Erlauben Sie mir, liebe Leserin, lieber Leser von einem Buch zu schwärmen, das ich noch gar nicht gelesen habe?
Ich weiss, mein Schwärmen könnte Sie dazu verleiten, sich das Buch anzuschaffen, und natürlich würde ich es der Autorin gönnen, wenn sich der Verkauf ihres Buches steigert.
Für eine allfällige Enttäuschung, die sich aus der Lektüre ergibt, möchte ich mich aber nicht verantwortlich fühlen.
Es war ja nur so, dass der Tag trüb war, da November, und ich mir etwas Aufheiterung verschaffen wollte, und dabei auf die Idee verfiel, etwas zu tun, was ich noch nie zuvor in meinem Leben getan habe. Und für ein Buch, dass ich noch nicht gelesen habe, schwärme ich hiermit zum ersten Mal in meinem Leben.
Ich weiss, es ist es ein ganz verfehlter Gedanke, die Stimmung lasse sich dadurch aufheitern, dass man etwas zum ersten Mal in seinem Leben tut. Ich kann mir ohne Mühe Dutzende von Dingen vorstellen, die ich noch nie getan habe und die, würde ich sie jetzt zum ersten Mal in meinem Leben tun, meine Stimmung ganz bestimmt keinen Millimeter in die Höhe brächten.
Es muss ja schon eine irgendwie positive, lebensbejahende, Freude bringende Tätigkeit sein, zu deren erstmaligen Ausführung man ansetzt.
Allerdings möchte ich als nächstes behaupten, dass Schwärmen, ganz egal, in welcher Form und für was da geschwärmt wird, zu eben diesen positiven, das Gemüt aufrichtenden Tätigkeiten gehört. Und genau dazu habe ich hier ja angesetzt, zum Schwärmen. Nur weiss man eben nie, was so ein Schwärmen auslöst.
Am Schluss ist Schwärmen etymologisch mit Charme verwandt und wäre also eine Form von Zauber, vor dem man sich besser in Acht nimmt. Immerhin ist das Buch auf französisch geschrieben, dies zu meiner Beruhigung. Wer liest diesseits der Saane schon Bücher auf französisch?
Zwar wird das Buch ziemlich sicher übersetzt werden, Antoinette Rychner hat es geschrieben, und sie gehört zu den bekannten Autorinnen und Autoren in der Romandie.
Aber das Übersetzen dauert seine Zeit, und bis dahin wird diese kleine Schwärmerei hier längst vergessen sein. Das beruhigt mich. Gerade an Novembertagen wie heute einer ist, möchte ich keine zusätzlichen Verantwortlichkeiten auf meine sowieso schon saisonal geschwächten Schultern laden.
In der deutschen Übersetzung wird der Titel des Buches übrigens noch schöner klingen als im Original, aus Devenir Pré wird ein sanft alliterierendes Wiese werden werden.
Was aber hat es mit diesem Wiese werden auf sich? Und wer ist es, der zu Wiese wird?
Ich weiss nur so viel: Ein Jahr lang hat sich Antoinette Rychner jeden Tag in einen winzigen blau gestrichenen, mit Ofen und Kaminrohr ausgestatteten Planwagen gesetzt. Und zwar vor das einzige Fenster des Wagens und die Aussicht, die es von dort gab, die Aussicht auf eine Wiese. Und hat geschrieben, was sie sieht. Und das war eben diese Wiese.
Tag für Tag die gleiche Wiese, die natürlich nicht die gleiche Wiese blieb, so wie sie selber nicht die gleiche Antoinette, die sich vor sie hinsetzt. Aber eben fast die gleiche. Und von diesen minimalen Differenzen und Wandlungen in Zeitlupe handelt das Buch.
Ist man nicht sofort wahnsinnig gespannt und muss unbedingt wissen, wie sie das anstellt?
Antoinette Rychner, devenir pré, éditions d’autre part, 184 Seiten, 21 Franken.