Die Notschlafstelle liegt idyllisch in einer ruhigen Nebengasse der Lorraine, umgeben von einem wuchernden Garten. Das alte Haus ist etwas marode, aber lichtdurchflutet und nach drei Monaten bereits voller Leben.
Die Einrichtung bietet Schutz für Frauen und FINTA-Personen; für eine, zwei oder mehrere Nächte, jedoch höchstens für drei Monate. Denn das Leben auf der Gasse ist für sie besonders belastend. Sie werden häufiger Opfer sexualisierter Gewalt und fühlen sich in gemischten Notschlafstellen oft unsicher. Um dem entgegenzuwirken, hat die Stadt Bern diese provisorische Notschlafstelle als Pilotprojekt eingerichtet. Damit will sie prüfen, ob ein solches Angebot tatsächlich gebraucht wird. Nach drei Monaten ist klar: Der Bedarf ist da.
Vom ersten Tag an kamen Menschen zu uns. Seit Ende Juli sind wir jede Nacht voll.
«Vom ersten Tag an kamen Menschen zu uns. In der ersten Woche hatten wir jeweils fünf bis sieben Eintritte. Seit Ende Juli sind wir jede Nacht voll», sagt Bettina Stocker, die Leiterin der Notschlafstelle. Regelmässig müsse ihr Team Menschen abweisen. «Im Schnitt ein- bis zweimal pro Woche», seufzt Stocker. Besonders mit Blick auf den kommenden Winter bereitet ihr die Situation Sorgen. Ihr Angebot sei dringend nötig, die Nachfrage ungebrochen: «Wir könnten problemlos noch mehr Betten belegen. Es ist ein Tropfen auf den heissen Stein – aber immerhin sind es 18 Plätze.»
Auch andere Notschlafstellen in der Stadt sind fast durchgehend ausgelastet. Die Zahl der Obdachlosen steigt in Bern seit 2021 kontinuierlich an, das zeigen Zahlen der Stadt. Zwanzig zusätzliche, temporäre Plätze sollen im Winter das Regelangebot ergänzen, erklärt Claudia Hänzi, Leiterin des städtischen Sozialamts. Diese seien aber nicht nur für Frauen und FINTA-Personen gedacht, sondern für alle, die ein warmes Dach über dem Kopf brauchen. Wo genau die zusätzlichen Betten eingerichtet werden, ist noch offen.
Die 18 Plätze in der FINTA-Notschlafstelle bieten mehr Ruhe und Privatsphäre als herkömmliche Angebote. Die Klient:innen erhalten grösstenteils ein Einzelzimmer und dürfen auch tagsüber dort verweilen. Auf den Stockwerken teilen sie sich Küche und Bad, fast wie in einer WG.
Das Angebot werde von sehr unterschiedlichen Menschen genutzt, erzählt Stocker: «Von Personen, die schon lange auf der Gasse leben, bis zu solchen, die wegen häuslicher Gewalt ihre Wohnung verlassen musten. Es ist eine bunte Gruppe.» Sie berichtet von einer Klientin, die ihren Arbeitsplatz und damit auch das Anrecht auf ein Personalzimmer verloren hat.
Der Mietvertrag für die Notschlafstelle läuft bis Ende April 2026. Länger kann man nicht im Haus bleiben. Dieses sei in einem renovationsbedürftigen Zustand und die Kosten deswegen hoch, das teilt die Stadt auf Anfrage mit. Zudem wäre das Haus auch nach einer Sanierung nicht hindernisfrei zugänglich. Ein Kauf der Immobilie werde daher nicht weiterverfolgt.
Zentral gelegen sollte es sein, damit unsere Klientinnen zu Fuss zu uns kommen können.
Gemeinsam mit der Heilsarmee sucht die Stadt derzeit nach einer Anschlusslösung ab Mai nächsten Jahres. Noch steht aber keine Nachfolgelösung fest. «Gesucht wird ein Haus, das genügend Platz für 18 Personen und ein kleines Team bietet, idealerweise mit einer stabilen Grundsubstanz», sagt Stocker. «Zentral gelegen sollte es sein, damit unsere Klientinnen zu Fuss zu uns kommen können. Und wenn es noch ein bisschen Aussenraum gäbe, wären wir schon sehr zufrieden», fügt sie schmunzelnd hinzu.