2011 erschien mit «Partys im Blauliecht 1» ein Mixtape, das zwar nie für die breite Masse gedacht war, aber heute als Startpunkt einer der spannendsten Trilogien im Schweizer Rap gelten kann. Der Sound war roh, die Reime manchmal holprig – doch das, was Migo und Buzz darin schufen, war mehr als Musik: Es war eine Momentaufnahme einer Jugend zwischen Perspektivlosigkeit, Polizeilicht und kreativem Überlebenswillen.
Heute, über ein Jahrzehnt später, wollte ich wissen, wie Migo selbst auf dieses Kapitel zurückblickt. Was bleibt vom Drang, gehört zu werden? Wie hat sich seine politische Haltung verändert – und wie sehr prägt ihn noch immer die Realität, aus der «Partys im Blauliecht» entstanden ist?
Journal B: 2011 erschien euer erstes Migo&Buzz Mixtape «Partys im Blauliecht 1». Was war euer Antrieb dahinter?
Migo: Diese Zeit fühlte sich an wie ein Film. Wir waren viel draussen, kreativ, broke. Buzz machte Musik und Videos, ich zeichnete, schrieb Texte und fing an zu rappen. Es war ein Drang, ein Ventil. Ohne Plan für Karriere, einfach aus Notwendigkeit. Nach einem Verfahren wegen Sprayen verlagerte ich meinen kreativen Output ins Rappen. Das Mixtape entstand aus diesem Umfeld.
Migo ist Rapper aus Bern, Mitglied bei der Chaostruppe und der Fischermätteli Hood Gäng. Seit 2011 macht er zusammen mit Buzz Musik. Nebenbei ist er auch bildender Künstler. Buzz ist Produzent, Musiker, Fotograf und Videomacher aus Bern. Viele Migo-&-Buzz-Videos stammen aus seiner Hand.

Wenn man über deine Musik spricht, geht immer wieder etwas vergessen, nämlich dass Migo kein Solokünstler ist, sondern ein Duo mit Buzz. Wie wichtig ist Buzz für dich?
Unverzichtbar. Wir haben intensive Diskussionen über die Kunst, die wir machen wollen. Und doch finden wir uns immer. Daraus wuchs eine sehr kreative und einzigartige Freundschaft. Ohne Buzz wäre ich nicht Migo.
Wie habt ihr euch getroffen?
Buzz habe ich irgendwo in einem Park kennengelernt, in der Nacht. Wir waren viel in Parks unterwegs und nicht in Clubs. Buzz hatte sofort mein Interesse geweckt, weil er so kreativ war, das aber nicht der grossen Masse zeigen musste. Die Energie und die Lust etwas zu erschaffen, war bei uns beiden sehr gross.
Warum ist es ein Migo&Buzz-Release, obwohl nicht alle Beats von Buzz stammen?
Weil der Vibe unserer war. Buzz hat teilweise Internetbeats mit eigenen Sounds erweitert. Das Tape war nicht für die Öffentlichkeit gedacht, sondern für uns und unsere Freund:innen. Es ging um Ausdruck, nicht um Perfektion.
Ich sehe mich als politischen Menschen, der gesellschaftliche Beobachtungen in greifbare Bilder packt. Alltagssprache statt Parolen.
Rückblickend: Würdest du das Tape heute löschen?
Nein, es gehört zu meinem Weg. Ich schäme mich nicht dafür, auch wenn ich vieles heute anders machen würde. Es war eine Suchbewegung, stilistisch und inhaltlich. Man hört, dass ich viel kopiert habe, um meinen eigenen Zugang zu finden.
Du klingst schon damals politisch. Wurdest du als „Polit-Rapper“ verstanden?
Ich wollte nie als Polit-Rapper abgestempelt werden. Ich sehe mich als politischen Menschen, der gesellschaftliche Beobachtungen in greifbare Bilder packt. Alltagssprache statt Parolen. Hip-Hop war für mich nie Konsum, sondern eine Kultur, in der man sich engagieren kann.
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Was hat dich politisiert?
Die Lorraine, in den 90ern noch ein Brennpunkt-Quartier, das ich miterlebte. Später kam die Gentrifizierung, Freund:innen zogen weg, ich auch. Repression und Stadtpolitik haben ihre Spuren hinterlassen.
Bern war ein Raum der Möglichkeiten, aber auch voller Widersprüche. Gewalt war omnipräsent.
Wie hast du die Zeit um 2011 erlebt?
Es war politisch aufgeladen: Demos um Freiräume, Polizeigewalt. Der Titel des Tapes spielt auf genau das an. Bern war ein Raum der Möglichkeiten, aber auch voller Widersprüche. Gewalt war omnipräsent, nicht nur vonseiten der Polizei, sondern auch zwischen den Jugendlichen.
Wie hat sich deine Haltung zu bestimmten Lines von damals verändert?
Manches klingt für mich heute ‘zeigefingerisch’. Dennoch: Vieles würde ich wieder genauso schreiben. Die Aussage, dass ein Mensch nicht mehr wert ist als andere, nur weil er Geld hat, würde ich heute eins zu eins wieder machen. Kapitalismuskritik war und bleibt Teil der Message.

Du rappst «d’Charte blibä glich» haben sich deine Karten, in den letzten 14 Jahren verändert?
Klar haben sich meine Karten verändert, ich bin 14 Jahre älter, aber nicht 14 Jahre klüger. Bei mir ging es damals wie heute viel um Perspektivlosigkeit. Ich lebe selbst immer noch hart unter dem Armutslevel und schlage mich von Monat zu Monat durch. Ein gewisser Teil davon ist aber selbstgewählt, da ich so Dinge machen kann, die ich mag und will.
Was bedeutet für dich Reichtum?
Der grösste Reichtum ist für mich frei verfügbare Zeit. So oder so ähnlich hat es, glaub ich, schon Karl Marx umschrieben. Für mich ist Reichtum, wenn ich keine Fremdbestimmung spüre und mit meiner Zeit das machen kann, was ich will. In diesem Punkt bin ich auch neidisch auf reiche Leute, da diese nichts müssen und sich benehmen können wie kleine Kinder. Ein freies Leben wünsche ich allen.
«Partys im Blauliecht 2» kam dann 2014 heraus. An der Swiss Hip Hop Jam habt ihr zwei Awards gewonnen. Einmal für «Best Mixtape» und einen für «Best Newcomer». Wie war das für euch?
Überraschend, aber extrem cool. Wir kannten kaum jemanden dort. Ich habe die Szene oft eher belächelt. Aber es war schön, dass Leute, die Ahnung hatten, unsere Arbeit gesehen haben.
Der grösste Reichtum ist für mich frei verfügbare Zeit.
Hat das eure Arbeit verändert?
Ja, wir wollten als nächstes ein Album mit Konzept und rotem Faden produzieren. Es sollte sich anfühlen wie ein Film, in dem an eintauchen kann. Ausserdem mussten wir nicht mehr bei Buzz im Keller aufnehmen. Wir hatten Zugang zu einem besseren Studio, ein neues Mikro und eine professionelle Abmischung.
Stieg euch der Erfolg nicht zu Kopf?
Ich denke nicht. Am Anfang haben wir ja unsere Gesichter nicht gezeigt. Das gab uns eine gewisse Freiheit im Alltag. Ich hatte nie das Bedürfnis, berühmt zu sein.
Auf dem Album erzählt die Pedro Trilogie in drei Songs eine Geschichte. Weshalb hast du dich für diese Form entschieden?
Sie hat etwas Literarisches. Ich liebe Storytelling, weil es mich zwingt, die Perspektive zu wechseln. Pedro war ein Weg, Dinge zu sagen, die ich als Ich-Erzähler nicht hätte sagen können.
Tommy Vercetti ist für mich ein bisschen wie ein Götti.
In einem Song hast du gerappt: «mit EFM uf Tour ig ha nei gseit» Warum hast du damals eineTour mit Eldorado FM abgelehnt?
Aus einem Bauchgefühl heraus. Ich mochte und mag Eldorado FM, aber ich sah mich damals nicht auf der Bühne. Ich war lieber im Publikum. Heute bin ich froh darum: Wir konnten uns so eine eigene Welt erschaffen und selbstständig an unserer Musik arbeiten.
Auch auf «Partys im Blauliecht 2» hattet ihr wieder ein Paar Feature-Gäste, einer davon, Tommy Vercetti von Eldorado FM. Wie kam das Feature mit ihm zustande?
Er schrieb mir. Wir trafen uns auf einen Kaffee. Heute diskutieren wir über Politik und treffen uns zum Essen. Tommy Vercetti ist für mich ein bisschen wie ein Götti.
Auf dem Album rappst du auch viel darüber, keinen Plan zu haben. Hast du heute einen Plan?
Nein. Aber eine Richtung: gute Kunst. Sie führt von selbst weiter.
Im Outro gibt es sehr viele Referenzen – für wen sind die eigentlich gedacht?
Für die Nerds. Ich liebe Texte mit Tiefe, Details, Querverweisen. Wer zuhört, wird belohnt.

Du äusserst auf den Outro ausserdem deine Angst, dass in Zukunft noch alles wie damals – 2014 – sein könnte. Wie nimmst du das wahr?
Also politisch ist alles, was mich stört, auf jeden Fall offensichtlicher geworden. Dreister. Es fehlt Reflexion. Und für alle die nicht superreich sind, wünsche ich mir mehr Klassenbewusstsein.
2018 kam schliesslich «Partys im Blauliecht 3» heraus. Was unterscheidet Teil drei der Trilogie?
Musikalisch viel mehr Live-Instrumente. Wir hatten Zugang zu neuen Musiker:innen. Disu Gmünder, der Gitarrist von Patent Ochsner hat mit uns gearbeitet und das hat uns neue Türen geöffnet. Das Album ist dadurch musikalisch noch ästhetischer geworden. Textlich hat sich nicht viel verändert.
«Partys im Blauliecht 2» war in Bern ein grosser Erfolg. Hattet ihr Angst, dass die Nummer drei weniger Anklang findet?
Ja, das erste war ein Mixtape gewesen, Das zweite unser Debutalbum, und danach kam das Gefühl: Fuck was machen wir jetzt? Aber wir wollten ehrlich bleiben, uns nicht wiederholen.

Der Song «Chlini Revolver» lief allerdings in diversen Radio. War das nicht einfach eine andere Art von Erfolg?
Ja, aber wir haben das nicht realisiert – wie so oft. Wir geben was raus und dann lebt die Musik ihr eigenes Leben. Wir haben keine Promo-Maschinerie im Hintergrund, kein Label oder Management.
Auf dem dritten Album bemerkt man deine Stärke, Bilder zu erschaffen, die zum Denken oder Schmunzeln anregen. Woher nimmst du deine Ideen?
Beobachtung. Weil ich kein Smartphone habe, sehe ich vielleicht mehr. Ich kombiniere, spinne weiter und analysiere was passiert.
Einer meiner Favoriten auf dem Album ist «Amplä». Du zeigst dort auf, dass du gegen den Strom schwimmst. Machst du das heute immer noch?
Ja. Ich verweigere mich so gut ich kann der Aufmerksamkeitsökonomie im Rap. Auch um die Qualität meiner Kunst zu schützen. Ich will nicht Teil einer auf Klicks ausgerichteten Kultur sein, die nur durch Spektakel oder Anbiederung funktionieren kann. Lieber bleibe ich ein Geheimtipp, dafür ist es ehrliche Kunst.
Früher war die ganze Stadt ein grosser Spielplatz für uns. Wir hatten keine Angst und haben alles ausprobiert.
Auf «lah di nid la frässe» rechnest du mit dir Selbst und der Welt ab. Was machst du damit du nicht gefressen wirst?
Ich versuche eine Naivität und einen gewissen Humor zu bewahren. Manchmal, wenn es schwer wird, sehe ich mein Leben als lustiges Projekt, welches versucht einen alternativen Weg einzuschlagen, bis dieser nicht mehr weiter geht.
Während du auf dem ersten «Partys im Blauliecht» deine Liebe zu Bern bekundest, klingt es auf dem letzten Album so, als müsstest du dringen weg aus der Stadt. Woher kam dieser Sinneswandel?
Früher war die ganze Stadt ein grosser Spielplatz für uns. Wir hatten keine Angst und haben alles ausprobiert. In der Zwischenzeit hatte ich Bern ein paar Mal durchgespielt. Doch mittlerweile entdecke ich in der Tiefe wieder Inspirierendes, neue Perspektiven. Zurzeit finde ich: Ich muss nicht weg aus Bern, um Kunst zu machen.
Wie blickst du heute auf die Trilogie?
Dankbar. Sie ist rund und in sich stimmig. Heute kommen viele Leute zu mir, die sagen: Dieses Album hat mich geprägt. Das haben wir früher gar nicht wahrgenommen. Man hat einfach einen Link verschickt und das wars. Heute sieht man jeden einzelnen Klick auf den Streaming-Plattformen. Ob das gut ist, weiss ich aber nicht abschliessend.
Kommt ein neues Projekt mit Buzz?
Ja. Aber langsam. Buzz hat es gerade stressig, er wurde vor kurzem Vater. Ich habe es noch stressiger, ich wurde Götti. (schmunzelt)

Migo rappt schon sein halbes Leben lang. Ausserdem arbeitet er als bildender Künstler. (Foto: David Fürst)
