Würden Wahlen etwas ändern, wären sie verboten

von Gerhard Meister 4. November 2015

Die Wahlen sind vorbei und auch die Wahlplakate hängen nicht mehr, auf die, wenigstens in Zürich, aber vielleicht auch in Bern, jemand einen Stempel oder Kleber anbrachte, der zum gemeinsamen Verbrennen der Wahlzettel einlud.

Der Slogan dazu lautete: Würden Wahlen etwas ändern, wären sie verboten.

Seit ich diesen Satz gelesen habe, denke ich über ihn nach und muss zugeben, ich bin mir über seine Bedeutung beziehungsweise seine möglichen Bedeutungen noch immer nicht im Klaren. Nicht einmal über die Haltung, die ich zu diesem Satz einnehme oder einnehmen sollte, bin ich mir im Klaren.

Als Demokrat, so nehme ich an, kann man mit dem Satz nicht einverstanden sein. Schon nur aus logischen Gründen. Demokrat zu sein, das impliziert den Glauben an die Demokratie, und wie wäre so ein Glauben möglich, wenn man das Herzstück der Demokratie, die Wahlen, als sinnlos betrachten würde?

Dass in der Schweiz Wahlen tatsächlich weniger bewirken als in anderen Demokratien, weil wir hier noch die Abstimmungen haben, das ist, so nehme ich an, mit dem Satz nicht gemeint, er zielt auf die Demokratie als Ganzes und könnte also auch lauten: Würden Wahlen und Abstimmungen etwas ändern, wären sie verboten.

Natürlich hängt das ganze Problem an der Frage, was man unter „etwas ändern“ versteht. Gab es in der Schweiz in den letzten Jahrzehnten auch nur eine Wahl oder Abstimmung, die wirklich etwas geändert hat?

Hat zum Beispiel das Nein zum EWR-Beitritt etwas geändert oder nicht?

Was für eine Frage, könnte man sagen, ohne dieses Nein wäre die Schweiz heute Mitglied der EU, und wenn sowas nicht eine Änderung ist.

Tatsächlich war eine Mehrheit der Schweizerinnen und Schweizer 1992 – der Bundesrat hatte das EU-Beitrittsgesuch schon hinterlegt – gegen den EWR und damit gegen die EU. Trotzdem ist die Schweiz gute zwanzig Jahre später der EU in weiten Teilen beigetreten, die Stichworte dazu: Einführung von EU-Gesetzen und Normen, Integration in den Schengenraum, Bilaterale, darunter insbesondere der freie Personenverkehr.

Die Schweiz als weisser oder je nachdem schwarzer Fleck mitten in einem vereinigten Europa ist nichts als Wunsch- oder Schreckensbild, jedenfalls nichts, was die Tatsachen abbildet.

Das Gleiche gilt für die Masseneinwanderungsinitiative, auch sie wird die Masseneinwanderung nicht stoppen.

Weil die Wirtschaft diese Masseneinwanderung will, könnte man sagen, weil demokratische Entscheide gegen die Interessen der Wirtschaft nicht durchsetzbar sind, nicht zuletzt, weil Abstimmungsbudgets oft den Ausschlag geben.

Was nun eine linke Argumentation wäre.

Aber ist der Satz „Würden Wahlen etwas ändern, wären sie verboten.“ ein linker Satz?

Hätten nicht die SVPler allen Grund, die Wahlkampfplakate mit diesem Slogan zu überpinseln? Ist es nicht das Drama dieser Partei, von dem das ganze Land in Mitleidenschaft gezogen wird, dass sie zwar Wahlen und Abstimmungen gewinnt und trotzdem nichts ändert?

Darf man nicht sogar davon ausgehen, dass die SVP nur deshalb die Wahlen und Abstimmungen gewinnt, weil sie nichts ändert? Und das nicht nur deshalb, weil sie mit 30 Prozent Wähleranteil eine klare Minderheit im Land vertritt, sondern auch aus dem Grund, weil es Prozesse gibt – soll ich sie historische oder sogar welthistorische Prozesse nennen? – die sich mittels Wahlen und Abstimmungen höchstens verzögern oder etwas abbiegen, aber nicht aufhalten lassen?

Um mit etwas aufzuhören, das keine Frage ist: Die Wahlplakate in Zürich wurden nicht von SVPlern sondern von Linken überklebt, das ging aus der Art der Gestaltung und auch dem Ort des gemeinsamen Wahlzettelverbrennens klar hervor (man traf sich hierzu nicht im Albisgüetli).

Natürlich steht hinter dem Slogan bei dieser Aktion der alte Gedanke der Revolution als dem einzigen Mittel, mit dem wirkliche Veränderungen zu erzielen sind.

Dass diejenigen, die auf der ganz anderen Seite des politischen Spektrums von einer ganz anderen Schweiz träumen, dass man also bei der SVP, wie zweifelhaft und mitunter eklig im Einzelfall auch immer, auf Demokratie setzt statt auf Revolution, ist ein tröstlicher Gedanke.