grüne Hunde» identische Figuren die unterschiedlichen ProtagonistInnen.

Der Kurzfilm entstand anlässlich des Frauenstreiks vom 14. Juni 2019. Ihre Schwester engagierte sich beim Frauenstreikkomitee Zürich. Durch sie entstand die Idee einer Videoarbeit, die man auch als Social Media Clips zeigen kann. Gemeinsam organisierten sie eine Gruppe von befreundeten Frauen, mit denen sie einen Abend lang in lockerem Rahmen diskutierten. Das Mikrofon lief dabei mit. Die Perspektive eines Mannes baute sie nachträglich durch ein einzelnes Interview mit ein. Die Nebengeräusche – das Lachen und die Reaktionen der anderen – integrierte sie als Reaktionen der Videofiguren links und rechts, während den Aussagen mit Abschnitten aus dem Volkslied «s wott es Froueli z Märit gah» mehr Raum und Gewicht gegeben wird.

Grüne Hunde (zum Frauenstreik 14.Juni 2019) from Sarah Hugentobler on Vimeo.

Sarah Hugentobler ging es darum, die zum Teil sehr persönlichen Geschichten als allgemeingültige Erfahrungen von uns allen zu erzählen. Deswegen kreierte sie eine Videofigur, die immer die selbe ist, trotz den unterschiedlichen Stimmen. So erscheint sie als abstrakte Kunstfigur, die nicht klar einem Geschlecht oder Typ zuortbar ist.

Die Arbeitsweise bei dieser Videoarbeit entsprach ihrem üblichen Vorgehen: Sie schneidet zuerst den Ton und kreiert danach das Bild dazu. Dies entspricht dem Vorgehen bei Musikvideos. Anhand der Tonspur bestimmte sie also den genauen Ablauf. «Dazu musste ich auch immer wissen, wann welche Figur wie reagiert. Ich lernte den Text und den Sprechrhythmus mit allen Atemgeräuschen, Pausen, Lachen usw. Das hat etwas Musikalisches, ich muss mir den Sprech – und Atemrhythmus aneignen« erklärt sie das Entstehen des Schauspiels. Beim Filmen gibt sie sich ganz der Stimme hin, was automatisch zur Mimik führe: «Ich versuche gar nichts zu spielen oder mir bestimmte Bewegungen vorzunehmen, sondern ganz präsent zu sein und der Stimme zu folgen.»

Als der Kurzfilm fertig war, reichten die Reaktionen der Mitwirkenden von belustigt bis zu überrascht darüber, was aus der ursprünglichen Diskussion geworden war. Der Grad der Anonymität war auch ein Thema, schliesslich ist die Stimme immer noch erkennbar. «Ich glaube, das Gespräch wäre auf keinen Fall so offen verlaufen, wenn ich die Mitwirkenden gefilmt hätte», schätzt Sarah und ist überzeugt, dass die GesprächspartnerInnen wohl auch gar nicht mitgemacht hätten. Indem die Mitwirkenden das Aussehen der Videofigur erhalten, werden sie ein Stück weit anonymisiert.

 

Das Bild oben zeigt einen Ausschnitt aus dem Musikvideo für Moes Anthill. Mehr über die Musikvideos Sarah Hugentoblers.

Die 1981 geborene Sarah Hugentobler wuchs im Thurgau auf und lebt seit ihrer Ausbildung 2009 an der Hochschule der Künste in Bern. Das Spiel mit der Playbacktechnik ist nur eine der vielen Experimentierfelder in ihrem Berner Atelier. Dabei fasziniert sie, wie sehr Stimme und Sprechweise den Charakter einer Figur prägen. Das Spiel mit der Mimik vor der Kamera muss sehr reduziert sein und wirkt schnell übertrieben. «Diese Reduktion und die Kombination von dokumentarischem Tonmaterial, das auch ‚Fehler‘ beinhalten darf, die ich dann mit einbaue und reproduziere, verbunden mit einer sehr künstlichen Ästhetik interessiert mich sehr», schwärmt sie.

Die Auswirkungen des Frauenstreiks erlebte sie insofern, dass sie dadurch öfters mit verschiedenen Menschen über die im Film angesprochenen Themen diskutieren konnte und sich in ihrem Umfeld die Diskussionen geöffnet haben. «Auch beispielsweise in meiner Familie haben wir vermehrt über gewisse Erfahrungen gesprochen», stellt Sarah Hugentobler erfreut fest.