«Die Stadt Bern kann zeigen, dass sie solidarisch ist.»

von Luca Hubschmied 15. November 2020

Die städtische Politik ist kein Neuland für sie. Doch bequem scheint Katharina Altas (SP) auch nach sieben Jahren im Stadtrat nicht geworden zu sein. Im Gespräch fordert sie die Aufnahme Geflüchteter in Bern und die Einführung einer bürgernahen Polizeiarbeit.

Katharina Altas, weshalb braucht es einen städtischen Corona-Solidaritätsfonds zur Unterstützung des Mikrogewerbes, wo doch der Kanton und der Bund bereits finanzielle Hilfe versprochen haben?

Die Coronakrise trifft aktuell viele Betriebe sehr hart. Der zweite Teillockdown setzt besonders kleinen Betrieben, Selbstständigen, Gastrobetrieben und Kulturschaffenden stark zu. Die Stadt muss jetzt aushelfen, denn Kanton und Bund sind sich über die Form der Unterstützung nach wie vor nicht einig. Unsere Idee ist nun, dass die Stadt Bern rasch in die Bresche springt und Gewerbetreibende und Kulturschaffende in dieser Ausnahmesituation unbürokratisch finanziell mit Beiträgen bis zu 25’000 Franken unterstützt. Die Auslagen könnten allenfalls später von Kanton und Bund zurückerstattet werden. Am Montag findet zu diesem Thema ein runder Tisch mit dem Stadtpräsidenten und Parteivertreter*innen statt. Ich erhoffe mir, dass nun rasch gehandelt wird.


«Wir wollen nicht bei der freien Kulturszene sparen», meinten Sie im Stadtrat zur Diskussion um die städtischen Sparmassnahmen. Warum sollte die Kulturförderung von den offenbar notwendigen Kürzungen verschont bleiben?

Die Frage ist berechtigt. Ich war und bin jedoch der Meinung, dass es Posten gegeben hat, wo sinnvoller gespart werden kann und es weniger langfristige Konsequenzen hat. Besonders die freie Szene hat schon während des ersten Lockdowns gelitten. Die vorgesehenen Sparmassnahmen hätten insbesondere diese Berufsgruppe getroffen. Einsparungen bei Kultur und Soziokultur treffen vor allem Menschen, die sowieso nicht auf Rosen gebettet sind und haben direkte und langfristige gesellschaftliche Konsequenzen. Da fällt es leichter, gewisse nicht dringende Bauprojekte zeitlich nach hinten zu verschieben. Daher habe ich mich vehement gegen diese angedachten Sparmassnahmen im kulturellen Bereich eingesetzt. Wir haben uns schlussendlich auf einen Kompromiss geeinigt und in diesem Bereich so wenig wie möglich eingespart.

 


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Sie setzten sich mehrfach im Stadtrat für die Direktaufnahme Geflüchteter in der Stadt Bern ein.  Zuletzt mit dem Postulat, Bern solle ein «sicherer Hafen für Geflüchtete» werden. Wieviel Sinn macht es, sich auf Gemeindeebene für dieses Thema einzusetzen?

Es hat sich gezeigt, dass die Städte diesem Thema sehr offen gegenüberstehen. Klar, der Bund hat schlussendlich die Entscheidungsgewalt. Wir müssen aber als Stadträt*innen aktiv sein und können nicht tatenlos zusehen, wenn Menschen im Mittelmeer ertrinken oder unter menschenunwürdigen Bedingungen in Flüchtlingscamps leben müssen. Die Stadt Bern kann zeigen, dass sie solidarisch ist und geflüchtete Menschen aufnehmen will. Das ist kein Symbolvorstoss, sondern Ausdruck meiner Haltung. Wir sind mitverantwortlich für das Verhalten an den Aussengrenzen Europas. Jean Ziegler, mit dem ich im Dezember im Stauffacher ein Gespräch hätte führen dürfen [ist wegen der 2. Coronawelle abgesagt worden], zeigt das im Buch «Die Schande Europas» schonungslos auf. Wir dürfen nicht untätig bleiben, auch nicht wir als Kommunalpolitiker*innen. Wenn der Wille da ist, wird vieles möglich. Meine Tante lebte im Libanon und ist vor dem Bürgerkrieg Ende der 70er Jahre geflohen. Sie und ihre Familie lebten anschliessend in Deutschland bei uns zuhause. Dadurch habe ich damals als Kind hautnah miterlebt, was es für Betroffene heisst, aus einem vom Krieg zerrütteten Land fliehen zu müssen.

 

In einer kürzlich eingereichten Motion fordern Sie die Einführung einer bürgernahen Polizeiarbeit («Community Policing»). Ist die Kantonspolizei zu weit von der Bevölkerung entfernt?

Einige Ausschreitungen in den letzten Jahren zwischen Jugendlichen und der Polizei haben mich an ein Räuber-und-Gendarm-Spiel erinnert. Wenn die Polizei weniger als Gegner wahrgenommen würde, könnte dies deeskalierend wirken. Mir ist es ein grosses Anliegen, dass die Kapo diverser wird, auch um der Problematik des «Racial Profiling» entgegenzuwirken. Der Ansatz des «Community Policing», wie er in anderen Städten auch schon praktiziert wird, hat mich überzeugt. Die Polizei arbeitet dabei interdisziplinär mit anderen Organisationen aus der Jugend- und Sozialarbeit oder mit Personen aus der Sicherheitsdirektion zusammen und diskutiert über die beste Herangehensweise. Das Bild, das die Polizei in der Vergangenheit abgegeben hat, war oft nicht vorteilhaft. Zum Beispiel bei der Miss Schweiz-Wahl 2014 als die Polizei gegenüber teils minderjährigen Demonstrant*innen ihre Macht missbrauchte. Es braucht einen Wandel im Auftreten der Polizei. Die Einführung dieser Praxis liegt nicht in städtischer Kompetenz, sondern beim Kanton. Als Stadt, die einen Ressourcenvertrag mit dem Kanton abgeschlossen hat, können wir aber Forderungen einbringen. Es zeigt sich immer wieder, dass die Auflösung der Stadtpolizei ein grosser Fehler war.


Sie sprechen sich für eine «weltoffene Stadt» aus und die Neue europäische Bewegung Schweiz (Nebs) empfiehlt Sie zur Wiederwahl. Es entsteht fast der Eindruck, Sie möchten im Stadtparlament Europapolitik betreiben.

Ich verstehe die Schweiz als Teil Europas. Die bilateralen Abkommen sind für die Schweiz zentral. Die Personenfreizügigkeit ist eine Errungenschaft, die wir nicht aufs Spiel setzen dürfen. Im Stadtrat thematisiere ich solche Fragen natürlich nicht, das ist nicht die richtige Ebene. Aber es entspricht meiner politischen Haltung.

 

Seit 2013 sitzen Sie im Stadtparlament. Falls Sie nun wiedergewählt würden: Was wollen Sie innerhalb der nächsten zwei Jahre im Stadtrat erreicht haben?

Da gibt es diverse Geschäfte, die mir am Herzen liegen. Vor vier Jahren habe ich beispielsweise einen interfraktionellen Vorstoss eingereicht, der im Brünnengut die Schaffung eines Jugendhauses fordert. Die Bearbeitung hat sich lange hingezogen und nun wünsche ich mir, dass dieses Jugendhaus endlich Realität wird. Wir brauchen unbedingt ein neues Angebot für Jugendliche im Stadtteil VI an der Grenze zwischen Bümpliz und Bethlehem.

Mein Slogan lautet ja, angelehnt an Willy Brandts Slogan «Mehr Demokratie wagen»: «Mehr Diversität wagen!». Ich habe mich mit zwei Vorstössen dafür eingesetzt, dass die Kulturkommissionen und Stiftungsräte diverser zusammengesetzt sind. Die Besetzung dieser Gremien hat einen direkten Einfluss darauf, welche Kultur gefördert wird. Daher sollte sich die Diversität unserer Gesellschaft auch dort abbilden. Auch in den Leistungsverträgen mit Kulturinstitutionen sollte die Forderung nach Diversität enthalten sein.

Als drittes will ich, dass mein Vorstoss zu den toten Schaufenstern in der unteren Altstadt endlich umgesetzt wird. Diesen habe ich vor fünf Jahren eingereicht, als mir auffiel, dass immer mehr Banken und Finanzdienstleister ohne Laufkundschaft an bester Lage in der Altstadt ihre Filialen im Parterre eröffneten. Nächstes Jahr soll die Bauordnung angepasst werden, damit im UNESCO-Perimeter vermehrt quartiernahe Dienstleister, das Gewerbe und Kulturspielstätten Platz finden können. Dadurch bleibt Berns Altstadt lebendig und dient den Bedürfnissen der Bevölkerung.

 

Und welches Geschäft oder Anliegen der politischen Gegenseite werden Sie unterstützen?

Zum einen den Vorstoss zu mediterranen Nächten in den Quartieren von Tom Berger (JF). Seit Sommer 2016 gibt es im Sommer diese mediterranen Nächte in der Stadt, während denen die Gastronomiebetriebe länger geöffnet bleiben dürfen. Nun soll diese Möglichkeit zur Belebung auf die Quartiere ausgeweitet werden. Ein weiterer Vorstoss, den ich unterstützen werde, hat neben anderen Manuel C. Widmer eingereicht und steht unter dem Titel «Eine Stadt ohne Lärm ist keine Stadt». Die Einreichenden verlangen ein Reglement für das urbane Leben in einer vielfältigen Stadt und dass die Stadt innerhalb des kantonalen und nationalen Rechts den Spielraum maximal ausnützt. Was ich ebenfalls erwähnen möchte ist ein weiterer Vorstoss der Mitteparteien zum Thema «moderne Allmenden»:  Offenbar sind die Vergabekriterien für die Bewilligungen von Pop-Up Bars nicht genug transparent. Das ist nicht akzeptabel und sollte geändert werden. Dieses Anliegen scheint mir berechtigt.